Parerga und Paralipomena. Arthur Schopenhauer
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Das Lockesche Reale, im Gegensatz des Idealen, ist im Grunde die Materie, zwar entblößt von allen den Eigenschaften, die er, als sekundäre, d. h. durch unsere Sinnesorgane bedingte, beseitigt; aber doch ein, an und für sich, als ein Ausgedehntes u. s. w. Existirendes, dessen bloßer Reflex, oder Abbild die Vorstellung in uns sei. Hiebei bringe ich nun in Erinnerung, daß ich (über die vierfache Wurzel, 2. Aufl., S. 77; 3. Aufl. S. 82, und, weniger ausführlich, in der Welt als W. und V., 2. Aufl. Bd. 1, S. 9 und Bd. 2, S. 48.; 3. Aufl. Bd. 1, S. 10 und Bd. 2, S. 52) dargethan habe, daß das Wesen der Materie durchaus nur in ihrem Wirken besteht, mithin die Materie durch und durch Kausalität ist, und daß, da bei ihr, als solcher gedacht, von jeder besondern Qualität, also von jeder specifischen Art des Wirkens, abgesehen wird, sie das Wirken, oder die reine, aller nähern Bestimmungen entbehrende Kausalität, die Kausalität in abstracto ist; welches ich, zu gründlicherem Verständniß, a. a. O. nachzusehn bitte. Nun aber hatte Kant schon gelehrt, wiewohl erst ich den richtigen Beweis dafür gegeben habe, daß alle Kausalität nur Form unsers Verstandes, also nur für den Verstand und im Verstande vorhanden sei. Hienach sehn wir jetzt jenes vermeinte Reale Locke’s, die Materie, auf diesem Wege ganz und gar in das Ideale, und damit in das Subjekt, zurückgehn, d. h. allein in der Vorstellung und für die Vorstellung existiren. – Schon Kant hat allerdings, durch seine Darstellung, dem Realen, oder dem Ding an sich, die Materialität genommen: allein ihm ist es auch nur als ein völlig unbekanntes x stehn geblieben. Ich aber habe zuletzt als das wahrhaft Reale, oder das Ding an sich, welches allein ein wirkliches, von der Vorstellung und ihren Formen unabhängiges Daseyn hat, den Willen in uns nachgewiesen; während man diesen, bis dahin, unbedenklich dem Idealen beigezählt hatte. Man sieht hienach, daß Locke, Kant und ich in genauer Verbindung stehn, indem wir, im Zeitraum fast zweier Jahrhunderte, die allmälige Entwickelung eines zusammenhängenden, ja einheitlichen Gedankenganges darstellen. Als ein Verbindungsglied in dieser Kette ist auch noch David Hume zu betrachten, wiewohl eigentlich nur in Betreff des Gesetzes der Kausalität. In Hinsicht auf diesen und seinen Einfluß habe ich die obige Darstellung nun noch durch Folgendes zu ergänzen.
Locke, wie auch der in seine Fußstapfen tretende Condillac und dessen Schüler, zeigen und führen aus, daß der in einem Sinnesorgan eingetretenen Empfindung eine Ursache derselben außerhalb unsers Leibes, und sodann den Verschiedenheiten solcher Wirkung (Sinnesempfindung) auch Verschiedenheiten der Ursachen entsprechen müssen, endlich auch, welche dies möglicherweise seyn können; woraus dann die oben berührte Unterscheidung zwischen primären und sekundären Eigenschaften hervorgeht. Damit nun sind sie fertig und jetzt steht für sie eine objektive Welt im Raume da, von lauter Dingen an sich, welche zwar farblos, geruchlos, geräuschlos, weder warm noch kalt u. s. w., jedoch ausgedehnt, gestaltet, undurchdringlich, beweglich und fühlbar sind. Allein das Axiom selbst, kraft dessen jener Uebergang vom Innern zum Aeußern und sonach jene ganze Ableitung und Installirung von Dingen an sich geschehn ist, also das Gesetz der Kausalität, haben sie, wie alle früheren Philosophen, als sich von selbst verstehend genommen und keiner Prüfung seiner Gültigkeit unterworfen. Hierauf richtete nun Hume seinen skeptischen Angriff, indem er die Gültigkeit jenes Gesetzes in Zweifel stellte; weil nämlich die Erfahrung, aus der ja, eben jener Philosophie zufolge, alle unsere Kenntnisse stammen sollten, doch niemals den kausalen Zusammenhang selbst, sondern immer nur die bloße Succession der Zustände in der Zeit, also nie ein Erfolgen, sondern ein bloßes Folgen liefern könne, welches, eben als solches, sich stets nur als ein zufälliges, nie als ein nothwendiges erweise. Dies schon dem gesunden Verstande widerstrebende, jedoch nicht leicht zu widerlegende Argument veranlaßte nun Kanten, dem wahren Ursprung des Begriffs der Kausalität nachzuforschen: wo er denn fand, daß dieser in der wesentlichen und angeborenen Form unseres Verstandes selbst, also im Subjekt liege, nicht aber im Objekt, indem er nicht erst von außen uns beigebracht würde. Hiedurch nun aber war jene ganze objektive Welt Locke’s und Condillac’s wieder in das Subjekt hineingezogen; da Kant den Leitfaden zu ihr als subjektiven Ursprungs nachgewiesen hatte. Denn, so subjektiv die Sinnesempfindung ist, so subjektiv ist jetzt auch die Regel, welcher zufolge sie als Wirkung einer Ursache aufzufassen ist; welche Ursache es doch allein ist, die als objektive Welt angeschaut wird; indem ja das Subjekt ein draußen befindliches Objekt bloß in Folge der Eigenthümlichkeit seines Intellekts, zu jeder Veränderung eine Ursache vorauszusetzen, annimmt, also eigentlich nur es aus sich herausprojicirt, in einem zu diesem Zwecke bereiten Raum, welcher selbst ebenfalls ein Produkt seiner eigenen und ursprünglichen Beschaffenheit ist, so gut wie die specifische Empfindung in den Sinnesorganen, auf deren Anlaß der ganze Vorgang eintritt. Jene Locke’sche objektive Welt von Dingen an sich war demnach durch Kant in eine Welt von bloßen Erscheinungen in unserm Erkenntnißapparat verwandelt worden, und dies um so vollständiger, als, wie der Raum, in dem sie sich darstellen, so auch die Zeit, in der sie vorüberziehn, als unleugbar subjektiven Ursprungs von ihm nachgewiesen war.
