Parerga und Paralipomena. Arthur Schopenhauer

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Parerga und Paralipomena - Arthur  Schopenhauer

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vermitteltes ist, folgt schon daraus, daß es, wenn zum Hellsehn gesteigert, durch Mauern nicht gehindert wird, ja bisweilen in ferne Länder reicht.

      Eine besondere Erläuterung zu demselben liefert uns die bei den höhern Graden des Hellsehns eintretende Selbstanschauung nach innen, vermöge welcher solche Somnambulen alle Theile ihres eigenen Organismus deutlich und genau wahrnehmen, obgleich hier, sowohl wegen Abwesenheit alles Lichtes, als wegen der, zwischen dem angeschauten Theile und dem Gehirne liegenden vielen Scheidewände, alle Bedingungen zum physischen Sehn gänzlich fehlen. Hieraus nämlich können wir abnehmen, welcher Art alle somnambule Wahrnehmung, also auch die nach außen und in die Ferne gerichtete, und sonach überhaupt alle Anschauung mittelst des Traumorgans sei, mithin alles somnambule Sehen äußerer Gegenstände, auch alles Träumen, alle Visionen im Wachen, das zweite Gesicht, die leibhafte Erscheinung Abwesender, namentlich Sterbender u. s. w. Denn das erwähnte Schauen der innern Theile des eigenen Leibes entsteht offenbar nur durch eine Einwirkung von innen, wahrscheinlich unter Vermittelung des Gangliensystems, auf das Gehirn, welches nun, seiner Natur getreu, diese innern Eindrücke eben so wie die ihm von außen kommenden verarbeitet, gleichsam einen fremden Stoff in seine ihm selbst eigenen und gewohnten Formen gießend, woraus denn eben solche Anschauungen, wie die von Eindrücken auf die äußern Sinne herrührenden entstehn, welche denn auch, in eben dem Maaße und Sinne wie jene, den angeschauten Dingen entsprechen. Demnach ist jegliches Schauen durch das Traumnorgan die Thätigkeit der anschauenden Gehirnfunktion, angeregt durch innere Eindrücke, statt, wie sonst, durch äußere.34 Daß eine solche dennoch, auch wenn sie äußere, ja, entfernte Dinge betrifft, objektive Realität und Wahrheit haben könne, ist eine Thatsache, deren Erklärung jedoch nur auf metaphysischem Wege, nämlich aus der Beschränkung aller Individuation und Abtrennung auf die Erscheinung, im Gegensatz des Dinges an sich, versucht werden könnte, und werden wir darauf zurückkommen.

      Daß aber überhaupt die Verbindung der Somnambulen mit der Außenwelt eine von Grund aus andere sei, als die unsrige im wachen Zustande, beweist am deutlichsten der, in den höhern Graden häufig eintretende Umstand, daß, während die eigenen Sinne der Hellseherin jedem Eindrucke unzugänglich sind, sie mit denen des Magnetiseurs empfindet, z. B. niest, wann er eine Prise nimmt, schmeckt und genau bestimmt was er ißt, und sogar die Musik, die in einem von ihr entfernten Zimmer des Hauses vor seinen Ohren erschallt, mithört. (Kiesers Archiv Bd. 1, H. 1, S. 117.)

      Der physiologische Hergang bei der somnambulen Wahrnehmung ist ein schwieriges Räthsel, zu dessen Lösung jedoch der erste Schritt eine wirkliche Physiologie des Traumes seyn würde, d. h. eine deutliche und sichere Erkenntniß, welcher Art die Thätigkeit des Gehirns im Traume sei, worin eigentlich sie sich von der im Wachen unterscheide, – endlich von wo die Anregung zu ihr, mithin auch die nähere Bestimmung ihres Verlaufs, ausgehe.

      Nur so viel läßt sich bis jetzt, hinsichtlich der gesammten anschauenden und denkenden Thätigkeit im Schlafe, mit Sicherheit annehmen: erstlich, daß das materielle Organ derselben, ungeachtet der relativen Ruhe des Gehirns, doch kein anderes, als eben dieses seyn könne, und zweitens, daß die Erregung zu solcher Traum-Anschauung, da sie nicht von außen durch die Sinne kommen kann, vom Innern des Organismus aus geschehn müsse. Was aber die, beim Somnambulismus unverkennbare, richtige und genaue Beziehung jener Traumanschauung zur Außenwelt betrifft; so bleibt sie uns ein Räthsel, dessen Lösung ich nicht unternehme, sondern nur einige allgemeine Andeutungen darüber weiterhin geben werde. Hingegen habe ich, als Grundlage der besagten Physiologie des Traums, also zur Erklärung unsrer gesammten träumenden Anschauung, mir folgende Hypothese ausgedacht, die in meinen Augen große Wahrscheinlichkeit hat.

