Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше Gesammelte Werke bei Null Papier

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ist? … Daß die deut­sche Re­for­ma­ti­on eine Re­cru­de­scenz der christ­li­chen Bar­ba­rei ist? … Daß die Re­vo­lu­ti­on den In­stinkt zur großen Or­ga­ni­sa­ti­on der Ge­sell­schaft zer­stört hat? … Der Mensch ist kein Fort­schritt ge­gen das Thier: der Cul­tur-Zärt­ling ist eine Miß­ge­burt im Ver­gleich zum Ara­ber und Cor­sen; der Chi­ne­se ist ein wohl­ge­ra­th­ne­rer Ty­pus, näm­lich dau­er­fä­hi­ger, als der Eu­ro­pä­er …

      b) Die letzten Jahrhunderte.

      *

      91.

      Die Ver­düs­te­rung, die pes­si­mis­ti­sche Fär­bung kommt nothwen­dig im Ge­fol­ge der Auf­klä­rung. Ge­gen 1770 be­merk­te man be­reits die Ab­nah­me der Hei­ter­keit; Frau­en dach­ten, mit je­nem weib­li­chen In­stinkt, der im­mer zu Guns­ten der Tu­gend Par­tei nimmt, daß die Im­mo­ra­li­tät dar­an Schuld sei. Ga­lia­ni traf in’s Schwar­ze: er ci­tirt Vol­tai­re’s Vers:

       Un mons­tre gai vaut mieux

       Qu’un sen­ti­men­tal en­nuy­eux.

      Wenn ich nun ver­mei­ne, jetzt um ein paar Jahr­hun­der­te Vol­tai­ren und so­gar Ga­lia­ni – der et­was viel Tie­fe­res war – in der Auf­klä­rung vor­aus zu sein: wie weit muß­te ich also gar in der Ver­düs­te­rung ge­langt sein! Dies ist auch wahr: und ich nahm zei­tig mich mit ei­ner Art Be­dau­ern in Acht vor der deut­schen und christ­li­chen Enge und Fol­ge-Un­rich­tig­keit des Scho­pen­hau­er’­schen oder gar Leo­par­di’­schen Pes­si­mis­mus und such­te die prin­ci­pi­ells­ten For­men auf (– Asi­en –). Um aber die­sen ex­tre­men Pes­si­mis­mus zu er­tra­gen (wie er hier und da aus mei­ner »Ge­burt der Tra­gö­die« her­aus­klingt), »ohne Gott und Moral« al­lein zu le­ben, muß­te ich mir ein Ge­gen­stück er­fin­den. Vi­el­leicht weiß ich am bes­ten, warum der Mensch al­lein lacht: er al­lein lei­det so tief, daß er das La­chen er­fin­den muß­te. Das un­glück­lichs­te und me­lan­cho­lischs­te Thier ist, wie bil­lig, das hei­ters­te.

      *

      92.

      In Be­zug auf deut­sche Cul­tur habe ich das Ge­fühl des Nie­der­gangs im­mer ge­habt. Das hat mich oft un­bil­lig ge­gen das gan­ze Phä­no­men der eu­ro­päi­schen Cul­tur ge­macht, daß ich eine nie­der­ge­hen­de Art ken­nen lern­te. Die Deut­schen kom­men im­mer spä­ter hin­ter­drein: sie tra­gen Et­was in der Tie­fe, z. B. –

      Ab­hän­gig­keit vom Aus­land: z. B. Kant – Rous­seau, Sen­sua­lis­ten, Hume, Swe­den­borg.

      Scho­pen­hau­er – In­der und Ro­man­tik, Vol­taire.

      Wa­gner – fran­zö­si­scher Cul­tus des Gräß­li­chen und der großen Oper, Pa­ris und Flucht in Ur­zu­stän­de (die Schwes­ter-Ehe).

      – Ge­setz der Nach­züg­ler (Pro­vinz nach Pa­ris, Deutsch­land nach Frank­reich). Wie­so ge­ra­de Deut­sche das Grie­chi­sche ent­deck­ten (: je stär­ker man einen Trieb ent­wi­ckelt, umso an­zie­hen­der wird es, sich ein­mal in sei­nen Ge­gen­satz zu stür­zen).

      Mu­sik ist Ausklin­gen.

      *

      93.

