Parerga und Paralipomena. Arthur Schopenhauer
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§. 12. Die Philosophie der Neueren.
In den Rechenbüchern pflegt die Richtigkeit der Lösung eines Exempels sich durch das Aufgehen desselben, d. h. dadurch, daß kein Rest bleibt, kund zu geben. Mit der Lösung des Räthsels der Welt hat es ein ähnliches Bewandniß. Sämmtliche Systeme sind Rechnungen, die nicht aufgehn: sie lassen einen Rest, oder auch, wenn man ein chemisches Gleichniß vorzieht, einen unauflöslichen Niederschlag. Dieser besteht darin, daß, wenn man aus ihren Sätzen folgerecht weiter schließt, die Ergebnisse nicht zu der vorliegenden realen Welt passen, nicht mit ihr stimmen, vielmehr manche Seiten derselben dabei ganz unerklärlich bleiben. So z. B. stimmt zu den materialistischen Systemen, welche aus der mit bloß mechanischen Eigenschaften ausgestatteten Materie, und gemäß den Gesetzen derselben, die Welt entstehn lassen, nicht die durchgängige bewundrungswürdige Zweckmäßigkeit der Natur, noch das Daseyn der Erkenntniß, in welcher doch sogar jene Materie allererst sich darstellt. Dies also ist ihr Rest. – Mit den theistischen Systemen wiederum, nicht minder jedoch mit den pantheistischen sind die überwiegenden physischen Uebel und die moralische Verderbniß der Welt nicht in Uebereinstimmung zu bringen: diese also bleiben als Rest stehen, oder als unauflöslicher Niederschlag liegen. – Zwar ermangelt man in solchen Fällen nicht, dergleichen Reste mit Sophismen, nöthigenfalls auch mit bloßen Worten und Phrasen zuzudecken: allein auf die Länge hält das nicht Stich. Da wird dann wohl, weil doch das Exempel nicht aufgeht, nach einzelnen Rechnungsfehlern gesucht, bis man endlich sich gestehn muß, der Ansatz selbst sei falsch gewesen. Wenn hingegen die durchgängige Konsequenz und Zusammenstimmung aller Sätze eines Systems bei jedem Schritte begleitet ist von einer eben so durchgängigen Uebereinstimmung mit der Erfahrungswelt, ohne daß zwischen Beiden ein Mißklang je hörbar würde; – so ist Dies das Kriterium der Wahrheit desselben, das verlangte Aufgehn des Rechnungsexempels. Imgleichen, daß schon der Ansatz falsch gewesen sei, will sagen, daß man die Sache schon Anfangs nicht am rechten Ende angegriffen hatte, wodurch man nachher von Irrthum zu Irrthum geführt wurde. Denn es ist mit der Philosophie wie mit gar vielen Dingen: Alles kommt darauf an, daß man sie am rechten Ende angreife. Das zu erklärende Phänomen der Welt bietet nun aber unzählige Enden dar, von denen nur Eines das rechte seyn kann: es gleicht einem verschlungenen Fadengewirre, mit vielen daran hängenden, falschen Endfäden: nur wer den wirklichen herausfindet kann das Ganze entwirren. Dann aber entwickelt sich leicht Eines aus dem Andern, und daran wird kenntlich, daß es das rechte Ende gewesen sei. Auch einem Labyrinth kann man es vergleichen, welches hundert Eingänge darbietet, die in Korridore öffnen, welche alle, nach langen und vielfach verschlungenen Windungen, am Ende wieder hinausführen; mit Ausnahme eines einzigen, dessen Windungen wirklich zum Mittelpunkte leiten, woselbst das Idol steht. Hat man diesen Eingang getroffen, so wird man den Weg nicht verfehlen: durch keinen andern aber kann man je zum Ziele gelangen. – Ich verhehle nicht, der Meinung zu seyn, daß nur der Wille in uns das rechte Ende des Fadengewirres, der wahre Eingang des Labyrinthes, sei.
