Parerga und Paralipomena. Arthur Schopenhauer

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Parerga und Paralipomena - Arthur  Schopenhauer

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ein für alle Mal geltende Bedeutung hätten, über welche sich daher ein Lexikon machen ließe. Solches ist aber nicht der Fall: vielmehr ist die Allegorie dem jedesmaligen Objekt und Subjekt des dem allegorischen Traume zum Grunde liegenden theorematischen Traumes eigens und individuell angepaßt. Daher eben ist die Auslegung der allegorischen fatidiken Träume größtentheils so schwer, daß wir sie meistens erst, nachdem ihre Verkündigung eingetroffen ist, verstehn, dann aber die ganz eigenthümliche, dem Träumenden sonst völlig fremde, dämonische Schalkhaftigkeit des Witzes, mit welchem die Allegorie angelegt und ausgeführt worden, bewundern müssen: daß wir aber bis dahin diese Träume im Gedächtniß behalten, ist Dem zuzuschreiben, daß sie durch ihre ausgezeichnete Anschaulichkeit, ja Leibhaftigkeit, sich tiefer einprägen, als die übrigen. Allerdings wird Uebung und Erfahrung auch der Kunst, die Träume auszulegen, förderlich seyn. Aber nicht Schuberts bekanntes Buch, an welchem nichts taugt, als blos der Titel, sondern der alte Artemidoros ist es, aus dem man wirklich die Symbolik des Traumes kennen lernen kann, zumal aus seinen zwei letzten Büchern, wo er an Hunderten von Beispielen uns die Art und Weise, die Methode und den Humor, faßlich macht, deren unsre träumende Allwissenheit sich bedient, um, womöglich, unsrer wachenden Unwissenheit Einiges beizubringen.

      Dies ist nämlich aus seinen Beispielen viel besser zu erlernen, als aus seinen vorhergängigen Theoremen und Regeln darüber. (Allegorische Wahrträume des Schultheißen Textor erzählt Goethe Aus meinem Leben, Buch I, S. 42 fg. im 20. Bande der Ausgabe in 40 Bänden.) Daß auch Shakespeare den besagten Humor der Sache vollkommen gefaßt hatte, zeigt er im Heinrich VI., Th. II, Akt 3, Sc. 2, wo, auf die ganz unerwartete Nachricht vom plötzlichen Tode des Herzogs von Gloster, der schurkische Kardinal Beaufort, der am besten weiß, wie es darum steht, ausruft: Geheimnißvolles Gericht Gottes! mir träumte diese Nacht, der Herzog wäre stumm und könnte kein Wort reden. Hier nun ist die wichtige Bemerkung einzuschalten, daß wir das dargelegte Verhältniß zwischen dem theorematischen und dem ihn wiedergebenden allegorischen fatidiken Traume sehr genau wiederfinden in den Aussprüchen der alten griechischen Orakel.

      Auch diese nämlich, eben wie die fatidiken Träume, geben sehr selten ihre Aussage direkt und sensu proprio, sondern hüllen sie in eine Allegorie, die der Auslegung bedarf, ja, oft erst, nachdem das Orakel in Erfüllung gegangen, verstanden wird, eben wie auch die allegorischen Träume. Aus zahlreichen Belegen führe ich, bloß zur Bezeichnung der Sache an, daß z. B. im Herodot, III, 57, der Orakelspruch der Pythia die Siphner vor der hölzernen Schaar und dem rothen Herold warnt, worunter ein Samisches, einen Sendboten tragendes und roth angestrichenes Schiff zu verstehen war; was jedoch die Siphner weder sogleich, noch als das Schiff kam, verstanden haben, sondern erst hinterher. Ferner, im IV. Buch, Kap. 163, verwarnt das Orakel der Pythia den König Arkesilaos von Kyrene, daß wenn er den Brennofen voller Amphoren finden würde, er diese nicht ausbrennen, sondern fortschicken solle. Aber erst, nachdem er die Rebellen, welche sich in einen Thurm gefüchtet hatten, in und mit diesem verbrannt hatte, verstand er den Sinn des Orakels und ihm ward Angst. Die vielen Fälle dieser Art deuten entschieden darauf hin, daß den Aussprüchen des Delphischen Orakels künstlich herbeigeführte fatidike Träume zum Grunde lagen, und daß diese bisweilen bis zum deutlichsten Hellsehn gesteigert werden konnten, worauf dann ein direkter, sensu proprio redender Ausspruch erfolgte, bezeugt die Geschichte vom Krösus (Herodot I, 47, 48), der die Pythia dadurch auf die Probe stellte, daß seine Gesandten sie befragen mußten, was er gerade jetzt, am hundertsten Tage seit ihrer Abreise, fern von ihr in Lydien, vornähme und thäte: worauf sie genau und richtig aussagte, was Keiner als der König selbst wußte, daß er eigenhändig in einem ehernen Kessel mit ehernem Deckel Schildkröte und Hammelfleisch zusammen koche. – Der angegebenen Quelle der Orakelsprüche der Pythia entspricht es, daß man sie auch medicinisch, wegen körperlicher Leiden konsultirte: davon ein Beispiel bei Herodot IV, 155.

