Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ðицше
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102.
Inwiefern die christlichen Jahrhunderte mit ihrem Pessimismus stärkere Jahrhunderte waren als das 18. Jahrhundert – entsprechend das tragische Zeitalter der Griechen –.
Das 19. Jahrhundert gegen das 18. Jahrhundert. Worin Erbe, – worin Rückgang gegen dasselbe (: »geist«loser, geschmackloser), – worin Fortschritt über dasselbe (: düsterer, realistischer, stärker).
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103.
Was bedeutet daß, daß wir die Campagna romana nachfühlen? Und das Hochgebirge? Chateaubriand 1803 in einem Brief an M. de Fontanes giebt den ersten Eindruck der Campagna romana.
Der Präsident de Brosses sagt von der Campagna romana: «il fallait que Romulus fût ivre, quand il sougea à bâtir une ville dans un terrain aussi laid.«
Auch Delacroix wollte Rom nicht, es machte ihm Furcht. Er schwärmte für Venedig, wie Shakespeare, wie Byron, wie George Sand. Die Abneigung gegen Rom auch bei Theoph. Gautier – und bei Rich. Wagner.
Lamartine hat für Sorrent und den Posilipp die Sprache –
Victor Hugo schwärmt für Spanien, »parce que aucune autre nation n’a moins emprunté à l’antiquité, parce qu’elle n’a subi aucune influence classique.«
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104.
Die beiden großen Tentativen, die gemacht worden sind, das 18. Jahrhundert zu überwinden:
Napoleon, indem er den Mann, den Soldaten und den großen Kampf um Macht wieder aufweckte – Europa als politische Einheit concipirend;
Goethe, indem er eine europäische Cultur imaginirte, die die volle Erbschaft der schon erreichten Humanität macht.
Die deutsche Cultur dieses Jahrhunderts erweckt Mißtrauen – in der Musik fehlt jenes volle, erlösende und bindende Element Goethe –
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105.
Das Übergewicht der Musik in den Romantikern von 1830 und 1840. Delacroix. Ingres, ein leidenschaftltcher Musiker (Cultus für Gluck, Haydn, Beethoven, Mozart) sagte seinen Schülern in Rom »si je pouvais vous rendre tous musiciens, vous y gagneriez comme peintres« –; insgleichen Horace Vernet, mit einer besonderen Leidenschaft für den Don Juan (wie Mendelssohn bezeugt 1831); insgleichen Stendhal, der von sich sagt: Combien de lieues ne ferais-je pas à pied, et à combien de jours de prison ne me soumetterais-je pas pour entendre *Don Juan ou le Matrimonio segreto; et je ne sais pour quelle autre chose je ferais cet effort.* Damals war er 56 Jahre alt.
Die entliehenen Formen, z. B. Brahms als typischer »Epigone«, Mendelssohn’s gebildeter Protestantismus ebenfalls (eine frühere »Seele« wird nachgedichtet …)
– die moralischen und poetischen Substitutionen bei Wagner, die eine Kunst als Nothbehelf für Mängel in der anderen,
– der »historische Sinn«, die Inspiration durch Dichten, Sagen,
– jene typische Verwandlung, für die unter Franzosen G. Flaubert, unter Deutschen Richard Wagner das deutlichste Beispiel ist, wie der romantische Glaube an die Liebe und die Zukunft in das Verlangen zum Nichts sich verwandelt, 1830 in 1850.
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106.
Warum culminirt die deutsche Musik zur Zeit der deutschen Romantik? Warum fehlt Goethe in der deutschen Musik? Wie viel Schiller, genauer wie viel »Thekla« ist dagegen in Beethoven!
Schumann hat Eichendorff, Uhland, Heine, Hoffmann, Tieck in sich. Richard Wagner hat Freischütz, Hoffmann, Grimm, die romantische Sage, den mystischen Katholicismus des Instinkts, den Symbolismus, die »Freigeisterei der Leidenschaft« (Rousseau’s Absicht). Der »Fliegende Holländer« schmeckt nach Frankreich, wo le ténébreux 1830 der Verführer-Typus war.
Cultus der Musik, der revolutionären Romantik der Form. Wagner resümirt die Romantik, die deutsche und die französische –
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107.
Richard Wagner bleibt, bloß in Hinsicht auf seinen Werth für Deutschland und deutsche Cultur abgeschätzt, ein großes Fragezeichen, ein deutsches Unglück vielleicht, ein Schicksal in jedem Falle: aber was liegt daran? Ist er nicht sehr viel mehr, als bloß ein deutsches Ereigniß? Es will mir sogar scheinen, daß er nirgendswo weniger hingehört als nach Deutschland: Nichts ist daselbst auf ihn vorbereitet, sein ganzer Typus steht unter Deutschen einfach fremd, wunderlich, unverstanden, unverständlich da. Aber man hütet sich, das sich einzugestehen: dazu ist man zu gutmüthig, zu viereckig, zu deutsch. »Credo quia absurdus est«: so will es und wollte es auch in diesem Falle der deutsche Geist – und so glaubt er einstweilen Alles, was Wagner über sich selbst geglaubt haben wollte. Der deutsche Geist hat zu allen Zeiten in psychologicis der Feinheit und Divination ermangelt. Heute, wo er unter dem Hochdruck der Vaterländerei und Selbstbewunderung steht, verdickt und vergröbert er sich zusehends; wie sollte er dem Problem Wagner gewachsen sein! –
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