Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis Willibald

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Morde am Fließband: Kriminalgeschichten - Alexis Willibald

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ersten Male Visionen ein, welche in ihrem späteren Leben, und namentlich im Gefängnis, eine bedeutende Rolle spielten. Als hätte es eine äußere Geisterwelt, eine Naturkraft übernehmen müssen, die verhärtete Stimme der eigenen Brust zu ersetzen, stiegen sie nicht wie Traumgebilde auf, die von der inneren Seelenangst geboren werden, denn die Miltenberg erfreute sich nach allen ihren Verbrechen des ruhigsten und süßesten Schlafes; sondern wenn sie wachte, von außen traten sie ihr entgegen.

      Sie erzählte selbst viel darüber. Einmal – einige Wochen nach Miltenbergs Tode – stand sie vor ihrer Stube: »Es war Abend und auf der Diele finster. Auf einmal sah ich ein hellbrennendes Licht, ganz niedrig an der Erde, die Hausdiele heraufschweben, bis vor meine Hinterstube. Da verschwand es.« Drei Abende wiederholte sich das. Ein andermal kann sie sich gar nicht die Diele herunterfinden. »Und wie ich in die Höhe sehe, kommt mir eine große Wolke entgegen. Ach, denke ich, das ist Miltenbergs Erscheinung.«

      Wenn man fragt, wie es der Verbrecherin möglich wurde, so vielfachen Betrug, solche scheußliche Verbrechen zu begehen und dabei ihr Scheinleben unter Beobachtung so vieler Augen fortzuführen, ohne eine Unterstützung als ihre Schlauheit, so wird uns darauf geantwortet, es sei ihr deswegen leicht geworden, da dieses Leben sich immer nur in dem engen, sich gleichbleibenden Kreise bewegte, wo sie die Personen, die ihre Welt ausmachten, kannte und die Art, sich zu ihnen zu stellen; genau studiert hatte. Gesellschaften wurden nicht gehalten; sie verkehrte nur mit Verwandten und Freundinnen, die sie weit übersah, und mit untergebenen Personen, deren Urteil, wenn eins hätte da sein können, durch den höheren Stand der Madame oder durch die feste Überzeugung von deren Herzensgüte geblendet war. Um Ostern 1814 aber bekam sie eine erste Vertraute in ihrem neuen Dienstmädchen, Beta Cornelius. Nicht daß Beta die Mitwisserin ihrer Greueltaten wurde und ihr dabei half, denn sie war ein braves, gottesfürchtiges Mädchen von argloser Gutmütigkeit, Anhänglichkeit, Fleiß und einer anspruchslosen Bescheidenheit; aber sie war das treueste und verschwiegenste Geschöpf, welches, ohne zu fragen, im guten Glauben für ihre Herrschaft alles tat und dabei eine seltene, unverbrüchliche Verschwiegenheit beobachtete. Beta tat aber nicht allein alles, was die Herrin sie hieß, sie betete diese auch an, da sie die Überzeugung hatte, daß es keine gutherzigere, liebevollere und bessere Herrschaft in der Welt gäbe. Eines solchen Wesens bedurfte das auf den feinsten Selbstbetrug raffinierende Gewissen der heuchlerischen Verbrecherin.

      Gottfried, wie liebevoll er auch war, wie nahe sie es ihm auch legte, zeigte durchaus noch keine Absicht, um ihre Hand zu bitten. Miltenberg stand ihm doch nicht mehr im Wege. Also mußte er einen anderen Grund haben: ihre Kinder und ihre Eltern! Ihre Phantasie spiegelte ihr nun immerfort die Schlüsse vor: Wären deine Eltern nur nicht dagegen, brauchtest du nur das Vermögen nicht mit deinen Kindern zu teilen, besäßest du sogar deren vom Großvater erwartetes Vermögen – dann würdest du Gottfrieds Frau!

      Sie, die niemand liebte, betrachtete schon längst ihre Eltern trotz des Übermaßes von Güte, mit der sie die Tochter überschütteten, als lästige Zwischenpersonen. Aber auch auf die Kinder hatte sie schon verdrießliche Blicke geworfen. Tagelang schickte sie die Kinder aus dem Hause, damit Gottfried nicht an ihr Dasein erinnert werde. Selbst die nachteiligen Reden der Nachbarn und Bekannten vermochten nichts dagegen.

      Um zur Gräfin von Orlamünde zu werden, fühlte sie, daß es noch eines Impulses bedürfe. Sie wünschte schon damals vom Schicksale einen Wink zu erhalten, selbstbetrügerisch durch irgend etwas von außen her sich bestimmen zu lassen. Sie wandte sich wieder an die Kartenlegerinnen und befragte wenigstens vier derselben nacheinander. Indem sie ihnen die geheimen Wünsche ihres Herzens verriet und ihnen so das Wort in den Mund zu legen wußte, erhielt sie von allen dem Sinne nach denselben Ausspruch, daß ihre ganze Familie aussterben und sie ganz allein übrigbleiben werde, um dann im Überfluß leben zu können. Zugleich arbeitete sie aber mit scharfblickender Voraussicht auf die Zukunft hin, indem sie es sich angelegen sein ließ, daß diese Prophezeiungen unter den Leuten bekannt würden. Wenn es dann so kam, so geschah nichts anderes, als was die klugen Frauen längst vorausgesagt hatten, und die Möglichkeit, daß sie ein Verdacht treffen könne, wurde mindestens weiter entfernt. Dies schlaue Verfahren ist durch vielfache Zeugenaussagen außer Zweifel gesetzt.