      Dem oben Gesagten zufolge sind die theorematischen fatidiken Träume der höchste und seltenste Grad des Vorhersehens im natürlichen Schlafe, die allegorischen der zweite, geringere. An diese nun schließt sich noch, als letzter und schwächster Ausfluß aus derselben Ouelle, die bloße Ahndung, das Vorgefühl. Dasselbe ist öfter trauriger, als heiterer Art; weil eben des Trübsals im Leben mehr ist, als der Freude. Eine finstere Stimmung, eine ängstliche Erwartung des Kommenden, hat sich, nach dem Schlafe, unserer bemächtigt, ohne daß eine Ursache dazu vorläge. Dies ist, der obigen Darstellung gemäß, daraus zu erklären, daß jenes Uebersetzen des im tiefsten Schlafe dagewesenen, theorematischen, wahren, Unheil verkündenden Traumes, in einen allegorischen des leichteren Schlafs nicht gelungen und daher von jenem nichts im Bewußtseyn zurückgeblieben ist, als sein Eindruck auf das Gemüth, d. h. den Willen selbst, diesen eigentlichen und letzten Kern des Menschen. Dieser Eindruck klingt nun nach, als weissagendes Vorgefühl, als finstere Ahndung.

      Bisweilen wird jedoch diese sich unsrer erst dann bemächtigen, wann die ersten, mit dem im theorematischen Traume gesehenen Unglück zusammenhängenden Umstände in der Wirklichkeit eintreten, z. B. wann Einer das Schiff, welches untergehn soll, zu besteigen im Begriffe steht, oder wann er sich dem Pulverthurm, der auffliegen soll, nähert: schon mancher ist dadurch, daß er alsdann der plötzlich aufsteigenden bangen Ahndung, der ihn befallenden innern Angst, Folge leistete, gerettet worden.

      Wir müssen dies daraus erklären, daß aus dem theorematischen Traume, obwohl er vergessen ist, doch eine schwache Reminiscenz, eine dumpfe Erinnerung übrig geblieben, die zwar nicht vermag, ins deutliche Bewußtseyn zu treten, aber deren Spur aufgefrischt wird durch den Anblick eben der Dinge, in der Wirklichkeit, die im vergessenen Traume so entsetzlich auf uns gewirkt hatten.

      Dieser Art war auch das Dämonion des Sokrates, jene innere Warnungsstimme, die ihn, sobald er irgend etwas Nachtheiliges zu unternehmen sich entschließen wollte, davon abmahnte, immer jedoch nur ab-, nie zurathend. Eine unmittelbare Bestätigung der dargelegten Theorie der Ahndungen ist nur vermittelst des magnetischen Somnambulismus möglich, als welcher die Geheimnisse des Schlafes ausplaudert. Demgemäß finden wir eine solche in der bekannten Geschichte der Auguste Müller zu Karlsruhe S. 78. Den l5. December ward die Somnambule, in ihrem nächtlichen (magnetischen) Schlaf, eines unangenehmen, sie betreffenden Vorfalls inne, der sie sehr niederbeugte. Sie bemerkte zugleich: sie werde den ganzen folgenden Tag ängstlich und beklommen seyn, ohne zu wissen warum. – Ferner giebt eine Bestätigung dieser Sache der in der Seherin von Prevorst (erste Aufl. Bd. 2. S. 73, – 3. Aufl. S. 325) erzählte Eindruck, den gewisse, auf die somnambulen Vorgänge sich beziehende Verse, im Wachen, auf die von jenen jetzt nichts wissende Seherin machten. Auch in Kieser’s Tellurismus, §. 271, findet man Thatsachen, die auf diesen Punkt Licht werfen.

      Hinsichtlich alles Bisherigen ist es sehr wichtig, folgende Grundwahrheit wohl zu fassen und festzuhalten. Der magnetische Schlaf ist nur eine Steigerung des natürlichen; wenn man will, eine höhere Potenz desselben: es ist ein ungleich tieferer Schlaf. Diesem entsprechend ist das Hellsehn nur eine Steigerung des Träumens: es ist ein beständiges Wahrträumen, welches aber hier von außen gelenkt und worauf man will gerichtet werden kann. Drittens ist denn auch die, in so vielen Krankheitsfällen bewährte, unmittelbar heilsame Einwirkung des Magnetismus nichts anderes, als eine Steigerung der natürlichen Heilkraft des Schlafs in allen. Ist doch dieser das wahre große Panakeion und zwar dadurch, daß allererst mittelst seiner die Lebenskraft, der animalischen Funktionen entledigt, völlig frei wird, um jetzt mit ihrer ganzen Macht als vis naturae medicatrix aufzutreten und in dieser Eigenschaft alle im Organismus eingerissenen Unordnungen wieder ins rechte Gleis zu bringen; weshalb auch überall das gänzliche Ausbleiben des Schlafs keine Genesung zuläßt. Dies nun aber leistet der ungleich tiefere, magnetische Schlaf in viel höherem Grade, daher er auch, wann er, um große, bereits chronische Uebel zu heben, von selbst eintritt, bisweilen mehrere Tage anhält, wie z. B. in dem vom Grafen Szapary veröffentlichten Fall (Ein Wort über anim. Magn. Leipzig 1840); ja, in Russland einst eine schwindsüchtige Somnambule, in der allwissenden Krise, ihrem Arzte befahl, sie auf 9 Tage in Scheintod zu versetzen, während welcher Zeit alsdann ihre Lunge völliger Ruhe genoß und dadurch heilte, so daß sie

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