Wilderer und Jäger Staffel 1. Anne Altenried
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Wilderer und Jäger Staffel 1 - Anne Altenried страница 8
Bald lag das Dorf hinter ihm. Das vom matten Mondlicht beschienene Stieglerhorn rückte immer näher. Gleichzeitig wuchs das Jagdfieber des Bergführers. Er beschleunigte seine Schritte. Schließlich lief er. Sein Tempo verlangsamte sich auch nicht, als der Feldweg anzusteigen begann. Doch bevor er am unteren Rand der Bergwaldung anlangte, musste er eine Verschnaufpause einlegen. Er setzte sich auf einen bemoosten Stein am Wegrand und holte tief Atem. Nach längerem Überlegen schob er sich verdrossen den Hut aus der Stirn.
Ein hirnverbrannter Einfall war es, so zeitig schon aus dem Kammerl der molligen Tiedemanntochter zu verschwinden. Die Nacht war noch lang, und er hätte noch manches Busserl von dem sauberen Dirndl erhaschen können. Für einen guten Schuss wär in einer anderen Nacht auch noch Zeit gewesen.
»Verflixte Schießleidenschaft!«, knurrte er und war wütend auf sich selber.
Aber der vom Jäger Ebenhecht so anschaulich beschriebene Sechzehnender hielt es vielleicht nicht lange auf dem Stieglerhorn aus, und ihm blieb versagt, ein solches Exemplar zu erlegen. Das aber war ein Erlebnis, neben dem jedes Kammerlabenteuer verblassen musste. Nicht zu reden von dem Profit, den ein so kapitaler Bursche brachte. Allein der Kopfschmuck brachte eine schöne Stange Geld.
»Ich muss ihn erwischen«, murmelte er und sprang auf. Im Bergwald lenkte er die Schritte zu dem dichten Farnkraut, in dem er sein Gewehr versteckt hatte. Gleich darauf zog er die Schutzhülle aus Wachstuch von der Waffe, drückte ein paar Patronen ins Schloss und eilte weiter. Am großen Wildwechsel neben der Waldblöße, wo Ebenhecht den Sechzehnendigen gesehen hatte, blieb er stehen und kratzte sich hinterm Ohr.
Wohin mochte sich der Hirsch gewandt haben?, überlegte er. Wo wuchs das saftigste Gras? Gerade Hirsche waren große Feinschmecker.
Ludl schlug die Richtung zur oberen Lichtung ein. Vom Tal herauf drangen die verwehten Schläge der Kirchturmuhr an sein Ohr. Mitternacht. Ein paar durchsichtige Wolkenfetzen hatten sich am blauschwarzen Himmelsgewölbe gebildet und schoben sich zeitweise vor die Mondsichel.
Als die Lichtung auftauchte, blieb Ludl hinter einer dickstämmigen Kiefer stehen. Er setzte sich auf eine mächtige Wurzel, klemmte das Gewehr zwischen die Knie und wartete. Es schlug ein Uhr. Es schlug zwei Uhr.
Ludl feixte.
»Ich bin schon ein dalkertes Mannsbild«, schalt er sich. »Jetzt hock ich da und wart auf einen Großgeweihigen, der vielleicht schon längst drüben auf dem Kleebuckel grast. Na ja, die Hirnvernagelten sterben net aus.«
Gleich darauf zuckte er zusammen. Eine schmale Rehgeiß trat auf die Lichtung. Es juckte ihn in den Fingern, das Gewehr zu packen und den Kolben an die Wange zu drücken. Eigensinnig schüttelte er den Kopf.
»Den Hirsch oder gar nix.«
Die Geiß hielt sich unbehelligt eine Viertelstunde auf der monderleuchteten Lichtung auf, dann trollte sie sich wieder. Ludl kramte in seinen Joppentaschen, um ein Stück Kautabak zu finden. Die Taschen waren aber leer.
Als die Kirchturmuhr im Tal die dritte Morgenstunde anzeigte, drehte er die Enden seines buschigen Schnurrbarts auf und murmelte: »Jetzt langt’s. Die halbe Nacht hab ich mir schon sinnlos um die Ohren geschlagen. Ein paar Stünderl will ich wenigstens noch schlafen.«
Sekunden später erstarrte er. Auf die Lichtung trat ein massiger Vierbeiner. Dieser warf den stolzen Kopf hoch. Atemlos zählte Ludl sechzehn Enden an dem prachtvollen Geweih. Der Hirsch trat einen Schritt vor und richtete die Nase in den schwachen Wind. Ludl hatte Glück. Der Wind stand für ihn günstig. Beruhigt begann der König des Bergwalds das frische Grün der Lichtung abzuweiden.
