Parerga und Paralipomena. Arthur Schopenhauer
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Ueberhaupt aber sehn wir, bei dieser ganzen Verkettung seltsamer dogmatischer Lehren, stets eine Fiktion die andre als ihre Stütze herbeiziehn: gerade so wie im praktischen Leben eine Lüge viele andere nöthig macht. Zum Grunde liegt des Kartesius Spaltung alles Daseyenden in Gott und Welt, und des Menschen in Geist und Materie, welcher Letzteren auch alles Uebrige zufällt. Dazu kommt der diesen und allen je gewesenen Philosophen gemeinsame Irrthum, unser Grundwesen in die Erkenntniß, statt in den Willen, zu setzen, also diesen das Sekundäre, jene das Primäre seyn zu lassen. Dies also waren die Ur-Irrthümer, gegen die bei jedem Schritt die Natur und Wirklichkeit der Dinge Protest einlegte und zu deren Rettung alsdann die spiritus animales, die Materialität der Thiere, die gelegentlichen Ursachen, das Alles-in Gott-Sehn, die prästabilirte Harmonie, die Monaden, der Optimismus und was des Zeuges noch mehr ist, erdacht werden mußten. Bei mir hingegen, als wo die Sachen beim rechten Ende angegriffen sind, fügt sich Alles von selbst, Jedes tritt in’s gehörige Licht, keine Fiktionen sind erfordert, und simplex sigillum veri. Kant wurde von dem Substanzen-Problem nicht direkt berührt: er ist darüber hinaus. Bei ihm ist der Begriff der Substanz eine Kategorie, also eine bloße Denkform a priori. Durch diese, in ihrer nothwendigen Anwendung auf die sinnliche Anschauung, wird nun aber nichts so, wie es an sich selbst ist, erkannt: daher mag das Wesen, welches sowohl den Körpern, als den Seelen zum Grunde liegt, an sich selbst gar wohl Eines und Dasselbe seyn. Dies ist seine Lehre. Sie bahnte mir den Weg zu der Einsicht, daß der eigene Leib eines Jeden nur die in seinem Gehirn entstehende Anschauung seines Willens ist, welches Verhältniß sodann auf alle Körper ausgedehnt die Auflösung der Welt in Wille und Vorstellung ergab.
Jener Begriff der Substanz nun aber, welchen Kartesius, dem Aristoteles getreu, zum Hauptbegriff der Philosophie gemacht hatte, und mit dessen Definition demgemäß, jedoch nach Weise der Eleaten, auch Spinoza anhebt, ergiebt sich, bei genauer und redlicher Untersuchung, als ein höheres, aber unberechtigtes, Abstraktum des Begriffs der Materie, welches nämlich, neben dieser, auch das untergeschobene Kind immaterielle Substanz befassen sollte; wie ich Dies ausführlich dargelegt habe in meiner Kritik der Kantischen Philosophie S. 550 fg. der 2. Aufl. (3. Aufl. 581 fg.). Hievon aber auch abgesehn, taugt der Begriff der Substanz schon darum nicht zum Ausgangspunkte der Philosophie, weil er jedenfalls ein objektiver ist. Alles Objektive nämlich ist für uns stets nur mittelbar; das Subjektive allein ist das Unmittelbare: dieses darf daher nicht übergangen, sondern von ihm muß schlechterdings ausgegangen werden. Dies hat nun zwar Kartesius auch gethan, ja, er war der Erste, der es erkannte und that; weshalb eben mit ihm eine neue Haupt-Epoche der Philosophie anhebt: allein er thut es bloß präliminarisch, beim allerersten Anlauf, nach welchem er sogleich die objektive, absolute Realität der Welt, auf den Kredit der Wahrhaftigkeit Gottes, annimmt und von nun an ganz objektiv weiter philosophirt. Hiebei läßt er überdies sich nun eigentlich noch einen bedeutenden circulus vitiosus zu Schulden kommen. Er beweist nämlich die objektive Realität der Gegenstände aller unsrer anschaulichen Vorstellungen aus dem Daseyn Gottes, als ihres Urhebers, dessen Wahrhaftigkeit nicht zuläßt, daß er uns täusche: das Daseyn Gottes selbst aber beweist er aus der uns angeborenen Vorstellung, die wir von ihm, als dem allervollkommensten Wesen angeblich hätten. Il commence par douter de tout, et finit par tout croire, sagt einer seiner Landsleute von ihm.
