Gesammelte Werke. Джек Лондон
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Als einziger von der ganzen Besatzung lebte ich mit allen auf gutem Fuße und stand in aller Gunst. Die Jäger duldeten mich möglicherweise nur, obgleich mich keiner von ihnen haßte. Smoke und Henderson, die als Genesende in Hängematten unter einem über Deck gespannten Sonnensegel lagen, versicherten mir jedoch, ich sei besser als eine Krankenschwester, und sie würden an mich denken, wenn sie am Ende der Reise ihre Löhnung ausbezahlt erhielten. (Als ob ich ihres Geldes bedurft hätte! Ich, der ich den ganzen Schoner mit allem, was an Bord war, hätte kaufen und zwanzigfach bezahlen können!) Aber mir war die Aufgabe zugefallen, ihre Wunden zu pflegen und sie durchzubringen, und ich tat mein Bestes.
Wolf Larsen hatte wieder einen schrecklichen Anfall von Kopfschmerzen. Er mußte schrecklich leiden, denn er rief mich zu sich und gehorchte meinen Anweisungen wie ein krankes Kind. Aber ich konnte nichts tun, um ihm Erleichterung zu schaffen. Auf meine Ermahnung rauchte und trank er jedoch nicht. Wieso ein so prachtvolles Tier wie er überhaupt Kopfschmerzen haben konnte, war mir rätselhaft.
„Es ist Gottes Hand, sage ich dir." Das war Louis' Auffassung. „Es ist eine Heimsuchung zur Strafe für seine schwarzen Taten, und es wird noch ganz anders kommen, oder ..."
„Oder ...", forschte ich.
„Oder Gott schläft und versäumt seine Pflicht."
Endlich ist mir ein Licht aufgegangen, daß ich die Frauen nie richtig eingeschätzt habe. Obwohl ich weiß Gott kein Schürzenjäger bin, hatte ich doch nie in einer völlig frauenleeren Atmosphäre gelebt. Mutter und Schwestern waren immer um mich gewesen, und ich hatte ihnen stets zu entrinnen gesucht, denn sie quälten mich bis zur Verzweiflung mit ihrer Sorge um meine Gesundheit und ihren periodischen Einfällen in mein Zimmer, die mein „geordnetes" Durcheinander, auf das ich nicht wenig stolz war, in ein noch größeres, wenn auch dem Auge wohlgefälligeres Durcheinander verwandelten. Ich konnte nie etwas wiederfinden, wenn sie mich verlassen hatten. Aber ach, wie willkommen wäre mir jetzt ihre Gegenwart, das Rascheln ihrer Kleider gewesen, das ich so von Herzen verabscheut hatte!
So vieles wundert mich. Wo sind die Mütter dieser zwanzig • zusammengewürfelten Männer auf der Ghost! Es erscheint mir unnatürlich und ungesund, daß sich Männer völlig getrennt von Frauen herdenweise allein durch die Welt treiben sollen. Roheit und Wildheit sind die unvermeidlichen Folgen.
Hätten diese Männer Frauen, Schwestern und Töchter um sich, sie würden imstande sein, Sanftmut, Zärtlichkeit und Mitgefühl zu bekunden. Tatsächlich ist nicht einer von ihnen verheiratet.
Diese Gedanken beschäftigten mich, und so sprach ich vergangene Nacht mit Johansen. Es waren die ersten überflüssigen Worte, mit denen er mich seit Beginn der Reise beehrte. Mit achtzehn Jahren hatte er Schweden verlassen, jetzt ist er achtunddreißig, und die ganze Zeit war er nicht ein einziges Mal zu Hause. Vor einigen Jahren traf er in einem Seemannsheim in Chile einen Landsmann, und von ihm erfuhr er, daß seine Mutter noch lebte.
„Sie muß jetzt schon eine alte Frau sein", sagte er, indem er nachdenklich ins Kompaßhaus starrte und dann einen scharfen Blick auf Harrison warf, der einen Strich vom Kurs abgewichen war.
„Wann haben Sie ihr zuletzt geschrieben? "
Er rechnete laut: „Einundachtzig, nein - zweiundachtzig, nicht? Nein - dreiundachtzig - ja, dreiundachtzig. Vor zehn Jahren. Aus einem kleinen Hafen in Madagaskar. Ich fuhr auf einem Handelsschiff. Sehen Sie", fuhr er fort, als ob er sich über den halben Erdkreis hinweg an seine vernachlässigte Mutter wandte, „jedes Jahr wollte ich heimfahren. Was hatte es da für einen Sinn zu schreiben? Es dauerte ja nur noch ein Jahr. Und jedes Jahr kam etwas dazwischen, und ich kam nicht nach Hause. Aber jetzt bin ich Steuermann, und wenn ich meine Schulden in Frisko - vielleicht fünfhundert Dollar - abbezahlt habe, dann fahre ich auf einem Segler um Kap Hoorn nach Liverpool. Damit verdiene ich dann genug für die Überfahrt nach Hause. Dann braucht sie nicht mehr zu arbeiten."
