Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis Willibald

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Morde am Fließband: Kriminalgeschichten - Alexis Willibald

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sagt die Miltenberg, habe sie einen großen Schreck gehabt. Dieser, wie alle ihre Gefühle, lief aber nur auf den Gedanken hinaus: »Sollte dein Vater auch wohl etwas merken, daß du das Arsenik genommen hast?«

      Ihr Schreck galt wohl nur der Überraschung, daß das gefährliche Stück so leicht von der Hand gegangen war. Es lachte in ihr auf zum Fortfahren.

      Adelheid, ihr ältestes Kind, gewöhnlich Adeline genannt, war seit acht Tagen krank gewesen; aber es täuschte die Hoffnung der Mutter, daß es von selbst sterben werde. Als sie Adeline so unerwartet genesen sah, gab sie ihr auch von dem Butterkuchen mit Gift, und das Kind starb nach einigen Tagen am 18. Mai. Im Todeskampfe umklammerte es die Mutter, aber diese blieb ruhig dabei.

      Das oben erwähnte Porträt, das englische Mädchen, welches der alte Miltenberg seiner Schwiegertochter schalkhafterweise über das Bett gehängt hatte, hatte eine auffallende Ähnlichkeit mit Adelinens Gesichtszügen gehabt. Jetzt holte die Mutter dieses Bild unter Tränen hervor, ließ einen schönen Rahmen darum machen, hing es auf und nannte es ihre Adelheid.

      Der alte Timm, der fast täglich das Grab seiner Frau besuchte, hatte den Schmerz gehabt, auch dem Leichenbegängnis zweier Enkel folgen zu müssen. »Bei deinem dritten Kinde ist dein Vater nicht mehr da«, sagte er zur Tochter, und sie nahm es als Aufforderung des Schicksals. Zwei Wochen nach Adelinens Tode, an einem Sonntagabend, gab sie ihm eine ihren Zwecken entsprechend zubereitete Suppe. »Wenn du mich so pflegst, wirst du deinen Vater noch lange behalten«, sagte er, indem er die Suppe verzehrte. Sie erschrak und brachte den Vater nach Hause. In der Nacht entkleidete sie sich nicht, in der Erwartung, jeden Augenblick gerufen zu werden. Um vier Uhr morgens wird auch wirklich ans Haustor geklopft, ein Bote vom Tischler Bolte meldet, der alte Herr sei niedergefallen und verlange nach der Tochter; der Vater wünsche, daß seine Miltenbergin nicht mehr von ihm gehe. Er litt nach den Zeugenaussagen entsetzlich. Zwei Frauen bekunden, daß die Tochter dabei froh, ja lustig gewesen sei. Möglich, daß die spätere moralische Entrüstung die Erinnerung der Zeugen färbte, möglich, daß es geschah, um den Vater zu beruhigen; fast wäre die Heuchlerin zu sehr aus ihrer Rolle gefallen. Sie entsann sich, daß Wasser und Wein ihre Johanna ruhig gemacht hatten, sie holt es; als sie wiederkommt, sitzt der Vater an der Erde. Nachdem er eine Tasse Wein getrunken hat, redet er irre, phantasiert von der seligen Frau, die er auf seinem Bette sitzen sieht, ordnet noch verschiedenes an und stirbt darauf am 28. Juni.

      Diese vier Vergiftungen gingen ohne allen Verdacht ab. Kinder sterben leicht hin. Die alten Leute hatten längst ihr Ende erwartet. Auch des Vaters Tod hatte nicht die geringste Gemütsbewegung bei der Mörderin veranlaßt, und sie entsann sich später kaum der Umstände, wie der Vater beerdigt wurde.

      Ein einziges Kind, der fünfjährige Heinrich, war noch übrig. »Mutter, warum nimmt dir der liebe Gott alle deine Kinder?« fragte sie das Kind: ein Dolchstoß in ihr Herz, eine Mahnung, auch an die Wegräumung dieses letzten Hindernisses zu schreiten.

      Sie gibt ihm Gift. Er richtet sich am zweiten Tage ängstlich in die Höhe. Da ergreift sie – zum ersten Male – Angst. Sie ruft ihre Beta, geschwind Milch zu bringen, »Ach, wenn in dem Augenblicke eine fremde Person bei mir gewesen wäre, so hätte ich mich ja verraten! Denn Milch soll ja Gegengift sein!« Das waren ihre Reflexionen über den Mord ihres letzten Kindes. Ob sie ihm wirklich Milch gegeben hat oder nicht, war ihr nicht erinnerlich. Der kleine Heinrich phantasierte auf seinem Krankenlager: »O Mutter, wie lacht Adelheid! Da steht sie auf dem Ofen …. Da steht mein Vater …. Bald bin ich im Himmel.«

      Unter unsäglichen Schmerzen starb der Knabe am 22. September. In fünf Monaten, vom Mai bis September 1815, hatte die Miltenberg ihre beiden Eltern und ihre drei Kinder ermordet.

