Parerga und Paralipomena. Arthur Schopenhauer
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Читать онлайн книгу Parerga und Paralipomena - Arthur Schopenhauer страница 59
Wie jede Veränderung in der realen Welt schlechterdings nur in Folge einer ihr vorhergegangenen andern, ihrer Ursache, eintreten kann; so ist auch der Eintritt aller Gedanken und Vorstellungen in unser Bewußtseyn dem Satze vom Grunde überhaupt unterworfen; daher solche jedesmal entweder durch einen äußern Eindruck auf die Sinne, oder aber, nach den Gesetzen der Association (worüber Kap. 14 im zweiten Bande meines Hauptwerks) durch einen ihnen vorhergängigen Gedanken hervorgerufen seyn müssen; außerdem sie nicht eintreten könnten. Diesem Satze vom Grunde, als dem ausnahmslosen Princip der Abhängigkeit und Bedingtheit aller irgend für uns vorhandenen Gegenstände, müssen nun auch die Träume, hinsichtlich ihres Eintritts, irgendwie unterworfen seyn: allein auf welche Weise sie ihm unterliegen, ist sehr schwer auszumachen. Denn das Charakteristische des Traumes ist die ihm wesentliche Bedingung des Schlafs, d. h. der aufgehobenen normalen Thätigkeit des Gehirns und der Sinne: erst wann diese Thätigkeit feiert, kann der Traum eintreten; gerade so, wie die Bilder der Laterna magika erst erscheinen können, nachdem man die Beleuchtung des Zimmers aufgehoben hat. Demnach wird der Eintritt, mithin auch der Stoff des Traums zuvörderst nicht durch äußere Eindrücke auf die Sinne herbeigeführt: einzelne Fälle, wo, bei leichtem Schlummer, äußere Töne, auch wohl Gerüche, noch ins Sensorium gedrungen sind und Einfluß auf den Traum erlangt haben, sind specielle Ausnahmen, von denen ich hier absehe. Nun aber ist sehr beachtenswerth, daß die Träume auch nicht durch die Gedankenassociation herbeigeführt werden. Denn sie entstehn entweder mitten im tiefen Schlafe, dieser eigentlichen Ruhe des Gehirns, welche wir als eine vollkommene, mithin als ganz bewußtlos anzunehmen alle Ursache haben; wonach hier sogar die Möglichkeit der Gedankenassociation wegfällt: oder aber sie entstehn beim Uebergang aus dem wachen Bewußtseyn in den Schlaf, also beim Einschlafen: sogar bleiben sie hiebei nie ganz aus und geben eben dadurch uns Gelegenheit, die volle Ueberzeugung zu gewinnen, daß sie durch keine Gedankenassociation mit den wachen Vorstellungen verknüpft sind, sondern den Faden dieser unberührt lassen, um ihren Stoff und Anlaß ganz wo anders, wir wissen nicht woher, zu nehmen. Diese ersten Traumbilder des Einschlafenden nämlich sind, was sich leicht beobachten läßt, stets ohne irgend einigen Zusammenhang mit den Gedanken, unter denen er eingeschlafen ist, ja, sie sind diesen so auffallend heterogen, daß es aussieht, als hätten sie absichtlich unter allen Dingen auf der Welt gerade Das ausgewählt, woran wir am wenigsten gedacht haben; daher dem darüber Nachdenkenden sich die Frage aufdrängt, wodurch wohl die Wahl und Beschaffenheit derselben bestimmt werden möge? Sie haben überdies (wie Burdach im 3. Bande seiner Physiologie fein und richtig bemerkt) das Unterscheidende, daß sie keine zusammenhängende Begebenheit darstellen und wir auch meistentheils nicht selbst als handelnd darin auftreten, wie in den andern Träumen; sondern sie sind ein rein objektives Schauspiel, bestehend aus vereinzelten Bildern, die beim Einschlafen plötzlich aufsteigen, oder auch sehr einfache Vorgänge. Da wir oft sogleich wieder darüber erwachen, können wir uns vollkommen überzeugen, daß sie mit den noch augenblicklich vorher dagewesenen Gedanken niemals die mindeste Aehnlichkeit, die entfernteste Analogie, oder sonstige Beziehung zu ihnen haben, vielmehr uns durch das ganz Unerwartete ihres Inhalts überraschen, als welcher unserm vorherigen Gedankengange eben so fremd ist, wie irgend ein Gegenstand der Wirklichkeit, der, im wachen Zustande, auf die zufälligste Weise, plötzlich in unsere Wahrnehmung tritt, ja, der oft so weit hergeholt, so wunderlich und blind ausgewählt ist, als wäre er durch Loos oder Würfel bestimmt worden. – Der Faden also, den der Satz vom Grunde uns in die Hand giebt, scheint uns hier an beiden Enden, dem innern und dem äußern abgeschnitten zu seyn. Allein das ist nicht möglich, nicht denkbar. Nothwendig muß irgend eine Ursache vorhanden seyn, welche jene Traumgestalten herbeiführt und sie durchgängig bestimmt; so daß aus ihr sich müßte genau erklären lassen, warum z. B. mir, den bis zum Augenblick des Einschlummerns ganz andere Gedanken beschäftigten, jetzt plötzlich ein blühender, vom Winde leise bewegter, Baum, und nichts Anderes sich darstellt, ein ander Mal aber eine Magd, mit einem Korbe auf dem Kopf, wieder ein ander Mal eine Reihe Soldaten, u. s. f.