Ludls Erstarrung wich. Doch seine Hände zitterten, als er das Jagdgewehr zwischen den Knien hervorzog. Unendlich langsam hob er die Waffe und drückte sie fest an die Schulter. Er zielte. Das Zittern hatte noch nicht nachgelassen. Die Erregung war zu groß. Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn. Tief sog er die kühle Nachtluft in die Lungen. Wieder drückte er den Kolben an die Schulter.
Der Sechzehnender hielt kurz in der Nahrungsaufnahme inne, dann knabberte er weiter das saftige Gras ab. Da donnerte ein Schuss durch den stillen, nächtlichen Wald. Der Hirsch stieg mit den Vorderläufen hoch, stieß ein dumpfes Röhren aus und fiel zu Boden. Der mächtige Körper zuckte. Dann kippte er zur Seite. Noch eine Bewegung mit den Hinterläufen, dann lag das prachtvolle Wild reglos im Gras der Lichtung.
»Ich hab ihn«, kam es heiser von Ludls Lippen. Er richtete sich auf und ging langsam zu dem toten Tier hin. Beinahe scheu betastete er das Geweih und den Hals des Hirschs. »Es ist kein Traum«, flüsterte er. »Ich hab ihn wirklich.«
Mit dem Ärmel wischte er sich über die feucht glänzende Stirn und lachte lauthals. »Da soll noch mal einer sagen, ich wär kein Glückspilz«, rief er übermütig aus. »So viel Glück hat net leicht ein Zweiter.«
Der Übermut schwand schnell. »Den Hirsch kann ich unmöglich allein zu Tal tragen«, murmelte er nach einem abschätzenden Blick auf das tote Tier. »Dafür reichen auch meine Kräfte net aus.«
Seine Überlegungen wurden abrupt unterbrochen. Ein raschelndes Geräusch ließ ihn herumfahren. Er sah einen langen Schatten, der sich rasch der Lichtung näherte. Ludls Gesicht verzerrte sich.
»Sakra, der Jäger!«, würgte er entsetzt hervor.
Mit weiten Sprüngen hetzte er auf den gegenüberliegenden Rand der Lichtung zu. Die kurze Strecke bis zu den schützenden Nadelbäumen schien ihm plötzlich endlos lang zu sein. Er verspürte ein fürchterliches Kribbeln in seinem Rücken, wie er es vorher noch nie verspürt hatte.
»Stehen bleiben!«, gellte eine Stimme hinter ihm her, die er nur allzu gut kannte. »Keinen Schritt weiter, oder es knallt!«
Ein riesiger Satz brachte Ludl in den Schatten der ersten Fichte. Es krachte. Rindenstücke flogen von der Fichte ab. Ludl rannte weiter wie von Furien gehetzt. Er schlug Haken wie ein Feldhase. Noch zwei weitere Schüsse peitschten durch den nächtlichen Bergwald. Doch Ludl war schon im dichten Unterholz verschwunden.
Der Jäger Ebenhecht durchstöberte das nähere Gelände ringsum, dann kehrte er zur Lichtung zurück. Auf den Lauf seines Stutzens gestützt, stand er lange neben dem toten Sechzehnender. Seine grauen Augen glänzten feucht.
»Es war kein guter Einfall von dir, du schöner Bursche«, stieß er gepresst hervor, »in unser Revier herüberzuwechseln. Das hat dir den Tod gebracht. Aber ich bin um eine Erkenntnis reicher. Was ich schon längst vermutet hab, hat sich mit ziemlicher Sicherheit bestätigt. Der Auserwählte meiner Tochter ist ein elendiger Wilddieb. Sein Gesicht ist mir verborgen geblieben, aber an der Gestalt hab ich ihn erkannt. Und an der Art, wie er gelaufen ist.«
Ebenhecht hing sich den Stutzen über die Schulter. »In der Hütte am Holzschlagplatz nächtigen allweil drei oder vier Baumfäller. Sie müssen mir den Hirsch ins Tal hinuntertragen, bevor er heimlich verschwindet. Gewisse Leutl sind damit flink bei der Hand.«
Die Holzknechte machten keine fröhlichen Gesichter, als sie von dem Jäger aus tiefem Schlaf gerissen wurden. Auf eindringliches Zureden erklärten sie sich bereit, den Sechzehnender sofort zu holen und hinab zum Jägerhäusl zu tragen.
Müde langte er selbst dort an, stellte den Stutzen in den Ständer und suchte sofort sein Schlafgemach