Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ðицше
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2. Fernere Ursachen des Nihilismus.
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27.
Ursachen des Nihilismus: 1) es fehlt die höhere Species, d. h. die, deren unerschöpfliche Fruchtbarkeit und Macht den Glauben an den Menschen aufrecht erhält. (Man denke, was man Napoleon verdankt: fast alle höheren Hoffnungen dieses Jahrhunderts.)
2) die niedere Species (»Heerde«, »Masse«, »Gesellschaft«) verlernt die Bescheidenheit und bauscht ihre Bedürfnisse zu kosmischen und metaphysischen Werthen auf. Dadurch wird das ganze Dasein vulgarisirt: insofern nämlich die Masse herrscht, tyrannisirt sie die Ausnahmen, sodaß diese den Glauben an sich verlieren und Nihilisten werden.
Alle Versuche, höhere Typen auszudenken, manquirt (»Romantik«; der Künstler, der Philosoph; gegen Carlyle’s Versuch, ihnen die höchsten Moralwerthe zuzulegen).
Widerstand gegen höhere Typen als Resultat.
Niedergang und Unsicherheit aller höheren Typen. Der Kampf gegen das Genie (»Volkspoesie« u. s. w.). Mitleid mit den Niederen und Leidenden als Maaßstab für die Höhe der Seele.
Es fehlt der Philosoph, der Ausdeuter der That, nicht nur der Umdichter.
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28.
Der unvollständige Nihilismus, seine Formen: wir leben mitten drin.
Die Versuche, dem Nihilismus zu entgehn, ohne die bisherigen Werthe umzuwerthen: bringen das Gegentheil hervor, verschärfen das Problem.
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29.
Die Arten der Selbstbetäubung. – Im Innersten: nicht wissen, wohinaus? Leere, Versuch, mit Rausch darüber hinwegzukommen: Rausch als Musik, Rausch als Grausamkeit im tragischen Genuß des Zugrundegehens des Edelsten, Rausch als blinde Schwärmerei für einzelne Menschen oder Zeiten (als Haß u.s.w.). – Versuch, besinnungslos zu arbeiten, als Werkzeug der Wissenschaft: das Auge offen machen für die vielen kleinen Genüsse, z.B. auch als Erkennender (Bescheidenheit gegen sich); die Bescheidung über sich zu generalisiren, zu einem Pathos; die Mystik, der wollüstige Genuß der ewigen Leere; die Kunst »um ihrer selber willen« (»le fait«), das »reine Erkennen« als Narkosen des Ekels an sich selber; irgend welche beständige Arbeit, irgend ein kleiner dummer Fanatismus; das Durcheinander aller Mittel, Krankheit durch allgemeine Unmäßigkeit (die Ausschweifung tödtet das Vergnügen).
1) Willensschwäche als Resultat.
2) Extremer Stolz und die Demüthigung kleinlicher Schwäche im Contrast gefühlt.
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30.
Die Zeit kommt, wo wir dafür bezahlen müssen, zwei Jahrtausende lang Christen gewesen zu sein: wir verlieren das Schwergewicht, das uns leben ließ, – wir wissen eine Zeit lang nicht, wo aus, noch ein. Wir stürzen jählings in die entgegengesetzten Werthungen, mit dem Maaße von Energie, das eben eine solche extreme Überwerthung des Menschen im Menschen erzeugt hat.
Jetzt ist Alles durch und durch falsch, »Wort«, durcheinander, schwach oder überspannt:
a) man versucht eine Art von irdischer Lösung, aber im gleichen Sinne, in dem des schließlichen Triumphs von Wahrheit, Liebe, Gerechtigkeit (der Socialismus: »Gleichheit der Person«);
b) man versucht ebenfalls das Moral-Ideal festzuhalten (mit dem Vorrang des Unegoistischen, der Selbst-Verleugnung, der Willens-Verneinung);
c) man versucht selbst das »Jenseits« festzuhalten: sei es auch nur als antilogisches x: aber man deutet es sofort so aus, daß eine Art metaphysischer Trost alten Stils aus ihm gezogen werden kann;
d) man versucht die göttliche Leitung alten Stils, die belohnende, bestrafende, erziehende, zum Besseren führende Ordnung der Dinge aus dem Geschehen herauszulesen;
e) man glaubt nach wie vor an Gut und Böse: sodaß man den Sieg des Guten und die Vernichtung des Bösen als Aufgabe empfindet (– das ist englisch: typischer Fall der Flachkopf John Stuart Mill);
f) die Verachtung der »Natürlichkeit«, der Begierde, des ego: Versuch, selbst die höchste Geistigkeit und Kunst als Folge einer Entpersönlichung und als désintéressement zu verstehn;
g) man erlaubt der Kirche, sich immer noch in alle wesentlichen Erlebnisse und Hauptpunkte des Einzellebens einzudrängen, um ihnen Weihe, höheren Sinn zu geben: wir haben noch immer den »christlichen Staat«, die »christliche Ehe« –
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31.
Es gab denkendere und zerdachtere Zeiten, als die unsere ist: Zeiten, wie z.B. jene, in der Buddha auftrat, wo das Volk selbst, nach Jahrhunderte alten Sekten-Streitigkeiten, sich endlich so tief in die Klüfte der philosophischen Lehrmeinungen verirrt fand, wie zeitweilig europäische Völker in Feinheiten des religiösen Dogma’s. Man wird sich am wenigsten wohl durch die »Litteratur« und die Presse dazu verführen lassen, vom »Geiste« unsrer Zeit groß zu denken: die Millionen Spiritisten und ein Christenthum mit Turnübungen von jener schauerlichen Häßlichkeit, die alle englischen Erfindungen kennzeichnet, giebt bessere Gesichtspunkte.