      So mit dem festen Entschluß zur Tat gerüstet, erwartete sie nur die Gelegenheit zur Ausführung. Es war ihr sehr willkommen, daß ihre Eltern öfters schon ihres Todes gedachten und die Mutter den Wunsch aussprach: »Das wünsche ich mir, Alter, vom lieben Gott, daß ich dich, wenn du einmal stirbst, nicht länger als acht Tage überlebe.«

      Die alte Timm erkrankte wirklich: eine Hoffnung für die Miltenberg, daß sie diesmal das Gift sparen könne. Aber trotz ihrer vierzehntägigen Pflege starb die Mutter nicht! Der alte Timm hatte inzwischen sein Haus an den Tischler Bolte verkauft. Während der Unruhe des Einziehens läßt sich die schwache Alte in das Haus der Tochter tragen, um dort ihre Gesundheit wiederzugewinnen. Liebevoll und mit kindlichster Herzlichkeit wird sie in dem schönen neutapezierten Zimmer aufgenommen, das der alten Bürgersfrau viel zu prächtig dünkt. Mutter und Tochter scherzen darüber. »Mutter, du mußt denken, du bist im Kindbett«, sagte die letztere, und die Mutter lächelte herzlich.

      Drei Tage nachher will die Miltenberg angeblich etwas Kleidung für die Mutter aus deren Hause holen, da sieht sie ein Papier, mit Zwirn zugebunden, und darauf geschrieben: »Rattenkraut«; es war ihr, »als sei es ihr absichtlich in den Weg gelegt worden«, und die Nacht konnte sie nicht schlafen vor dem Gedanken: »Wenn du nun keine Eltern hättest, so könnte dich doch niemand hindern!«

      Nach drei Tagen besserte sich der Zustand der Mutter. Die Unruhe der Tochter wuchs. Sie ging wieder hinüber zum Schrank und holt sich in Papier – ein wenig aus dem Pakete. Aber wiederum verstreichen acht Tage. Die Mutter fällt so oft zurück, und es ist doch vielleicht nicht nötig, von dem Gift Gebrauch zu machen. Bald aber wurde ihr sichtlich wohler. Da trat einmal ihr Enkel Heinrich mit der Frage ans Lager: »Großmutter, ist es wahr, daß dem Kinde, welches nicht gut an seinen Eltern tut, die Hand aus der Erde wächst?« Der Miltenberg schnitt das Wort durch die Seele; aber statt sie vom Vorsatz abzumahnen, bestärkte es ihn. Noch an demselben Tage – es war ein Sonntag – rührte sie das Arsenik in ein Glas Limonade, das Lieblingsgetränk der Alten.

      Die Verbrecherin bekannte: »Denken Sie, während ich das Gift einmache, gibt mir der liebe Gott ein herzliches, lautes Lachen ein, daß ich erst noch selbst davor erschrak. Aber gleich besann ich mich, dies gäbe mir der liebe Gott ein zum Beweise, daß die Mutter nun bald so im Himmel lachen werde.«

      Als die Mutter das Gift schon getrunken hatte, flogen auf einmal drei Schwalben zur Stubentür herein und setzten sich auf die Krone des Himmelbettes. Die Miltenberg erschrak, ihre Knie zitterten. Sie dachte, das bedeute den ankommenden Tod. Aber die Mutter sagte ganz ruhig: »Süh mal, die lüttge Vogels!« Schwalben kamen nie sonst, nach der Miltenberg Versicherung, in ihr Haus, noch nisteten sie auf dem Hofe.

      Das Gift wirkte. Schon Tags darauf verlangte die Mutter nach dem Abendmahl und erhielt es. Sie ordnete ihre kleinen Dinge an. Dem Ehemann drückte sie die Hand und sprach: »Wenn ich noch etwas erflehen darf: daß du mir bald folgst.« Der Timm antwortete: »In zwei Monaten bin ich bei dir«, und er verließ das Zimmer. Zur Miltenberg sprach sie darauf: »Wenn dein Bruder als Krüppel kommt, pflege seiner«, und hob beide Arme gen Himmel: »Ach könnte ich doch alle meine Kinder mitnehmen.« Erschöpft davon ruhte sie, schien am nächsten Morgen ganz wohl, verschied aber in der Frühe, noch ehe der alte Timm von drüben kam.

      Bei der Leiche ihrer Mutter war die Miltenberg besonders ruhig. Eine Zeugin sagt sogar, sie sei lustig gewesen.

      Den Tag nach der Beerdigung der Mutter (10. Mai) befand sie sich in dem Hinterzimmer mit der fünfvierteljährigen Johanna, ihrer jüngsten Tochter, allein. Das schien ihr die gelegenste Zeit, und Johanna war auch das in ihrem Verhältnis zu Gottfried hinderlichste Kind. Ohne Zaudern reichte sie der Kleinen ein Stück Kuchen von der Begräbnisfeier und darauf Arsenik, mit Butter festgeschmiert. Das Kind ward alsbald unwohl, Gottfried erquickte es mit Wein und Wasser,

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