Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше Gesammelte Werke bei Null Papier

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die »Vor­nehm­heit« … Wir Alle sind heu­te die Für­spre­cher des Le­bens –. Wir Im­mo­ra­lis­ten sind heu­te die stärks­te Macht: die großen an­dern Mäch­te brau­chen uns … wir con­strui­ren die Welt nach un­serm Bil­de –.

      Wir ha­ben den Be­griff »Tschan­da­la« auf die Pries­ter, Jen­seits-Leh­rer und die mit ih­nen ver­wach­se­ne christ­li­che Ge­sell­schaft über­tra­gen, hin­zu­ge­nom­men was glei­chen Ur­sprungs ist, die Pes­si­mis­ten. Ni­hi­lis­ten, Mit­leids-Ro­man­ti­ker, Ver­bre­cher, Las­ter­haf­ten, – die ge­samm­te Sphä­re, wo der Be­griff »Gott« als Hei­lan­d ima­gi­nirt wird …

      Wir sind stolz dar­auf, kei­ne Lüg­ner mehr sein zu müs­sen, kei­ne Ver­leum­der, kei­ne Ver­däch­ti­ger des Le­bens …

      *

      117.

      Fort­schrit­t des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts ge­gen das acht­zehn­te (– im Grun­de füh­ren wir gu­ten Eu­ro­pä­er einen Krieg ge­gen das acht­zehn­te Jahr­hun­dert –):

      1) »Rück­kehr zur Na­tur« im­mer ent­schie­de­ner im um­ge­kehr­ten Sin­ne ver­stan­den, als es Rous­seau ver­stand; – weg vom Idyll und der Oper!

      2) im­mer ent­schie­de­ner an­ti­idea­lis­tisch, ge­gen­ständ­li­cher, furcht­lo­ser, ar­beit­sa­mer, maß­vol­ler, miß­traui­scher ge­gen plötz­li­che Ver­än­de­run­gen, an­ti­re­vo­lu­tio­när;

      3) im­mer ent­schie­de­ner die Fra­ge der Ge­sund­heit des Lei­bes der »der See­le« vor­an­stel­lend: letz­te­re als einen Zu­stand in Fol­ge der ers­te­ren be­grei­fend, die­se min­des­tens als die Vor­be­din­gung der Ge­sund­heit der See­le.

      *

      118.

      Wenn ir­gend Et­was er­reicht ist, so ist es ein harm­lo­se­res Ver­hal­ten zu den Sin­nen, eine freu­di­ge­re, wohl­wol­len­de­re, Goe­thi­sche­re Stel­lung zur Sinn­lich­keit; ins­glei­chen eine stol­ze­re Emp­fin­dung in Be­treff des Er­ken­nens: so­daß der »rei­ne Thor« we­nig Glau­ben fin­det.

      *

      119.

      Wir »Ob­jek­ti­ven«. – Das ist nicht das »Mit­leid«, was uns die Tho­re zu den ferns­ten und frem­des­ten Ar­ten Sein und Cul­tur auf­macht; son­dern uns­re Zu­gäng­lich­keit und Un­be­fan­gen­heit, wel­che ge­ra­de nicht »mit­lei­det«, son­dern im Ge­gent­heil sich bei hun­dert Din­gen er­götzt, wo man ehe­dem litt (em­pört oder er­grif­fen war, oder feind­se­lig und kalt blick­te –). Das Lei­den in al­len Nuan­cen ist uns jetzt in­ter­essant: da­mit sind wir ge­wiß nicht die Mit­lei­di­ge­ren, selbst wenn der An­blick des Lei­dens uns durch und durch er­schüt­tert und zu Thrä­nen rührt: – wir sind schlech­ter­dings des­halb nicht hül­f­rei­cher ge­stimmt.

      In die­sem frei­wil­li­gen An­schau­en-wol­len von al­ler Art Noth und Ver­ge­hen sind wir stär­ker und kräf­ti­ger ge­wor­den, als es das 18. Jahr­hun­dert war; es ist ein Be­weis un­se­res Wachst­hums an Kraft (– wir ha­ben uns dem 17. und 16. Jahr­hun­dert ge­nä­her­t). Aber es ist ein tie­fes Miß­ver­ständ­niß, uns­re »Ro­man­tik« als Be­weis uns­rer »ver­schö­ner­ten See­le« auf­zu­fas­sen. Wir wol­len star­ke sen­sa­ti­ons, wie alle grö­be­ren Zei­ten und Volks­schich­ten sie wol­len. (Dies hat man wohl aus­ein­an­der zu hal­ten vom Be­dürf­niß der Ner­ven­schwa­chen und dé­ca­dent­s: bei de­nen ist das Be­dürf­niß nach Pfef­fer da, selbst nach Grau­sam­keit.)

