Heimatkinder Staffel 4 – Heimatroman. Kathrin Singer
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Zum erstenmal nach dieser leidvollen Zeit faßte der Bursch neuen Mut. Fast beschwingt marschierte er durch das Dorf, löste am Bahnhof eine Fahrkarte in die Stadt und wartete geduldig, bis der Zug schnaufend einfuhr.
Es war gerade Mittagszeit, die Sonne stand hoch am Horizont. Martin Achner genoß die Fahrt mit dem Bummelzug und atmete tief auf. Sanft ansteigende Wiesen und Felder neben steil aufragenden, bewaldeten Bergriesen flimmerten im gleißenden Sonnenlicht.
Wie glücklich hätte er sein können in dieser idyllischen Heimat!
Als der Zug in Berchtesgaden einfuhr, befiel den Burschen eine seltsame Unruhe. Ob er wohl diesmal ein bisserl Glück hatte?
Sein Weg führte durch die prächtige Altstadt, vorbei an den alten Bürgerhäusern und der Stiftskirche, hinauf zur Anhöhe, auf der sich die mittelalterliche Klosteranlage befand. In einem der abseits gelegenen Bauten war das Waisenhaus und die Hauswirtschaftsschule eingerichtet.
Ernst blieb er vor dem Portal stehen und zog kurz an der Glocke.
Das kleine Holzfenster in der Tür wurde zur Seite geschoben und ein rundliches, freundlich lächelndes Gesicht schaute Martin wohlwollend an. »Was wünschen Sie, junger Mann?« Die Ordensschwester hatte eine warme, helle Stimme.
»Entschuldigens, bitt schön, Schwester. Ich wollt fragen, ob Sie net ein braves Dirndl wissen, das mein Töchterl betreuen kann.« Er kratzte sich verlegen im Nacken.
Die Schwester lächelte verständnisvoll. Das kleine Fenster wurde zugeschoben, die Türen des Portals schwangen auf und vor ihm stand eine wohlbeleibte, schwarz eingehüllte Frau, die ihn mit einer einladenden Geste hereinbat. »Kommen Sie nur herein. Ich bring Sie gleich zur Mutter Oberin. Sie kann Ihnen gewiß helfen.«
Martin blieb vor der Tür stehen, hinter der die freundliche Schwester verschwunden war.
Kurz darauf erschien sie wieder, bat ihn ins Zimmer.
»Grüß Gott!« Der Bursch verneigte sich ehrerbietig vor der zierlichen Gestalt mit den klugen hellen Augen.
»Nimm Platz, mein Sohn. Du möchtest also ein Kindermädchen für deine Tochter?«
»Ja. Mein Roserl ist drei Jahr alt. Meine Mutter packt’s nimmer.«
»Hm. Ist deine Frau gestorben?«
Martin bekam einen hochroten Kopf. »Nein, nein. Nur – sie hat halt zuviel am Hals mit dem großen Haus und den Gästen und…«, stotterte er verlegen.
Die Oberin schwieg eine Weile. Sie betrachtete den Burschen nachdenklich. Um seinen etwas zu groß geratenen Mund hatten sich feine Falten eingegraben, seine dunklen Augen schienen ihr zu müde für einen jungen Mann. Sie spürte deutlich, daß er mit einer Last zu ihr gekommen war.
»Sprich dich nur ruhig aus, mein Sohn. Ich werde dir dann sagen, ob ich dir helfen kann.« ermunterte sie ihn sanft.
Und plötzlich brach es aus Martin heraus, sprach er zum erstenmal über seine mißglückte Ehe, das Dasein seines geliebten Kindes und über die unglücklichen alten Eltern.