      Da das Gehirn, während des Schlafs, seine Anregung zur Anschauung räumlicher Gestalten besagterweise von innen, statt, wie beim Wachen, von außen, erhält; so muß diese Einwirkung dasselbe in einer, der gewöhnlichen, von den Sinnen kommenden, entgegengesetzten Richtung treffen. In Folge hievon nimmt nun auch seine ganze Thätigkeit, also die innere Vibration oder Wallung seiner Fibern, eine der gewöhnlichen entgegengesetzte Richtung, geräth gleichsam in eine antiperistaltische Bewegung. Statt daß sie nämlich sonst in der Richtung der Sinneseindrücke, also von den Sinnesnerven zum Innern des Gehirns vor sich geht, wird sie jetzt in umgekehrter Richtung und Ordnung, dadurch aber mitunter von andern Theilen, vollzogen, so daß jetzt, zwar wohl nicht die untere Gehirnfläche, statt der obern, aber vielleicht die weiße Mark-Substanz statt der grauen Kortikal-Substanz und vice versa fungiren muß. Das Gehirn arbeitet also jetzt wie umgekehrt. Hieraus wird zunächst erklärlich, warum von der somnambulen Thätigkeit keine Erinnerung ins Wachen übergeht, da dieses durch Vibration der Gehirnfibern in der entgegengesetzten Richtung bedingt ist, welche folglich von der vorher dagewesenen jede Spur aufhebt. Als eine specielle Bestätigung dieser Annahme könnte man beiläufig die sehr gewöhnliche, aber seltsame Thatsache anführen, daß, wann wir aus dem ersten Einschlafen sogleich wieder erwachen, oft eine totale räumliche Desorientirung bei uns eingetreten ist, der Art, daß wir jetzt alles umgekehrt aufzufassen, nämlich was rechts vom Bette ist links, und was hinten ist nach vorne zu imaginiren, genöthigt sind, und zwar mit solcher Entschiedenheit, daß, im Finstern, selbst die vernünftige Ueberlegung, es verhalte sich doch umgekehrt, jene falsche Imagination nicht aufzuheben vermag, sondern hiezu das Getast nöthig ist. Besonders aber läßt, durch unsere Hypothese, jene so merkwürdige Lebendigkeit der Traumanschauung, jene oben geschilderte, scheinbare Wirklichkeit und Leibhaftigkeit aller im Traume wahrgenommenen Gegenstände sich begreiflich machen, nämlich daraus, daß die aus dem Innern des Organismus kommende und vom Centro ausgehende Anregung der Gehirnthätigkeit, welche eine der gewöhnlichen Richtung entgegengesetzte befolgt, endlich ganz durchdringt, also zuletzt sich bis auf die Nerven der Sinnesorgane erstreckt, welche nunmehr von innen, wie sonst von außen, erregt, in wirkliche Thätigkeit gerathen. Demnach haben wir im Traume wirklich Licht-, Farben-, Schall-, Geruchs-und Geschmacks-Empfindungen, nur ohne die sonst sie erregenden äußern Ursachen, bloß vermöge innerer Anregung und in Folge einer Einwirkung in umgekehrter Richtung und umgekehrter Zeitordnung. Daraus also wird jene Leibhaftigkeit der Träume erklärlich, durch die sie sich von bloßen Phantasien so mächtig unterscheiden. Das Phantasiebild (im Wachen) ist immer bloß im Gehirn: denn es ist nur die, wenn auch modifizirte Reminescenz einer frühern, materiellen, durch die Sinne geschehenen Erregung der anschauenden Gehirnthätigkeit. Das Traumgesicht hingegen ist nicht bloß im Gehirn, sondern auch in den Sinnesnerven, und ist entstanden in Folge einer materiellen, gegenwärtig wirksamen, aus dem Innern kommenden und das Gehirn durchdringenden Erregung derselben. Weil wir demnach im Traume wirklich sehn, so ist überaus treffend und fein, ja tief gedacht, was Apulejus die Charite sagen läßt, als sie im Begriff ist, dem schlafenden Thrasyllus beide Augen auszustechen: vivo tibi morientur oculi, nec quidquam videbis, nisi dormiens. (Metam. VIII, p. 172, ed. Bip.) Das Traumorgan ist also das selbe mit dem Organ des wachen Bewußtseyns und Anschauens der Außenwelt, nur gleichsam vom andern Ende angefaßt und in umgekehrter Ordnung gebraucht, und die Sinnesnerven, welche in beiden fungiren, können sowohl von ihrem innern, als von ihrem äußern Ende aus in Thätigkeit versetzt werden; – etwan wie eine eiserne Hohlkugel sowohl von innen, als von außen, glühend gemacht werden kann. Weil, bei diesem Hergange, die Sinnesnerven das Letzte sind, was in Thätigkeit geräth; so kann es kommen, daß diese erst angefangen hat und noch im Gange ist, wann das Gehirn bereits aufwacht, d. h. die Traumanschauung mit der gewöhnlichen vertauscht: alsdann werden wir, soeben erwacht, etwan Töne, z. B. Stimmen, Klopfen an der Thüre, Flintenschüsse u. s. w. mit einer Deutlichkeit und Objektivität, die es der Wirklichkeit vollkommen und ohne Abzug gleichthut, vernehmen und dann fest glauben, es seien Töne der Wirklichkeit, von außen, in Folge welcher wir sogar erst erwacht wären, oder auch, was jedoch seltener ist, wir werden Gestalten sehn, mit völliger empirischer Realität, wie dieses Letztere schon Aristoteles erwähnt, de insomniis c. 3 ad finem. – Das hier beschriebene Traumorgan nun aber ist es, wodurch, wie oben genugsam auseinandergesetzt, die somnambule Anschauung, das Hellsehn, das zweite Gesicht und die Visionen jeder Art vollzogen werden. —

      Von diesen physiologischen Betrachtungen kehre ich nunmehr zurück zu dem oben dargelegten Phänomen des Wahrträumens, welches schon im gewöhnlichen, nächtlichen Schlafe eintreten kann, wo es dann alsbald durch das bloße Erwachen bestätigt wird, wenn es

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