      Re­naissance und Re­for­ma­ti­on. – Was be­weist die Re­naissance? Daß das Reich des »In­di­vi­du­ums« nur kurz sein kann. Die Ver­schwen­dung ist zu groß: es fehlt die Mög­lich­keit selbst, zu sam­meln, zu ca­pi­ta­li­si­ren, und die Er­schöp­fung folgt auf dem Fuße. Es sind Zei­ten, wo Al­les vert­han wird, wo die Kraft selbst verthan wird, mit der man sam­melt, ca­pi­ta­li­sirt, Reicht­hum auf Reicht­hum häuft … Selbst die Geg­ner sol­cher Be­we­gun­gen sind zu ei­ner un­sin­ni­gen Kraft­ver­geu­dung ge­zwun­gen; auch sie wer­den als­bald er­schöpft, aus­ge­braucht, öde.

      Wir ha­ben in der Re­for­ma­ti­on ein wüs­tes und pö­bel­haf­tes Ge­gen­stück zur Re­naissance Ita­li­ens, ver­wand­ten An­trie­ben ent­sprun­gen, nur daß die­se im zu­rück­ge­blie­be­nen, ge­mein ge­blie­be­nen Nor­den sich re­li­gi­ös ver­klei­den muß­ten, – dort hat­te sich der Be­griff des hö­he­ren Le­bens von dem des re­li­gi­ösen Le­bens noch nicht ab­ge­löst.

      Auch mit der Re­for­ma­ti­on will das In­di­vi­du­um zur Frei­heit; »Je­der sein eig­ner Pries­ter« ist auch nur eine For­mel der Li­ber­ti­na­ge. In Wahr­heit ge­nüg­te Ein Wort – »evan­ge­li­sche Frei­heit« – und alle In­stink­te, die Grund hat­ten, im Ver­bor­ge­nen zu blei­ben, bra­chen wie wil­de Hun­de her­aus, die bru­tals­ten Be­dürf­nis­se be­ka­men mit Ei­nem Male den Muth zu sich, Al­les schi­en ge­recht­fer­tigt … Man hü­te­te sich zu be­grei­fen, wel­che Frei­heit man im Grun­de ge­meint hat­te, man schloß die Au­gen vor sich … Aber daß man die Au­gen zu­mach­te und die Lip­pen mit schwär­me­ri­schen Re­den be­netz­te, hin­der­te nicht, daß die Hän­de zu­grif­fen, wo Et­was zu grei­fen war, daß der Bauch der Gott des »frei­en Evan­ge­li­ums« wur­de, daß alle Ra­che- und Neid-Ge­lüs­te sich in un­er­sätt­li­cher Wuth be­frie­dig­ten …

      Dies dau­er­te eine Wei­le: dann kam die Er­schöp­fung, ganz so wie sie im Sü­den Eu­ro­pa’s ge­kom­men war; und auch hier wie­der eine ge­mei­ne Art Er­schöp­fung, ein all­ge­mei­nes rue­re in ser­vi­tu­tem … Es kam das u­n­an­stän­di­ge Jahr­hun­dert Deutsch­lands …

      *

      94.

      Die Rit­ter­lich­keit als die er­run­ge­ne Po­si­ti­on der Macht: ihr all­mäh­li­ches Zer­bre­chen (und zum Theil Über­gang in’s Brei­te­re, Bür­ger­li­che). Bei Lar­oche­fou­cauld ist Be­wußt­sein über die ei­gent­li­chen Trieb­fe­dern der No­bles­se des Ge­müths da – und christ­lich ver­düs­ter­te Beurt­hei­lung die­ser Trieb­fe­dern.

      Fort­set­zung des Chris­tent­hums durch die fran­zö­si­sche Re­vo­lu­ti­on. Der Ver­füh­rer ist Rous­seau: er ent­fes­selt das Weib wie­der, das von da an im­mer in­ter­essan­ter – lei­den­d – dar­ge­stellt wird. Dann die Scla­ven und Mistreß Bee­cher-Sto­we. Dann die Ar­men und die Ar­bei­ter. Dann die Las­ter­haf­ten und Kran­ken, – Al­les das wird in den Vor­der­grund ge­stellt (selbst um für das Ge­nie ein­zu­neh­men, wis­sen sie seit fünf­hun­dert Jah­ren es nicht an­ders als den großen Leid­trä­ger dar­zu­stel­len!). Dann kommt der Fluch auf die Wol­lust (Bau­de­laire und Scho­pen­hau­er); die ent­schie­dens­te Über­zeu­gung, daß Herrsch­sucht das größ­te Las­ter ist; voll­kom­me­ne Si­cher­heit dar­in, daß Moral und dé­sintéres­se­ment iden­ti­sche Be­grif­fe sind; daß das »Glück Al­ler« ein er­stre­bens­wert­hes Ziel sei (d.h. das Him­mel­reich Chris­ti). Wir sind auf dem bes­ten Wege: das Him­mel­reich der Ar­men des Geis­tes hat be­gon­nen. – Zwi­schen­stu­fen:

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