Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ðицше
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45.
Zur Hygiene der »Schwachen«. – Alles, was in der Schwäche gethan wird, mißräth. Moral: Nichts thun. Nur ist das Schlimme, daß gerade die Kraft, das Thun auszuhängen, nicht zu reagiren, am stärksten krank ist unter dem Einfluß der Schwäche: daß man nie schneller, nie blinder reagirt als dann, wenn man gar nicht reagiren sollte …
Die Stärke einer Natur zeigt sich im Abwarten und Aufschieben der Reaktion: eine gewisse άδιαφορία ist ihr so zu eigen, wie der Schwäche die Unfreiheit der Gegenbewegung, die Plötzlichkeit, Unhemmbarkeit der »Handlung« … Der Wille ist schwach: und das Recept, um dumme Sachen zu verhüten, wäre, starken Willen zu haben und Nichts zu thun – Contradictio. Eine Art Selbstzerstörung, der Instinkt der Erhaltung ist compromittirt … Der Schwache schadet sich selber … Das ist der Typus der décadence…
Tatsächlich finden wir ein ungeheures Nachdenken über Praktiken, die Impassibilität zu provociren. Der Instinkt ist insofern auf richtiger Spur, als Nichts thun nützlicher ist, als Etwas thun …
Alle Praktiken der Orden, der solitären Philosophen, der Fakirs sind von dem richtigen Werthmaaße eingegeben, daß eine gewisse Art Mensch sich noch am meisten nützt, wenn sie sich so viel wie möglich hindert, zu handeln –
Erleichterungsmittel: der absolute Gehorsam, die machinale Thätigkeit, die Separation von Menschen und Dingen, welche ein sofortiges Entschließen und Handeln fordern würden.
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46.
Schwäche des Willens: das ist ein Gleichniß, das irreführen kann. Denn es giebt keinen Willen, und folglich weder einen starken, noch schwachen Willen. Die Vielheit und Disgregation der Antriebe, der Mangel an System unter ihnen resultirt als »schwacher Wille«; die Koordination derselben unter der Vorherrschaft eines einzelnen resultirt als »starker Wille«; – im erstern Falle ist es das Oscilliren und der Mangel an Schwergewicht; im letztern die Präcision und Klarheit der Richtung.
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47.
Was sich vererbt, das ist nicht die Krankheit, sondern die Krankhaftigkeit: die Unkraft im Widerstande gegen die Gefahr schädlicher Einwanderungen u. s. w., die gebrochene Widerstandskraft; moralisch ausgedrückt: die Resignation und Demuth vor dem Feinde.
Ich habe mich gefragt, ob man nicht alle diese obersten Werthe der bisherigen Philosophie, Moral und Religion mit den Werthen der Geschwächten, Geisteskranken und Neurastheniker vergleichen kann: sie stellen, in einer milderen Form, dieselben Übel dar …
Der Werth aller morbiden Zustände ist, daß sie in einem Vergrößerungsglas gewisse Zustände, die normal, aber als normal schlecht sichtbar sind, zeigen …
Gesundheit und Krankheit sind nichts wesentlich Verschiedenes, wie es die alten Mediciner und heute noch einige Praktiker glauben. Man muß nicht distinkte Principien oder Entitäten daraus machen, die sich um den lebenden Organismus streiten und aus ihm ihren Kampfplatz machen. Das ist albernes Zeug und Geschwätz, das zu Nichts mehr taugt. Thatsächlich giebt es zwischen diesen beiden Arten des Daseins nur Gradunterschiede: die Übertreibung, die Disproportion, die Nicht-Harmonie der normalen Phänomene constituiren den krankhaften Zustand (Claude Bernard).
So gut »das Böse« betrachtet werden kann als Übertreibung, Disharmonie, Disproportion, so gut kann »das Gute« eine Schutzdiät gegen die Gefahr der Übertreibung, Disharmonie und Disproportion sein.
Die erbliche Schwäche, als dominirendes Gefühl: Ursache der obersten Werthe.
NB. Man will Schwäche: warum? … meistens, weil man nothwendig schwach ist.
– Die Schwächung als Aufgabe: Schwächung der Begehrungen, der Lust- und Unlustgefühle, des Willens zur Macht, zum Stolzgefühl, zum Haben- und Mehr-haben-wollen; die Schwächung als Demuth; die Schwächung als Glaube; die Schwächung als Widerwille und Scham an allem Natürlichen, als Verneinung des Lebens, als Krankheit und habituelle Schwäche … die Schwächung als Verzichtleisten auf Rache, auf Widerstand, auf Feindschaft und Zorn.
Der Fehlgriff in der Behandlung: man will die Schwäche nicht bekämpfen durch ein système fortifiant, sondern durch eine Art Rechtfertigung und Moralisirung: d. h. durch eine Auslegung …
– Die Verwechslung zweier gänzlich verschiedener Zustände: z.B. die Ruhe der Stärke, welche wesentlich Enthaltung der Reaktion ist (der Typus der Götter, welche nichts bewegt), – und die Ruhe der Erschöpfung, die Starrheit, bis zur Anästhesie. Alle philosophisch-asketischen Proceduren streben nach der zweiten, aber meinen in der That die erste … denn sie legen dem erreichten Zustande die Prädikate bei, wie als ob ein göttlicher Zustand erreicht sei.
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48
Das gefährlichste Mißverständnis. – Es giebt einen Begriff, der anscheinend keine Verwechslung, keine Zweideutigkeit zuläßt: das ist der der Erschöpfung. Diese kann erworben sein; sie kann ererbt sein, – in jedem Falle verändert sie den Aspekt der Dinge, den Werth der Dinge …
Im Gegensatz zu Dem, der aus der Fülle, welche er darstellt und fühlt, unfreiwillig abgiebt an die Dinge, sie voller, mächtiger, zukunftsreicher sieht, – der jedenfalls schenken kann –, verkleinert und verhunzt der
(Nr. 49. folgt weiter unten. Re.)
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