Nachdem er geendet hatte, nickte ihm die geistliche Frau mitfühlend zu. »Ja, mein Sohn, die Wege des Herrn sind unergründlich. Manchmal ist es für uns armselige Menschen schwer zu verstehen, warum wir das Leid tragen müssen, wenn es doch auch anders ginge. Auch wenn dir das wenig Trost gibt, so mußt du einfach daran glauben, daß alles seinen Sinn hat – was auch geschieht! Nun, ich werde dir helfen, obwohl ich selbst nicht weiß, ob es der richtige Weg ist.«
Erleichtert atmete Martin auf. »Danke, Mutter Oberin!«
Die Oberin ging mit leichten Schritten zur Tür. »Schwester Maria, hol bitte Josepha. Du findest sie sicher bei den Kleinen.« Lächelnd nahm sie Martins kräftige Hände in die ihren. »Du wirst zufrieden sein. Nur eines mußt du mir versprechen: Sei gut zu Josepha. Sie ist noch sehr jung und empfindsam. Ein unschuldiges Dirndl, das niemals ein rechtes Elternhaus gekannt hat. – Ah, Josepha, komm nur herein.«
Als Martin das zierliche, blonde Madl erblickte, hätte er am liebsten auf der Stelle kehrtgemacht! Dieses blutjunge Ding sollte sein Töchterl erziehen?
»Josepha, dies ist der Bauer Martin Achner. Er sucht ein Madl für seine kleine Rosemarie, auf das er sich verlassen kann. Wenn du diese Stellung annimmst, wirst du viel Kraft brauchen. Aber ich glaube, daß dir die Eltern des Bauern zur Seite stehen werden. Möchtest du dich um das kleine Dirndl kümmern, Sepherl?«
Josepha Schwarzenberger empfand es als große Ehre, daß die Mutter Oberin ihr diese verantwortungsvolle Aufgabe zutraute. Ihre wasserblauen, großen Augen ruhten einen Augenblick lang auf dem schmalen, sympathischen Gesicht des jungen Bauern. »Wenn der Bauer mich will – ja!« erwiderte sie strahlend. Wie sehr hatte sie sich danach gesehnt, endlich eine richtige Aufgabe zu haben!
»Dann pack deine Sachen zusammen. Du fährst noch heut mit aufs Land.« Die geistliche Frau war zufrieden. Josephas leuchtende Augen waren ihr Antwort genug.
Die Tür schloß sich hinter dem Dirndl und Martin konnte nicht mehr an sich halten. »Mutter Oberin, bitte verzeiht, aber ist das Dirndl net ein bisserl arg jung?«
»Das schaut nur so aus, weil sie etwas mager ist. Nein, mein Sohn, Josepha ist grad zweiundzwanzig Jahre alt geworden. Sie hat die Hauswirtschaftsschule mit sehr guten Noten hinter sich gebracht und kümmert sich seither mit den Kinderschwestern um unsere Kleinsten. Glaub mir, du kannst keinen besseren Menschen finden für dein Töchterl!«
Martin wand sich unter dem forschenden Blick der Mutter Oberin. Sie mochte ja recht haben, aber er hatte sich alles ganz anders vorgestellt. Es sollte schon ein Dirndl sein, das sich auch gegen Marianne durchsetzen konnte. Er sah nur allzu deutlich das verweinte Gesichterl dieser Josepha vor sich!
Als hätte die Oberin seine Gedanken gelesen, sprach sie leise: »Josepha hat weitaus mehr Leid ertragen, als du ermessen kannst, Martin Achner. Sie wird dir niemals zu einer Last werden und weiß sich sehr gut zur Wehr zu setzen!«
Beschämt senkte Martin den Kopf. Insgeheim hoffte er, daß er den richtigen Weg gewählt hatte.
*
Schwer atmend blieb die junge Bäuerin vor der Holzhütte stehen. Sie war den beschwerlichen Weg hinabgestiegen, um dem Sägewerksbesitzer Xandl Hochleitner ihre Aufwartung zu machen. Jetzt klopfte sie ungeduldig gegen die verschlossene Türe.
»Jessas, ich komm ja schon!« Augenblicke später stand ein zerzauster, verschlafen dreinblickender, vierschrötiger Mann vor ihr. »Du?«
»Warum, um alles in der Welt, schläfst denn am hellerlichten Tag?! Hast nix andres zu tun? Auf geht’s, Xandl, ich hab net viel Zeit. Richt dich ein wengerl her. Wir müssen hinauf in den Wald, wennst noch ein Geschäft machen willst! Der Martin ist in der Stadt und ich muß mich nun selbst um den Holzhandel kümmern. Magst noch immer ein paar Bäume von uns?« Obwohl sie die Antwort kannte, genoß sie es, wie der Xandl mit offenem Mund um seine Fassung rang.
»Freilich, freilich! Aber woher der Sinneswandel? Weiß der Martl überhaupt was von