„Arbeitet sie denn noch? Wie alt ist sie denn?"
„Um die siebzig", erwiderte er. Und dann rühmte er sich: „Bei mir zu Hause arbeiten wir von der Geburt bis zum Tode. Daher werden wir so alt. Ich werde hundert."
Ich werde diese Unterhaltung nie vergessen. Es waren die letzten Worte, die ich ihn sprechen hörte. Vielleicht waren es die letzten, die er überhaupt sprach.
Als ich die Kajüte betrat, war es mir zu stickig, um schlafen zu können. Es war eine stille Nacht. Wir befanden uns außerhalb des Bereiches des Passats, und die Ghost kam kaum einen Knoten in der Stunde vorwärts. So nahm ich denn eine Decke und ein Kissen unter den Arm und stieg an Deck. Als ich zwischen Harrison und dem oben auf dem Kajütendach angebrachten Kompaßhaus hindurchschritt, bemerkte ich, daß wir volle drei Strich vom Kurs abgewichen waren. Da ich glaubte, daß der Rudergänger schliefe, und ich ihm einen Verweis ersparen wollte, sprach ich ihn an. Aber er schlief nicht. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er vor sich hin. Er schien verwirrt und außerstande zu sein zu antworten. „Was ist denn?" fragte ich. „Bist du krank?"
Er schüttelte den Kopf, und als ob er erwachte, schöpfte er mit einem tiefen Seufzer Atem.
„Du tätest besser daran, den Kurs zu halten", schalt ich.
Er griff in die Speichen des Rades, und ich sah, wie sich die Kompaßnadel langsam nach NNW drehte und nach einigen leichten Schwingungen zur Ruhe kam.
Ich nahm mein Bettzeug wieder auf und wollte weitergehen, als eine Bewegung mein Auge fesselte und zurückzwang. Eine sehnige, triefende Hand packte die Reling. Neben ihr tauchte eine zweite Hand aus der Finsternis auf. Wie verzaubert stand ich da. Was für einen Gast aus der dunklen Tiefe sollte ich sehen? Was für ein Wesen es aber auch sein mochte, so wurde mir jedenfalls klar, daß es mit Hilfe der Logleine an Bord kletterte.
Ich sah einen Kopf mit triefendem Haar, dann erschien ein Körper, und nun erkannte ich Augen und Gesicht Wolf Larsens. Seine rechte Backe war rot von Blut, das aus einer Kopfwunde herabfloß.
Mit einer plötzlichen Anstrengung zog er sich an Bord und stand auf den Füßen. Dann warf er einen schnellen Blick auf den Mann am Rade, als wolle er sich überzeugen, wer er sei und daß von ihm keine Gefahr drohe. Das Seewasser troff von ihm herab mit einem leisen Rieseln, das mich beunruhigte. Als er auf mich zuschritt, wich ich instinktiv zurück, denn ich sah in seinen Augen etwas, das Tod hieß.
„Gut, Hump", sagte er mit leiser Stimme. „Wo ist der Steuermann?"
Ich schüttelte den Kopf.„Johansen!" rief er leise. „Johansen! - Wo ist er?" fragte er Harrison.
Der junge Mann schien seine Fassung wiedererlangt zu haben, denn er antwortete ganz ruhig: „Ich weiß es nicht, Herr. Vor kurzem sah ich ihn nach vorn gehen."
„Ich war auch vorn. Aber hast du bemerkt, daß ich nicht denselben Weg, den ich ging, wieder zurückkam? Kannst du dir das erklären?"
„Sie müssen über Bord gewesen sein, Herr."
„Soll ich im Zwischendeck nach ihm sehen,
Herr?" fragte ich.
Wolf Larsen schüttelte den Kopf. „Sie würden ihn nicht finden, Hump. Aber gehen Sie meinetwegen. Kommen Sie. Lassen Sie Ihr Bettzeug liegen." Ich folgte ihm. Nichts regte sich mittschiffs.
„Die verdammten Jäger!" bemerkte er. „Zu dick und zu faul, um vier Stunden Wache durchzuhalten."