      So viele Todesfälle in so kurzer Zeit hintereinander waren doch auffällig. Ihre Tränen, ihre frommen Sprüche vom Anbeten der dunklen Wege der Vorsehung konnten nicht allen Verdacht abwenden. Es verbreitete sich das Gerücht, es könne mit den Todesfällen im Miltenbergschen Hause nicht mit rechten Dingen zugehen. Die Freundinnen teilten das Gerücht der Witwe mit und verlangten, daß sie, um die schändliche Nachrede niederzuschlagen, die letzte Leiche sezieren lasse. Mit vollkommner Ruhe kam sie dem Wunsche entgegen. Die Leiche ward in Gegenwart vieler Zeugen vom Arzt seziert, und dieser gab die Versicherung, der Knabe sei an einer Verschlingung der Eingeweide gestorben. Jeder Schatten von Verdacht mußte darauf weichen.

      Eine schmerzliche, langwierige Krankheit befiel nach diesem letzten Morde die Verbrecherin. Sie erkannte darin keine vergeltende Gerechtigkeit, keine Warnung. Von jetzt an begann aber ihre werktätige Wohltätigkeit. Sie ließ nicht die Armen zu sich kommen, sie suchte sie auf. Kranken und Wöchnerinnen bereitete sie Speisen und erbot sich zu ihrer Pflege. Wo der Ruf eines Bedürftigen ihr Ohr erreichte, sie eilte und bot das Ihre auf, beizuspringen. Den bedürftigen Schwestern ihres Vaters schenkte sie ein Stück Land, das zu dem Erbteil gehörte, das ihr zufiel.

      Das Geld an sich war nie das Ziel ihrer Wünsche. Sie war nichts weniger als habsüchtig. Aber sie brauchte fortwährend Geld, um ihrer Eitelkeit mit Geschenken und Wohltaten zu frönen. Sie nahm Anleihen auf, deren Wiedererstattung im weiten Felde lag. Sie ließ sich von Kassow Geschenke über Geschenke geben und wußte ihn durch einen neuen Kunstgriff zu immer fortgesetzter Freigebigkeit zu bestimmen: sie habe nämlich die Ahnung, daß sie infolge ihrer unglaublichen Leiden bald sterben müsse. Kinder habe sie nicht, und was er ihr schenke oder leihe, gebe er seinen eigenen Kindern, denn sie sei willens, diese zu Erben einzusetzen.

      Da erschien im Mai 1816 unerwartet ihr Bruder in Bremen: eine Erscheinung, welche auch in anderen Häusern keine freudige Überraschung hervorgebracht hätte. Man hatte den verlorenen Sohn, der sich in Münster 1812 als Stellvertreter hatte anwerben lassen, zur katholischen Religion übergegangen war und von dem die letzten Nachrichten aus Paris gekommen waren, längst für tot gehalten. Die Schwester hatte seine Habseligkeiten verkauft, und ein Erbteil hatte er bei den vielen Verwendungen zu seinem Besten kaum noch zu fordern. Da klopft er, zerlumpt, krüppelhaft, den Tod anscheinend in den Gliedern, an das Haus seiner Schwester. Die Heuchlerin verleugnete sich zum ersten Male, das heißt, sie fiel aus der Rolle. Eine elegante Dame konnte einen solchen Bruder unmöglich mit Vergnügen aufnehmen. Sie erschrak, und wäre es nicht vor den Leuten gewesen, sie hätte ihm den Eintritt ganz verwehrt. Sie logierte ihn in eine schlechte Kammer ein. Die Geschichte des Bruders gehört nicht in diese an Ereignissen und Schrecknissen schon überreiche der Verbrecherin. Außer dem, daß sie sich der Verwandtschaft schämte und daß sie ein neues Hindernis der Heirat mit Gottfried werden könne, hegte sie noch die Furcht, daß ihr Bruder doch noch eine Erbschaft verlangen könne. Rasch war ihr Entschluß gefaßt.

      Am Freitag oder Sonnabend war der Bruder angekommen, am Sonntagmittag wurde er mit einem Gericht Schellfisch vergiftet. Nachmittags ward er in einem Wirtshause furchtbar krank und konnte sich kaum nach Hause schleppen. Die Schwester mußte ihn der Jugendbekannten wegen, die sich an seinem Krankenbette einfanden, anscheinend sorgsam pflegen. Aber mitten in seiner schweren Krankheit muß der arme Bruder sich aus seiner schlechten Hinterkammer in die höchste Bodenkammer schleppen lassen. Die Verbrecherin gibt als Grund für diese Grausamkeit an, daß auch der Bruder sich geäußert hätte, mit seinem Willen solle sie den Gottfried nicht heiraten, und sie habe letzteren täglich zurückerwartet. Der Kranke geriet in die Hirnwut, phantasierte von seinem Pferde und seinem Liebchen, redete seinen Leutnant an, wenn die Schwester bei ihm stand, rief »Vive l’empereur!« und war des Abends am 1. Juni tot.

      Wer sollte sich wundern, daß ein invalider Krüppel, dem die Füße in Rußland erfroren waren und der, voll kranker Säfte, vielleicht ein Lazarettfieber mitbrachte, ein französischer Husar, dem trotz seines Passes kein Dorfschulze ein Nachtlager hatte geben wollen, ein Ausgestoßener, den der patriotische Haß genötigt hatte, auf offenem Felde zu schlafen, seit er die deutschen Grenzen betreten hatte: wem fiel es auf, daß ein solch verlorener Mensch bei der Heimkehr krank wurde und starb?

      Nun waren die Eltern tot, die Kinder weggeschafft, der Bruder ins Grab geschickt, was hielt Gottfried

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