Bei allem Diesen aber ließ Kant noch immer, so gut wie Locke, das Ding an sich bestehn, d. h. etwas, das unabhängig von unsern Vorstellungen, als welche uns bloße Erscheinungen liefern, vorhanden wäre und eben diesen Erscheinungen zum Grunde läge. So sehr nun Kant auch hierin, an und für sich, Recht hatte; so war doch aus den von ihm aufgestellten Prinzipien die Berechtigung dazu nicht abzuleiten. Hier lag daher die Achillesverse seiner Philosophie, und diese hat, durch die Nachweisung jener Inkonsequenz, die schon erlangte Anerkennung unbedingter Gültigkeit und Wahrheit wieder einbüßen müssen: allein im letzten Grunde geschah ihr dabei dennoch Unrecht. Denn ganz gewiß ist keineswegs die Annahme eines Dinges an sich hinter den Erscheinungen, eines realen Kerns unter so vielen Hüllen, unwahr; da vielmehr die Ableugnung desselben absurd wäre; sondern nur die Art, wie Kant ein solches Ding an sich einführte und mit seinen Prinzipien zu vereinigen suchte, war fehlerhaft. Im Grunde ist es demnach nur seine Darstellung (dies Wort im umfassendesten Sinne genommen) der Sache, nicht diese selbst, welche den Gegnern unterlag, und in diesem Sinne ließe sich behaupten, daß die gegen ihn geltend gemachte Argumentation doch eigentlich nur ad hominem, nicht ad rem gewesen sei. Jedenfalls aber findet hier das Indische Sprichwort wieder Anwendung: kein Lotus ohne Stengel. Kanten leitete die sicher gefühlte Wahrheit, daß hinter jeder Erscheinung ein an sich selbst Seyendes, von dem sie ihren Bestand erhält, also hinter der Vorstellung ein Vorgestelltes liege. Aber er unternahm, dieses aus der gegebenen Vorstellung selbst abzuleiten, unter Hinzuziehung ihrer uns a priori bewußten Gesetze, welche jedoch, gerade weil sie a priori sind, nicht auf ein von der Erscheinung, oder Vorstellung, Unabhängiges und Verschiedenes leiten können; weshalb man zu diesem einen ganz andern Weg einzuschlagen hat. Die Inkonsequenzen, in welche Kant, durch den fehlerhaften Gang, den er in dieser Hinsicht genommen, sich verwickelt hatte, wurden ihm dargethan von G. E. Schultze, der, in seiner schwerfälligen und weitläuftigen Manier die Sache auseinandergesetzt hat, zuerst anonym im Aenesidemus (besonders S. 374—381), und später in seiner Kritik der theoretischen Philosophie (Bd. 2, S. 205 fg.); wogegen Reinhold Kant’s Vertheidigung, jedoch ohne sonderlichen Erfolg, geführt hat, so daß es bei dem haec potuisse dici, et non potuisse refelli sein Bewenden hatte.
Ich will hier das der ganzen Kontroverse zum Grunde liegende eigentlich Wesentliche der Sache selbst, unabhängig von der Schultze-schen Auffassung derselben, ein Mal auf meine Weise recht deutlich hervorheben. – Eine strenge Ableitung des Dinges an sich hat Kant nie gegeben, vielmehr hat er dasselbe von seinen Vorgängern, namentlich Locke, überkommen und als etwas, an dessen Daseyn nicht zu zweifeln sei, indem es sich eigentlich von selbst verstehe, beibehalten; ja, er durfte dies gewissermaaßen. Nach Kants Entdeckungen enthält nämlich unsre empirische Erkenntniß ein Element, welches nachweisbar subjektiven Ursprungs ist, und ein anderes, von dem dieses nicht gilt: dieses