      Wir Al­le su­chen Zu­stän­de, in de­nen die bür­ger­li­che Moral nicht mehr mit­re­det, noch we­ni­ger die pries­ter­li­che (– wir ha­ben bei je­dem Bu­che, an dem et­was Pfar­rer- und Theo­lo­gen­luft hän­gen ge­blie­ben ist, den Ein­druck ei­ner be­mit­lei­dens­wert­hen niai­se­rie und Ar­muth). Die »gute Ge­sell­schaft« ist die, wo im Grun­de Nichts in­ter­es­sirt, als was bei der bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft ver­bo­ten ist und üb­len Ruf macht: eben­so steht es mit Bü­chern, mit Mu­sik, mit Po­li­tik, mit der Schät­zung des Wei­bes.

      *

      120.

      Die Ver­na­tür­li­chung des Men­schen im 19. Jahr­hun­der­t (– das 18. Jahr­hun­dert ist das der Ele­ganz, der Fein­heit und der sen­ti­ments généreux). – Nicht »Rück­kehr zur Na­tur«: denn es gab noch nie­mals eine na­tür­li­che Mensch­heit. Die Scho­las­tik un- und wi­der-na­tür­li­cher Wert­he ist die Re­gel, ist der An­fang; zur Na­tur kommt der Mensch nach lan­gem Kamp­fe, – er kehrt nie »zu­rück« … Die Na­tur: d. h. es wa­gen, un­mo­ra­lisch zu sein wie die Na­tur.

      Wir sind grö­ber, di­rek­ter, vol­ler Iro­nie ge­gen ge­neröse Ge­füh­le, selbst wenn wir ih­nen un­ter­lie­gen.

      Na­tür­li­cher ist uns­re ers­te Ge­sell­schaft, die der Rei­chen, der Mü­ßi­gen: man macht Jagd auf ein­an­der, die Ge­schlechts­lie­be ist eine Art Sport, bei dem die Ehe ein Hin­der­niß und einen Reiz ab­giebt; man un­ter­hält sich und lebt um des Ver­gnü­gens wil­len; man schätzt die kör­per­li­chen Vor­zü­ge in ers­ter Li­nie, man ist neu­gie­rig und ge­wagt.

      Na­tür­li­cher ist uns­re Stel­lung zur Er­kennt­niß; wir ha­ben die Li­ber­ti­na­ge des Geis­tes in al­ler Un­schuld, wir has­sen die pa­the­ti­schen und hie­ra­ti­schen Ma­nie­ren, wir er­göt­zen uns am Ver­bo­tens­ten, wir wüß­ten kaum noch ein In­ter­es­se der Er­kennt­niß), wenn wir uns auf dem Wege zu ihr zu lang­wei­len hät­ten.

      Na­tür­li­cher ist uns­re Stel­lung zur Moral. Prin­ci­pi­en sind lä­cher­lich ge­wor­den; Nie­mand er­laubt sich ohne Iro­nie mehr von sei­ner »Pf­licht« zu re­den. Aber man schätzt eine hül­f­rei­che, wohl­wol­len­de Ge­sin­nung (– man sieht im In­stink­t die Moral und dédaignirt den Rest. Au­ßer­dem ein paar Ehren­punkts-Be­grif­fe –).

      Na­tür­li­cher ist uns­re Stel­lung in po­li­ti­cis: wir se­hen Pro­ble­me der Macht, des Quan­tums Macht ge­gen ein an­de­res Quan­tum. Wir glau­ben nicht an ein Recht, das nicht auf der Macht ruht, sich durch­zu­set­zen: wir emp­fin­den alle Rech­te als Erobe­run­gen.

      Na­tür­li­cher ist uns­re Schät­zung großer Men­schen und Din­ge: wir rech­nen die Lei­den­schaft als ein Vor­recht, wir fin­den Nichts groß, wo nicht ein großes Ver­bre­chen ein­be­grif­fen ist; wir con­ci­pi­ren al­les Groß-sein als ein Sich-au­ßer­halb-stel­len in Be­zug auf Moral.

      Na­tür­li­cher ist uns­re Stel­lung zur Na­tur: wir lie­ben sie nicht mehr um ih­rer »Un­schuld«, »Ver­nunft«, »Schön­heit« wil­len, wir ha­ben sie hübsch »ver­teu­felt« und »ver­dummt«. Aber statt sie dar­um zu ver­ach­ten, füh­len wir uns seit­dem ver­wand­ter und hei­mi­scher

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