Mit dem subjektiven Ausgangspunkt hat also zuerst Berkeley wahren Ernst gemacht und das unumgänglich Nothwendige desselben unumstößlich dargethan. Er ist der Vater des Idealismus: dieser aber ist die Grundlage aller wahren Philosophie, ist auch seitdem, wenigstens als Ausgangspunkt, durchgängig festgehalten worden, wenn gleich jeder folgende Philosoph andere Modulationen und Ausweichungen daran versucht hat. So nämlich ging auch schon Locke vom Subjektiven aus, indem er einen großen Theil der Eigenschaften der Körper unsrer Sinnesempfindung vindicirte. Jedoch ist zu bemerken, daß seine Zurückführung aller qualitativen Unterschiede, als sekundärer Eigenschaften, auf bloß quantitative, nämlich der Größe, Gestalt, Lage u. s. w., als die allein primären, d. h. objektiven Eigenschaften, im Grunde noch die Lehre des Demokritos ist, der eben so alle Qualitäten zurückführte auf Gestalt, Zusammensetzung und Lage der Atome; wie Dieses besonders deutlich zu ersehn ist aus des Aristoteles Metaphysik, Buch I, Katz. 4, und aus Theophrastus de sensu c. 61—65. – Locke wäre insofern ein Erneuerer der Demokritischen Philosophie, wie Spinoza der Eleatischen. Auch hat er ja wirklich den Weg zum nachherigen Französischen Materialismus angebahnt. Unmittelbar jedoch hat er, durch diese vorläufige Unterscheidung des Subjektiven vom Objektiven der Anschauung, Kanten vorgearbeitet, der nun, seine Richtung und Spur in viel höherem Sinne verfolgend, dahin gelangte, das Subjektive vom Objektiven rein zu sondern, bei welchem Proceß nun freilich dem Subjektiven so Vieles zufiel, daß das Objektive nur noch als ein ganz dunkler Punkt, ein nicht weiter erkennbares Etwas stehn blieb, – das Ding an sich. Dieses habe nun ich wieder auf das Wesen zurückgeführt, welches wir in unserm Selbstbewußtseyn als den Willen vorfinden, bin also auch hier abermals an die subjektive Erkenntnißquelle zurückgegangen. Anders konnte es aber auch nicht ausfallen; weil eben, wie gesagt, alles Objektive stets nur ein Sekundäres, nämlich eine Vorstellung ist. Daher also dürfen wir den innersten Kern der Wesen, das Ding an sich, durchaus nicht außerhalb, sondern nur in uns, also im Subjektiven suchen, als dem allein unmittelbaren. Hiezu kommt, daß wir beim Objektiven nie zu einem Ruhepunkt, einem Letzten und Ursprünglichen gelangen können, weil wir daselbst im Gebiete der Vorstellungen sind, diese aber sämmtlich und wesentlich den Satz vom Grunde, in seinen vier Gestalten, zur Form haben, wonach der Forderung desselben jedes Objekt sogleich verfällt und unterliegt: z. B. auf ein angenommenes objektives Absolutum dringt sogleich die Frage Woher? und Warum? zerstörend ein, vor der es weichen und fallen muß. Anders verhält es sich, wenn wir uns in die stille, wiewohl dunkele Tiefe des Subjekts versenken. Hier aber droht uns freilich die Gefahr, in Mysticismus zu gerathen. Wir dürfen also aus dieser Quelle nur Das schöpfen, was als thatsächlich wahr, Allen und Jedem zugänglich, folglich durchaus unleugbar ist. Die Dianoiologie, welche, als Resultat der Forschungen seit Kartesius, bis vor Kant gegolten hat, findet man en résumé und mit naiver Deutlichkeit dargelegt in Muratori della fantasia, Kap. 1-4 und 13. Locke tritt darin als Ketzer auf. Das Ganze ist ein Nest von Irrthümern, an welchen zu ersehn, wie ganz anders ich es gefaßt und dargestellt habe, nachdem ich Kant und Cabanis zu Vorgängern gehabt. Jene ganze Dianoiologie und Psychologie ist auf den falschen Kartesianischen Dualismus gebaut: nun muß Alles im ganzen Werk per fas et nefas auf ihn zurückgeführt werden, auch viele richtige und interessante Thatsachen, die er beibringt. Das ganze Verfahren ist als Typus interessant.
§. 13. Noch einige Erläuterungen zur Kantischen Philosophie.
Zum Motto der Kritik der reinen Vernunft wäre sehr geeignet eine Stelle von Pope (Works, Vol. 6, p. 374, Baseler Ausgabe), die dieser ungefähr 80 Jahre früher niedergeschrieben hat: Since ’tis reasonable to doubt most things, we should most of all doubt that reason of ours which would demonstrate all things.
Der eigentliche Geist der Kantischen Philosophie, ihr Grundgedanke