Parerga und Paralipomena. Arthur Schopenhauer
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Das überschwänglich Wunderbare, und daher, bis es durch die Uebereinstimmung hundertfältiger, glaubwürdigster Zeugnisse bekräftigt war, schlechthin Unglaubliche des somnambulen Hellsehns, als welchem das Verdeckte, das Abwesende, das weit Entfernte, ja, das noch im Schooße der Zukunft Schlummernde offen liegt, verliert wenigstens seine absolute Unbegreiflichkeit, wenn wir wohl erwägen, daß, wie ich so oft gesagt habe, die objektive Welt ein bloßes Gehirnphänomen ist: denn die auf Raum, Zeit und Kausalität (als Gehirnfunktionen) beruhende Ordnung und Gesetzmäßigkeit desselben ist es, die im somnambulen Hellsehn im gewissen Grade beseitigt wird. Nämlich in Folge der Kantischen Lehre von der Idealität des Raumes und der Zeit begreifen wir, daß das Ding an sich, also das allein wahrhaft Reale in allen Erscheinungen, als frei von jenen beiden Formen des Intellekts, den Unterschied von Nähe und Ferne, von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft nicht kennt; daher die auf jenen Anschauungsformen beruhenden Trennungen sich nicht als absolute erweisen, sondern für die in Rede stehende, durch Umgestaltung ihres Organs im Wesentlichen veränderte Erkenntnißweise keine unübersteigbare Schranken mehr darbieten.
Wären hingegen Zeit und Raum absolut real und dem Wesen an sich der Dinge angehörig; dann wäre allerdings jene Sehergabe der Somnambulen, wie überhaupt alles Fernsehn und Vorhersehn, ein schlechthin unbegreifliches Wunder. Andrerseits erhält sogar, durch die hier in Rede stehenden Thatsachen, Kants Lehre gewissermaaßen eine faktische Bestätigung. Denn, ist die Zeit keine Bestimmung des eigentlichen Wesens der Dinge; so ist, hinsichtlich auf dieses, Vor und Nach ohne Bedeutung: demgemäß also muß eine Begebenheit eben so wohl erkannt werden können, ehe sie geschehn, als nachher. Jede Mantik, sei es im Traum, im somnambulen Vorhersehn, im zweiten Gesicht, oder wie noch etwan sonst, besteht nur im Auffinden des Wegs zur Befreiung der Erkenntniß von der Bedingung der Zeit. – Auch läßt die Sache sich in folgendem Gleichniß veranschaulichen.
Ding an sich ist das primum mobile in dem Mechanismus, der dem ganzen, komplicirten und bunten Spielwerk dieser Welt seine Bewegung ertheilt. Jenes muß daher von anderer Art und Beschaffenheit seyn, als dieses. Wir sehn wohl den Zusammenhang der einzelnen Theile des Spielwerks, in den absichtlich zu Tage gelegten Hebeln und Rädern (Zeitfolge und Kausalität): aber Das, was diesen allen die erste Bewegung ertheilt, sehn wir nicht. Wenn ich nun lese, wie hellsehende Somnambule das Zukünftige so lange vorher und so genau verkünden, so kommt es mir vor, als wären sie zu dem da hinten verborgenen Mechanismus gelangt, von dem Alles ausgeht, und woselbst daher schon jetzt und gegenwärtig Das ist, was äußerlich, d. h. durch unser optisches Glas Zeit gesehn, erst als künftig und kommend sich darstellt.
Ueberdies hat nun der selbe animalische Magnetismus, dem wir diese Wunder verdanken, uns auch ein unmittelbares Wirken des Willens auf Andere und in die Ferne auf mancherlei Weise beglaubigt: ein solches aber ist gerade der Grundcharakter Dessen, was der verrufene Namen der Magie bezeichnet. Denn diese ist ein von den kausalen Bedingungen des physischen Wirkens, also des Kontakts, im weitesten Sinne des Worts, befreites, unmittelbares Wirken unsers Willens selbst; wie ich dies in einem eigenen Kapitel dargelegt habe in der Schrift über den Willen in der Natur. Das magische verhält sich daher zum physischen Wirken, wie die Mantik zur vernünftigen Konjektur: es ist wirkliche und gänzliche actio in distans, wie die ächte Mantik, z. B. das somnambule Hellsehn, passio a distante ist.