Kartesius hingegen ging, nach dem Vorgang der Metaphysik des Aristoteles, vom Begriff der Substanz aus, und mit diesem sehn wir auch noch alle seine Nachfolger sich schleppen. Er nahm jedoch zwei Arten von Substanz an: die denkende und die aussgedehnte. Diese sollten nun durch influxus physicus auf einander wirken; welcher sich aber bald als sein Rest auswies. Derselbe hatte nämlich Statt, nicht bloß von außen nach innen, beim Vorstellen der Körperwelt, sondern auch von innen nach außen, zwischen dem Willen (der unbedenklich dem Denken zugezählt wurde) und den Leibesaktionen. Das nähere Verhältniß zwischen diesen beiden Arten der Substanz ward nun das Hauptproblem, wobei so große Schwierigkeiten entstanden, daß man in Folge derselben zum System der causes occasionelles und der harmonia praestabilita getrieben wurde; nachdem die spiritus animales, die beim Kartesius selbst die Sache vermittelt hatten, nicht ferner dienen wollten7. Malebranche nämlich hielt den influxus physicus für undenkbar; wobei er jedoch nicht in Erwägung zog, daß derselbe bei der Schöpfung und Leitung der Körperwelt durch einen Gott, der ein Geist ist, ohne Bedenken angenommen wird. Er setzte also an dessen Stelle die causes occasionnelles und nous voyons tout en Dieu: hier liegt sein Rest. – Auch Spinoza, in seines Lehrers Fußstapfen tretend, ging noch von jenem Begriffe der Substanz aus; gleich als ob derselbe ein Gegebenes wäre. Jedoch erklärte er beide Arten der Substanz, die denkende und die ausgedehnte, für Eine und die selbe; wodurch denn die obige Schwierigkeit vermieden war. Dadurch nun aber wurde seine Philosophie hauptsächlich negativ, lief nämlich auf ein bloßes Negiren der zwei großen Kartesischen Gegensätze hinaus; indem er sein Identificiren auch auf den andern von Kartesius aufgestellten Gegensatz, Gott und Welt, ausdehnte. Das Letztere war jedoch eigentlich bloße Lehrmethode, oder Darstellungsform. Es wäre nämlich gar zu anstößig gewesen, geradezu zu sagen: es ist nicht wahr, daß ein Gott diese Welt gemacht habe, sondern sie existirt aus eigener Machtvollkommenheit: daher wählte er eine indirekte Wendung und sagte: die Welt selbst ist Gott; – welches zu behaupten ihm nie eingefallen seyn würde, wenn er, statt vom Judenthum, hätte unbefangen von der Natur selbst ausgehn können. Diese Wendung dient zugleich, seinen Lehrsätzen den Schein der Positivität zu geben, während sie im Grunde bloß negativ sind und er daher die Welt eigentlich unerklärt läßt; indem seine Lehre hinausläuft auf: die Welt ist, weil sie ist; und ist wie sie ist, weil sie so ist. (Mit dieser Phrase pflegte Fichte seine Studenten zu mystificiren.) Die auf obigem Wege entstandene Deifikation der Welt ließ nun aber keine wahre Ethik zu und war zudem in schreiendem Widerspruch mit den physischen Uebeln und der moralischen Ruchlosigkeit dieser Welt. Hier also ist sein Rest.
Den Begriff der Substanz, von welchem dabei auch Spinoza ausgeht, nimmt er, wie gesagt, als ein Gegebenes. Zwar definirt er ihn, seinen Zwecken gemäß: allein er kümmert sich nicht um dessen Ursprung. Denn erst Locke war es, der, bald nach ihm, die große Lehre aufstellte, daß ein Philosoph, der irgend etwas aus Begriffen ableiten oder beweisen will, zuvörderst den Ursprung jedes solchen Begriffs zu untersuchen habe; da der Inhalt desselben, und was aus diesem folgen mag, gänzlich durch seinen Ursprung, als die Quelle aller mittelst desselben erreichbaren Erkenntniß, bestimmt wird. Hätte aber Spinoza nach dem Ursprung jenes Begriffs der Substanz geforscht; so hätte er zuletzt finden müssen, daß dieser ganz allein die Materie ist und daher der wahre Inhalt des Begriffs kein anderer, als eben die wesentlichen und a priori angebbaren Eigenschaften dieser. In der That findet Alles, was Spinoza seiner Substanz nachrühmt, seinen Beleg an der Materie, und nur da: sie ist unentstanden, also ursachlos, ewig, eine einzige und alleinige, und ihre Modifikationen sind Ausdehnung und Erkenntniß: Letztere nämlich als ausschließliche Eigenschaft des Gehirns, welches materiell ist. Spinoza ist demnach ein unbewußter Materialist: jedoch ist die Materie, welche, wenn man es ausführt, seinen Begriff realisirt und empirisch belegt, nicht die falsch gefaßte und atomistische des Demokritos und der spätern Französischen Materialisten, als welche keine andern, als mechanische Eigenschaften hat; sondern die richtig gefaßte, mit allen ihren unerklärlichen Qualitäten ausgestattete: über diesen Unterschied verweise ich auf mein Hauptwerk, Bd. 2, Kap. 24, S. 315 fg. (3. Aufl. S. 357 fg.) – Diese Methode, den Begriff der Substanz unbesehen aufzunehmen, um ihn zum Ausgangspunkt zu machen, finden wir aber schon bei den Eleaten, wie besonders aus dem Aristotelischen Buche de Xenophane etc. zu ersehn. Auch Xenophanes nämlich geht aus vom ον, d. i. der Substanz, und die Eigenschaften derselben werden demonstrirt, ohne daß vorher gefragt oder gesagt würde, woher er denn seine Kenntniß von einem solchen Dinge habe: geschähe hingegen Dieses, so würde deutlich zu Tage kommen, wovon er eigentlich redet, d. h. welche Anschauung es zuletzt sei, die seinem Begriff zum Grunde liegt und ihm Realität ertheilt; und da würde am Ende wohl nur die Materie sich ergeben, als von welcher alles Das gilt, was er sagt. In den folgenden Kapiteln, über Zeno, erstreckt nun die Uebereinstimmung mit Spinoza sich bis auf die Darstellung und die Ausdrücke. Man kann daher kaum umhin anzunehmen, daß Spinoza diese Schrift gekannt und benutzt habe; da zu seiner Zeit Aristoteles, wenn auch vom Bako angegriffen, noch immer zu hohem Ansehn stand, auch gute Ausgaben, mit Lateinischer Version, vorhanden waren. Danach wäre denn Spinoza ein bloßer