Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ðицше
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ðицше страница 266
*
121.
Cultur contra Civilisation. – Die Höhepunkte der Cultur und der Civilisation liegen auseinander: man soll sich über den abgründlichen Antagonismus von Cultur und Civilisation nicht irre führen lassen. Die großen Momente der Cultur waren immer, moralisch geredet, Zeiten der Corruption; und wiederum waren die Epochen der gewollten und erzwungenen Thierzähmung des Menschen (»Civilisation« –) Zeiten der Unduldsamkeit für die geistigsten und kühnsten Naturen. Civilisation will etwas Anderes, als Cultur will: vielleicht etwas Umgekehrtes …
*
122.
Wovor ich warne: die décadence-Instinkte nicht mit der Humanität zu verwechseln;
:die auflösenden und nothwendig zur *décadence treibenden Mittel* der Civilisation nicht mit der Cultur zu verwechseln;
:die Libertinage, das Princip des »laisser aller«, nicht mit dem Willen zur Macht zu verwechseln (– er ist dessen Gegenprincip).
*
123.
Die unerledigten Probleme, die ich neu stelle: das Problem der Civilisation, der Kampf zwischen Rousseau und Voltaire um 1760. Der Mensch wird tiefer, mißtrauischer, »unmoralischer«, stärker, sich-selbst-vertrauender – und insofern »natürlicher«: das ist »Fortschritt«. – Dabei legen sich, durch eine Art von Arbeitstheilung, die verböserten Schichten und die gemilderten, gezähmten auseinander: sodaß die Gesammtthatsache nicht ohne Weiteres in die Augen springt …
Es gehört zur Stärke, zur Selbstbeherrschung und Fascination der Stärke, daß diese stärkeren Schichten die Kunst besitzen, ihre Verböserung als etwas Höheres empfinden zu machen. Zu jedem »Fortschritt« gehört eine Umdeutung der verstärkten Elemente in’s »Gute«.
*
124.
Daß man den Menschen den Muth zu ihren Naturtrieben wiedergiebt –
Daß man ihrer Selbstunterschätzung steuert ( nicht der des Menschen als Individuums, sondern der des Menschen als Natur …) –
Daß man die Gegensätze herausnimmt aus den Dingen, nachdem man begreift, daß wir sie hineingelegt haben –
Daß man die Gesellschafts-Idiosynkrasie aus dem Dasein überhaupt herausnimmt (Schuld, Strafe, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Freiheit, Liebe u. s. w.) –
Fortschritt zur »Natürlichkeit«: in allen politischen Fragen, auch im Verhältniß von Parteien, selbst von merkantilen oder Arbeiter- oder Unternehmer-Parteien, handelt es sich um Machtfragen – »was man kann« und erst daraufhin, was man soll.
*
125.
Der Socialismus – als die zu Ende gedachte Tyrannei der Geringsten und Dümmsten, d.h. der Oberflächlichen, Neidischen und der Dreiviertels-Schauspieler – ist in der That die Schlußfolgerung der »modernen Ideen« und ihres latenten Anarchismus: aber in der lauen Luft eines demokratischen Wohlbefindens erschlafft das Vermögen, zu Schlüssen oder gar zum Schluß zu kommen. Man folgt, – aber man folgert nicht mehr. Deshalb ist der Socialismus im Ganzen eine hoffnungslose säuerliche Sache: und Nichts ist lustiger anzusehn, als der Widerspruch zwischen den giftigen und verzweifelten Gesichtern, welche heute die Socialisten machen – und von was für erbärmlichen gequetschten Gefühlen legt gar ihr Stil Zeugniß ab! – und dem harmlosen Lämmer-Glück ihrer Hoffnungen und Wünschbarkeiten. Dabei kann es doch an vielen Orten Europa’s ihrerseits zu gewaltigen Handstreichen und Überfällen kommen: dem nächsten Jahrhundert wird es hie und da gründlich im Leibe »rumoren«, und die Pariser Commune, welche auch in Deutschland ihre Schutzredner und Fürsprecher hat, war vielleicht nur eine leichtere Unverdaulichkeit gewesen im Vergleich zu dem, was kommt. Trotzdem wird es immer zu viel Besitzende geben, als daß der Socialismus mehr bedeuten könnte als einen Krankheits-Anfall: und diese Besitzenden sind wie Ein Mann Eines Glaubens »man muß Etwas besitzen, um Etwas zu sein«. Dies aber ist der älteste und gesündeste aller Instinkte: ich würde hinzufügen »man muß mehr haben wollen, als man hat, um mehr zu werden«. So nämlich klingt die Lehre, welche Allem, was lebt, durch das Leben selber gepredigt wird: die Moral der Entwicklung. Haben und mehr haben wollen, Wachsthum mit einem Wort – das ist das Leben selber. In der Lehre des Socialismus versteckt sich schlecht ein »Wille zur Verneinung des Lebens«: es müssen mißrathene Menschen oder Rassen sein, welche eine solche Lehre ausdenken. In der That, ich wünschte, es würde durch einige große Versuche bewiesen, daß in einer socialistischen Gesellschaft das Leben sich selber verneint, sich selber die Wurzeln abschneidet. Die Erde ist groß genug und der Mensch immer noch unausgeschöpft genug, als daß mir eine derart praktische Belehrung und demonstratio ad absurdum, selbst wenn sie mit einem ungeheuren Aufwand von Menschenleben gewonnen würde, nicht wünschenswerth erscheinen müßte. Immerhin, schon als unruhiger Maulwurf unter dem Boden einer in Dummheit rollenden Gesellschaft wird der Socialismus etwas Nützliches und Heilsames sein können: er verzögert den »Frieden auf Erden« und die gänzliche Vergutmüthigung des demokratischen Heerdenthieres, er zwingt die Europäer, Geist, nämlich List und Vorsicht übrig zu behalten, den männlichen und kriegerischen Tugenden nicht gänzlich abzuschwören, – er schützt Europa einstweilen vor dem ihm drohenden marasmus feminismus.
*