Wie in diesem die individuelle Isolation der Erkenntnisse, so ist in jener die individuelle Isolation des Willens aufgehoben. In Beiden leisten wir daher unabhängig von den Beschränkungen, welche Raum, Zeit und Kausalität herbeiführen, was wir sonst und alltäglich nur unter diesen vermögen. In ihnen hat also unser innerstes Wesen, oder das Ding an sich, jene Formen der Erscheinung abgestreift und tritt frei von ihnen hervor. Daher ist auch die Glaubwürdigkeit der Mantik der der Magie verwandt und ist der Zweifel an Beiden stets zugleich gekommen und gewichen.
Animalischer Magnetismus, sympathetische Kuren, Magie, zweites Gesicht, Wahrträumen, Geistersehn und Visionen aller Art sind verwandte Erscheinungen, Zweige Eines Stammes, und geben sichere, unabweisbare Anzeige von einem Nexus der Wesen, der auf einer ganz andern Ordnung der Dinge beruht, als die Natur ist, als welche zu ihrer Basis die Gesetze des Raumes, der Zeit und der Kausalität hat; während jene andere Ordnung eine tiefer liegende, ursprünglichere und unmittelbarere ist, daher vor ihr die ersten und allgemeinsten, weil rein formalen, Gesetze der Natur ungültig sind, demnach Zeit und Raum die Individuen nicht mehr trennen und die eben auf jenen Formen beruhende Vereinzelung und Isolation derselben nicht mehr der Mittheilung der Gedanken und dem unmittelbaren Einfluß des Willens unübersteigbare Gränzen setzt; so daß Veränderungen herbeigeführt werden auf einem ganz andern Wege, als dem der physischen Kausalität und der zusammenhängenden Kette ihrer Glieder, nämlich bloß vermöge eines auf besondere Weise an den Tag gelegten und dadurch über das Individuum hinaus potenzirten Willensaktes. Demgemäß ist der eigenthümliche Charakter sämmtlicher hier in Rede stehender, animaler Phänomene visio in distans et actio in distans, sowohl der Zeit als dem Raume nach.
Beiläufig gesagt, ist der wahre Begriff der ratio in distans dieser, daß der Raum zwischen dem Wirkenden und dem Bewirkten, er sei voll oder leer, durchaus keinen Einfluß auf die Wirkung habe, – sondern es völlig einerlei sei, ob er einen Zoll, oder eine Billion Uranusbahnen beträgt. Denn, wenn die Wirkung durch die Entfernung irgend geschwächt wird; so ist es, entweder weil eine den Raum bereits füllende Materie dieselbe fortzupflanzen hat und daher, vermöge ihrer steten Gegenwirkung, sie, nach Maaßgabe der Entfernung, schwächt, oder auch, weil die Ursache selbst bloß in einer materiellen Ausströmung besteht, die sich im Raum verbreitet und also desto mehr verdünnt, je größer dieser ist. Hingegen kann der leere Raum selbst auf keine Weise widerstehn und die Kausalität schwächen. Wo also die Wirkung, nach Maaßgabe ihrer Entfernung vom Ausgangspunkte ihrer Ursache, abnimmt, wie die des Lichtes, der Gravitation, des Magneten u. s. w., da ist keine actio in distans; und eben so wenig da, wo sie durch die Entfernung auch nur verspätet wird. Denn das Bewegliche im Raum ist allein die Materie: diese müßte also der den Weg zurücklegende Träger einer solchen Wirkung seyn und demgemäß erst wirken, nachdem sie angekommen, mithin erst beim Kontakt, folglich nicht in distans.
Hingegen die hier in Rede stehenden und oben als Zweige eines Stammes aufgezählten Phänomene haben, wie gesagt, gerade die actio in distans und passio a distante zum specifischen Kennzeichen. Hiedurch aber liefern sie, wie auch schon erwähnt, zunächst eine so unerwartete, wie sichere faktische Bestätigung der Kantischen Grundlehre vom Gegensatz der Erscheinung und des Dinges an sich, und dem der Gesetze Beider. Die Natur und ihre Ordnung ist nämlich, nach Kant, bloße Erscheinung: als den Gegensatz derselben sehn wir alle hier in Rede stehenden, magisch