Da nun also bei der Entstehung der Träume, sei es unter dem Einschlafen, oder im bereits eingetretenen Schlaf, dem Gehirne, diesem alleinigen Sitz und Organ aller Vorstellungen, sowohl die Erregung von außen, durch die Sinne, als die von innen, durch die Gedanken abgeschnitten ist; so bleibt uns keine andere Annahme übrig, als daß dasselbe irgend eine rein physiologische Erregung dazu, aus dem Innern des Organismus, erhalte.
Dem Einflusse dieses sind zum Gehirne zwei Wege offen: der der Nerven und der der Gefäße. Die Lebenskraft hat während des Schlafes, d. h. des Einstellens aller animalischen Funktionen, sich gänzlich auf das organische Leben geworfen, und ist daselbst, unter einiger Verringerung des Athmens, des Pulses, der Wärme, auch fast aller Sekretionen, hauptsächlich mit der langsamen Reproduktion, der Herstellung alles Verbrauchten, der Heilung alles Verletzten und der Beseitigung aller eingerissenen Unordnungen, beschäftigt, daher der Schlaf die Zeit ist, während welcher die vis naturae medicatrix, in allen Krankheiten, die heilsamen Krisen herbeiführt, in welchen sie alsdann den entscheidenden Sieg über das vorhandene Uebel erkämpft, und wonach daher der Kranke, mit dem sichern Gefühl der herankommenden Genesung, erleichtert und freudig erwacht. Aber auch bei dem Gesunden wirkt sie das Selbe, nur in ungleich geringerm Grade, an allen Punkten, wo es nöthig ist; daher auch er beim Erwachen das Gefühl der Herstellung und Erneuerung hat: besonders hat im Schlafe das Gehirn seine, im Wachen nicht ausführbare, Nutrition erhalten; wovon die hergestellte Klarheit des Bewußtseyns die Folge ist. Alle diese Operationen stehn unter der Leitung und Kontrole des plastischen Nervensystems, also der sämmtlichen großen Ganglien, oder Nervenknoten, welche, in der ganzen Länge des Rumpfs, durch leitende Nervenstränge mit einander verbunden, den großen sympathischen Nerven oder den innern Nervenheerd, ausmachen. Dieser ist vom äußern Nervenheerde, dem Gehirn, als welches ausschließlich der Leitung der äußern Verhältnisse obliegt und deshalb einen nach außen gerichteten Nervenapparat und durch ihn veranlaßte Vorstellungen hat, ganz gesondert und isolirt; so daß, im normalen Zustande, seine Operationen nicht ins Bewußtseyn gelangen, nicht empfunden werden. Inzwischen hat derselbe doch einen mittelbaren und schwachen Zusammenhang mit dem Cerebralsystem, durch dünne und fernher anastomosirende Nerven: auf dem Wege derselben wird, bei abnormen Zuständen, oder gar Verletzung der innern Theile, jene Isolation in gewissem Grade durchbrochen, wonach solche, dumpfer oder deutlicher, als Schmerz ins Bewußtseyn eindringen. Hingegen im normalen und gesunden Zustande gelangt, auf diesem Wege, von den Vorgängen und Bewegungen in der so komplicirten und thätigen Werkstätte des organischen Lebens, von dem leichtern, oder erschwerten Fortgange desselben, nur ein äußerst schwacher, verlorener Nachhall ins Sensorium: dieser wird im Wachen, wo das Gehirn an seinen eigenen Operationen, also am Empfangen äußerer Eindrücke, am Anschauen, auf deren Anlaß, und am Denken, volle Beschäftigung hat, gar nicht wahrgenommen; sondern hat höchstens einen geheimen und unbewußten Einfluß, aus welchem diejenigen Aenderungen der Stimmung entstehn, von denen keine Rechenschaft aus objektiven Gründen sich geben läßt. Beim Einschlafen jedoch, als wo die äußern Eindrücke zu wirken aufhören und auch die Regsamkeit der Gedanken, im Innern des Sensoriums, allmälig erstirbt, da werden jene schwachen Eindrücke, die aus dem innern Nervenheerde des organischen Lebens, auf mittelbarem Wege, heraufdringen, imgleichen jede geringe Modifikation des Blutumlaufs, da sie sich den Gefäßen des Gehirns mittheilt, fühlbar, – wie die Kerze zu scheinen anfängt, wann die Abenddämmerung eintritt; oder wie wir bei Nacht die Quelle rieseln hören, die der Lerm des Tages unvernehmbar machte. Eindrücke, die viel zu schwach sind, als daß sie auf das wache, d. h. thätige, Gehirn wirken könnten, vermögen, wann seine eigene Thätigkeit ganz eingestellt wird, eine leise Erregung seiner einzelnen Theile und ihrer vorstellenden Kräfte hervorzubringen; – wie eine Harfe von einem fremden Tone nicht widerklingt, während sie selbst gespielt wird, wohl aber, wenn sie still dahängt. Hier also muß die Ursache der Entstehung und, mittelst ihrer, auch die durchgängige nähere Bestimmung jener beim Einschlafen aufsteigenden Traumgestalten liegen, und nicht weniger die der, aus der absoluten mentalen Ruhe des tiefen Schlafes sich erhebenden,