Parerga und Paralipomena. Arthur Schopenhauer
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Eine Hauptquelle unserer Kenntniß der Stoischen Ethik ist die uns von Stobäos (Ecl. eth. L. II, c. 7) aufbewahrte sehr ausführliche Darstellung derselben, in welcher man meistens wörtliche Auszüge aus dem Zeno und Ehrysippos zu besitzen sich schmeichelt: wenn es sich so verhält, so ist sie nicht geeignet, uns vom Geiste dieser Philosophen eine hohe Meinung zu geben: vielmehr ist sie eine pedantische, schulmeisterhafte, überaus breite, unglaublich nüchterne, flache und geistlose Auseinandersetzung der Stoischen Moral, ohne Kraft und Leben, ohne werthvolle, treffende, feine Gedanken. Alles darin ist aus bloßen Begriffen abgeleitet, nichts aus der Wirklichkeit und Erfahrung geschöpft. Demgemäß wird die Menschheit eingetheilt in σπουδαιοι und φαυλοι, Tugendhafte und Lasterhafte, jenen alles Gute, diesen alles Schlechte beigelegt, wonach denn Alles schwarz und weiß ausfällt, wie ein Preußisches Schilderhaus. Daher halten diese platten Schulexercitien keinen Vergleich aus mit den so energischen, geistvollen und durchdachten Schriften des Seneka. – Die ungefähr 400 Jahre nach dem Ursprung der Stoa abgefaßten Dissertationen Arrian’s zur Epikteteischen Philosophie geben uns auch keine gründlichen Aufschlüsse über den wahren Geist und die eigentlichen Principien der Stoischen Moral: vielmehr ist dies Buch in Form und Gehalt unbefriedigend. Erstlich, die Form anlangend, vermißt man darin jede Spur von Methode, von systematischer Abhandlung, ja auch nur von regelmäßiger Fortschreitung. In Kapiteln, die ohne Ordnung und Zusammenhang an einander gereiht sind, wird unablässig wiederholt, daß man alles Das für nichts zu achten habe, was nicht Aeußerung unseres eigenen Willens ist, daß man mithin Alles, was Menschen sonst bewegt, durchaus antheilslos ansehn solle: Dies ist die Stoische αταραξια. Nämlich was nicht έφήμιν ist, das wäre auch nicht προς ήμας. Dieses kolossale Paradoxon wird aber nicht abgeleitet, aus irgendwelchen Grundsätzen; sondern die wunderlichste Gesinnung von der Welt wird uns zugemuthet, ohne daß zu derselben ein Grund angegeben würde. Statt dessen findet man endlose Deklamationen in unermüdlich wiederkehrenden Ausdrücken und Wendungen. Denn die Folgesätze aus jenen wunderlichen Maximen werden auf das Ausführlichste und Lebhafteste dargelegt, und wird demnach mannigfaltig geschildert, wie der Stoiker sich aus nichts in der Welt etwas mache. Dazwischen wird jeder anders Gesinnte beständig Sklav und Narr geschimpft. Vergebens aber hofft man auf die Angabe irgend eines deutlichen und triftigen Grundes zur Annahme jener seltsamen Denkungsart; da ein solcher doch viel mehr wirken würde, als alle Deklamationen und Schimpfwörter des ganzen dicken Buches. So aber ist dieses, mit seinen hyperbolischen Schilderungen des Stoischen Gleichmuthes, seinen unermüdlich wiederholten Lobpreisungen der heiligen Schutzpatrone Kleanthes, Chrysippos, Zeno, Krates, Diogenes, Sokrates, und seinem Schimpfen auf alle anders Denkenden eine wahre Kapuzinerpredigt. Einer solchen angemessen ist dann freilich auch das Planlose und Desultorische des ganzen Vortrags. Was die Ueberschrift eines Kapitels angiebt ist nur der Gegenstand des Anfangs desselben: bei erster Gelegenheit wird abgesprungen und nun, nach dem nexus idearum, vom Hundertsten aufs Tausendste übergegangen. Soviel von der Form.
