Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ðицше
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Vielmehr umgekehrt! Es giebt Nichts am Leben, was Werth hat, außer dem Grade der Macht – gesetzt eben, daß Leben selbst der Wille zur Macht ist. Die Moral behütete die Schlechtweggekommenen vor Nihilismus, indem sie Jedem einen unendlichen Werth, einen metaphysischen Werth beimaß und in eine Ordnung einreihte, die mit der der weltlichen Macht und Rangordnung nicht stimmt: sie lehrte Ergebung, Demuth u. s. w. Gesetzt, daß der Glaube an diese Moral zu Grunde geht, so würden die Schlechtweggekommenen ihren Trost nicht mehr haben – und zu Grunde gehn.
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Das Zu-Grunde-gehen präsentirt sich als ein Sich-zu-Grunde-richten, als ein instinktives Auslesen Dessen, was zerstören muß. Symptome dieser Selbstzerstörung der Schlechtweggekommenen: die Selbstvivisektion, die Vergiftung, Berauschung, Romantik, vor Allem die instinktive Nöthigung zu Handlungen, mit denen man die Mächtigen zu Todfeinden macht (– gleichsam sich seine Henker selbst züchtend), der Wille zur Zerstörung als Wille eines noch tieferen Instinkts, des Instinkts der Selbstzerstörung, des Willens in’s Nichts.
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Nihilismus, als Symptom davon, daß die Schlechtweggekommenen keinen Trost mehr haben: daß sie zerstören, um zerstört zu werden, daß sie, von der Moral abgelöst, keinen Grund mehr haben, »sich zu ergeben«, – daß sie sich auf den Boden des entgegengesetzten Princips stellen und auch ihrerseits Macht wollen, indem sie die Mächtigen zwingen, ihre Henker zu sein. Dies ist die europäische Form des Buddhismus, das Nein-thun, nachdem alles Dasein seinen »Sinn« verloren hat.
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Die »Noth« ist nicht etwa größer geworden: im Gegentheil! »Gott, Moral, Ergebung« waren Heilmittel, auf furchtbar tiefen Stufen des Elends: der aktive Nihilismus tritt bei relativ viel günstiger gestalteten Verhältnissen auf. Schon daß die Moral als überwunden empfunden wird, setzt einen ziemlichen Grad geistiger Cultur voraus; diese wieder ein relatives Wohlleben. Eine gewisse geistige Ermüdung, durch den langen Kampf philosophischer Meinungen bis zur hoffnungslosesten Skepsis gegen Philosophie gebracht, kennzeichnet ebenfalls den keineswegs niederen Stand jener Nihilisten. Man denke an die Lage, in der Buddha auftrat. Die Lehre der ewigen Wiederkunft würde gelehrte Voraussetzungen haben (wie die Lehre Buddha’s solche hatte, zum Beispiel Begriff der Causalität u. s. w.).
Was heißt jetzt »schlechtweggekommen«? Vor Allem physiologisch: nicht mehr politisch. Die ungesundeste Art Mensch in Europa (in allen Ständen) ist der Boden dieses Nihilismus: sie wird den Glauben an die ewige Wiederkunft als einen Fluch empfinden, von dem getroffen man vor keiner Handlung mehr zurückscheut: nicht passiv auslöschen, sondern Alles auslöschen machen, was in diesem Grade sinn- und ziellos ist: obwohl es nur ein Krampf, ein blindes Wüthen ist bei der Einsicht, daß Alles seit Ewigkeiten da war – auch dieser Moment von Nihilismus und Zerstörungslust. – Der Werth einer solchen Krisis ist, daß sie reinigt, daß sie die verwandten Elemente zusammendrängt und sich an einander verderben macht, daß sie den Menschen entgegengesetzter Denkweisen gemeinsame Aufgaben zuweist – auch unter ihnen die schwächeren, unsichreren an’s Licht bringend und so zu einer Rangordnung der Kräfte, vom Gesichtspunkt der Gesundheit, den Anstoß giebt: Befehlende als Befehlende erkennend. Gehorchende als Gehorchende. Natürlich abseits von allen bestehenden Gesellschaftsordnungen.
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Welche werden sich als die Stärksten dabei erweisen? Die Mäßigsten, Die, welche keine extremen Glaubenssätze nöthig haben, Die, welche einen guten Theil Zufall, Unsinn nicht nur zugestehn, sondern lieben, Die, welche vom Menschen mit einer bedeutenden Ermäßigung seines Werthes denken können, ohne dadurch klein und schwach zu werden: die Reichsten an Gesundheit, die den meisten Malheurs gewachsen sind und deshalb sich vor den Malheurs nicht so fürchten – Menschen, die ihrer Macht sicher sind und die die erreichte Kraft des Menschen mit bewußtem Stolze repräsentiren.
Wie dächte ein solcher Mensch an die ewige Wiederkunft?
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56.
Perioden des europäischen Nihilismus
Die Periode der Unklarheit, der Tentativen aller Art, das Alte zu conserviren und das Neue nicht fahren zu lassen.
Die Periode der Klarheit: man begreift, daß Altes und Neues Grundgegensätze sind: die alten Werthe aus dem niedergehenden, die neuen aus dem aufsteigenden Leben geboren –, daß alle alten Ideale lebensfeindliche Ideale sind (aus der décadence geboren und die décadence bestimmend, wie sehr auch im prachtvollen Sonntags-Aufputz der Moral). Wir verstehen das Alte und sind lange nicht stark genug zu einem Neuen.
Die Periode der drei großen Affekte: der Verachtung, des Mitleids, der Zerstörung.
Die Periode der Katastrophe: die Heraufkunft einer Lehre, welche die Menschen aussiebt