Was nun den Gehalt betrifft, so ist derselbe, auch abgesehn davon, daß das Fundament ganz fehlt, keineswegs ächt und rein stoisch; sondern hat eine starke fremde Beimischung, die nach einer christlich-jüdischen Quelle schmeckt. Der unleugbarste Beweis hievon ist der Theismus, der auf allen Seiten zu finden und auch Träger der Moral ist: der Kyniker und der Stoiker handeln hier im Auftrage Gottes, dessen Wille ist ihre Richtschnur, sie sind in denselben ergeben, hoffen auf ihn u. dgl. mehr. Der ächten, ursprünglichen Stoa ist dergleichen ganz fremd: da ist Gott und die Welt Eines, und so einen denkenden, wollenden, befehlenden, vorsorgenden Menschen von einem Gott kennt man gar nicht. Jedoch nicht nur im Arrian, sondern in den meisten heidnischen, philosophischen Schriftstellern der ersten Christlichen Jahrhunderte, sehn wir den jüdischen Theismus, der bald darauf, als Christenthum, Volksglaube werden sollte, bereits durchschimmern, gerade so wie heut zu Tage, in den Schriften der Gelehrten, der in Indien einheimische Pantheismus durchschimmert, der auch erst später in den Volksglauben überzugehen bestimmt ist. Ex oriente lux.
Aus dem angegebenen Grunde nun wieder ist auch die hier vorgetragene Moral selbst nicht rein stoisch: sogar sind manche Vorschriften derselben nicht mit einander zu vereinigen; daher sich freilich keine gemeinsame Grundprincipien derselben aufstellen ließen. Eben so ist auch der Kynismus ganz verfälscht, durch die Lehre, daß der Kyniker es hauptsächlich um Andrer Willen seyn solle, nämlich, um durch sein Beispiel auf sie zu wirken, als ein Bote Gottes, und um, durch Einmischung in ihre Angelegenheiten, sie zu lenken. Daher wird gesagt: in einer Stadt von lauter Weisen, würde gar kein Kyniker nöthig seyn; desgleichen, daß er gesund, stark und reinlich seyn solle, um die Leute nicht abzustoßen. Wie fern liegt doch Dies vom Selbstgenügen der alten ächten Kyniker! Allerdings sind Diogenes und Krates Hausfreunde und Rathgeber vieler Familien gewesen: aber Das war sekundär und accidentell, keineswegs Zweck des Kynismus.
Dem Arrian sind also die eigentlichen Grundgedanken des Kynismus, wie der Stoischen Ethik, ganz abhanden gekommen: sogar scheint er nicht einmal das Bedürfniß derselben gefühlt zu haben. Er predigt eben Selbstverleugnung, weil sie ihm gefällt, und sie gefällt ihm vielleicht nur, weil sie schwer und der menschlichen Natur entgegen, das Predigen inzwischen leicht ist. Die Gründe zur Selbstverleugnung hat er nicht gesucht: daher glaubt man bald einen Christlichen Asketen, bald wieder einen Stoiker zu hören. Denn die Maximen Beider treffen allerdings oft zusammen; aber die Grundsätze, worauf sie beruhen, sind ganz verschieden. Ich verweise in dieser Hinsicht auf mein Hauptwerk, Bd. l, §. 16, und Bd. 2, Kap. 16, – woselbst, und wohl zum ersten Male, der wahre Geist des Kynismus und der Stoa gründlich dargelegt ist.
Die Inkonsequenz des Arrian tritt sogar auf eine lächerliche Art hervor, in diesem Zuge, daß er, bei der unzählige Mal wiederholten Schilderung des vollkommenen Stoikers, auch allemal sagt: er tadelt Niemanden, klagt weder über Götter noch Menschen, schilt Niemanden, – dabei aber ist sein ganzes Buch größtentheils im scheltenden Ton, der oft ins Schimpfen übergeht, abgefaßt.
Bei dem Allen sind in dem Buche hin und wieder ächt Stoische Gedanken anzutreffen, die Arrian, oder Epiktet, aus den alten Stoikern geschöpft hat: und eben so ist der Kynismus in einzelnen Zügen treffend und lebhaft geschildert. Auch ist stellenweise viel gesunder Verstand darin enthalten, wie auch treffende, aus dem Leben gegriffene Schilderungen der Menscheit und ihres Thuns. Der Stil ist leicht und fließend, aber sehr breit.
Daß Epiktets Encheiridion ebenfalls vom Arrian abgefaßt sei, wie F. A. Wolf uns in seinen Vorlesungen versicherte, glaube ich nicht. Dasselbe hat viel mehr Geist in wenigeren Worten, als die Dissertationen, hat durchgängig gesunden Sinn, keine leere Deklamationen, keine Ostentation, ist bündig und treffend, dabei im Ton eines wohlmeinend rathenden Freundes geschrieben; da hingegen