Dr. Norden Staffel 8 – Arztroman. Patricia Vandenberg

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Dr. Norden Staffel 8 – Arztroman - Patricia Vandenberg Dr. Norden

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keinen Aufschub duldete.

      »Warum gehst du nicht mehr zur Schule, wenn du gern lernst?«

      »Meine Mutter wollte nicht, dass ich ihr noch länger auf der Tasche lieg. Deshalb musste ich mit fünfzehn runter von der Schule und eine Lehre machen.«

      »Was hast du gelernt?«

      »Ich hab als Verkäuferin angefangen. Aber meine Sprache war nicht fein genug.« April schnitt eine Grimasse und lachte. »Deshalb bin ich dann als Zimmermädchen in einem Hotel gelandet. Da war ich bis vor ein paar Wochen. Seitdem bin ich unterwegs.«

      »Und wo willst du hin?«

      Aprils Schicksal machte Dési betroffen.

      »Zu meiner Cousine nach Österreich. Die hat da ein Hotel. Da kann ich arbeiten und wohnen. Und irgendwann vielleicht wieder zur Schule gehen, Abitur machen und studieren. Und wenn ich dann mal richtig viel Schotter hab, ruf ich bei meiner Mutter an.« April gähnte, ohne die Hand vor den Mund zu halten. »Aber jetzt muss ich dringend schlafen. Sonst komm ich morgen nicht aus den Federn und geh euch noch länger auf den Wecker.« Sie stand auf und streckte die langen, dünnen Glieder.

      Auch Dési stand auf.

      »Du willst morgen schon weg?«, fragte sie bedauernd. Damit hatte sie nicht gerechnet.

      »Tu nicht so!« Gutmütig zwinkerte April ihr zu. »Mich hält keiner lange aus. Deshalb ist es besser, wenn ich schnell wieder verschwinde. Sag Felix schöne Grüße!« Sie umarmte Dési linkisch und floh in das Reich, das Fee Norden ihr zur Verfügung gestellt hatte, bevor die Arzttochter noch etwas sagen konnte.

      Es dauerte lange, bis Dési an diesem Abend einschlafen konnte. Und als es ihr endlich gelungen war, träumte sie von einem Mädchen in wundersamen Kleidern, das allein im Regen tanzte.

      *

      Als Dr. Daniel Norden in dieser Nacht erwachte, wusste er sofort, dass er nicht mehr einschlafen konnte. Draußen war es stockfinster. Kein Lichtschein fiel durch den Spalt der Vorhänge ins Zimmer. Eine Weile lag er still und lauschte auf den regelmäßigen Atem seiner Frau. Aus Erfahrung wusste er, dass es keinen Sinn hatte, in der Stille der Nacht nachzudenken. Trotzdem tat er es und verlor sich in Überlegungen über den Fall Lohmeier. War es richtig gewesen, sich Jennys Anweisung zu widersetzen? Was, wenn Ricarda auf dem Tisch geblieben wäre? War er überheblich gewesen? Erst im Nachhinein war ihm entsetzlich klar geworden, wie knapp sie dem Tod entronnen war. Und noch lag ihr Schicksal im Dunkeln.

      Das Gedankenkarussell drehte sich immer schneller, und bevor ihm davon schwindlig wurde, beschloss Daniel schließlich aufzustehen. Bedacht darauf, Fee nicht zu wecken, schlüpfte er in eine Fleecejacke und schlich aus dem Zimmer. In der Küche holte er sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Als er sich umdrehte, um sich an die Theke zu setzen, erschrak er zu Tode. Vor ihm stand sein Sohn Felix und grinste ihn an.

      »Zwei Dumme, ein Gedanke!« Er deutete auf das Bier in Daniels Hand.

      »Bist du verrückt geworden? Mich so zu erschrecken. Gerade in meinem Alter kann das fatale Folgen haben.«

      »Keine Sorge, ich hab einen nagelneuen Erste-Hilfe-Kurs in der Tasche. In Wiederbelebung bin ich jetzt fit«, scherzte Felix und ging an seinem Vater vorbei zum Kühlschrank. Daniel wartete auf ihn.

      »Kannst du auch nicht schlafen?«, fragte er, als sie sich zusammen an die Theke setzten.

      Felix nickte und trank einen Schluck Bier. Einen Moment lang starrte er vor sich hin, als suchte er nach einer Antwort.

      »Tut mir leid, dass ich mich heute so blöd benommen hab«, konnte er sich endlich zu einer Entschuldigung durchringen. »Das war albern und kindisch und nicht sehr erwachsen.«

      Daniel lächelte.

      »Ehrlich gesagt hab ich davon nicht viel mitbekommen. Ganz im Gegenteil. Es war großartig, dass du Fee und Danny heute in die Klinik gebracht hast. Ohne euch wäre Ricarda jetzt tot.«

      Felix musterte das Profil seines Vaters. Der Tonfall irritierte ihn.

      »Trotzdem wirkst du nicht gerade glücklich.«

      »Ich weiß auch nicht …« Daniel zögerte. »Ich muss die ganze Zeit dran denken, was geschehen wäre, wenn sie mir auf dem Tisch geblieben wäre.« Selbst im heimeligen Licht der Kerze, die Felix angezündet hatte, verlor dieser Gedanke nichts von seinem Schrecken.

      »Hey, Dad, alles gut. Du hast Angst vor der eigenen Courage bekommen. Wie ich.« Felix verstand seinen Vater nur zu gut. »Das scheint ganz normal zu sein. Kein Grund zur Aufregung.« Er klopfte ihm auf die Schulter und stieß mit ihm an. Dumpf klangen die Flaschen aneinander.

      Nachdem er einen Schluck genommen hatte, rang sich Daniel ein Lächeln ab.

      »Nein, natürlich nicht. Du hast schon recht. Trotzdem habe ich mir vorher nicht klar gemacht, wie knapp es werden könnte. Um ein Haar wäre es schief gegangen.« Nachdenklich betrachtete er die Flasche in seiner Hand. »Dann hätte ich eine falsche Entscheidung getroffen.«

      Seine gequälte Miene berührte Felix zutiefst.

      »Die meisten Menschen kommen doch gar nicht in so eine Situation. Die müssen niemals zwischen Leben und Tod entscheiden. Und müssen sich hinterher schon gar nicht fragen lassen, was passiert wäre, wenn sie eine andere Entscheidung getroffen hätten«, redete er leidenschaftlich auf Daniel ein. »Du bist eben kein Mensch wie jeder andere. Du und Mum, ihr habt es mir heute selbst gesagt: Du bist Arzt. Und ein ganz besonderer obendrein. Darauf kannst du dir echt was einbilden.« Felix‘ Stimme bebte vor Ergriffenheit und Stolz.

      Und doch erreichten seine Worte ihr Ziel nicht. Daniel lächelte zwar, aber das Lächeln spiegelte sich nicht in seinen Augen wider. Das, was er Felix gestehen wollte, war nicht leicht.

      »Weißt du, das Problem ist, dass mir bisher nie etwas wirklich daneben gegangen ist«, begann er zögernd. »Manchmal war ich fast so weit, mich für unfehlbar zu halten. Der großartige Dr. Norden …«, er machte eine ausladende Geste, »… legt hier die Hand ein bisschen auf, schneidet dort was weg, näht anderswo was an, und alles ist wunderbar.« Daniel schnitt eine Grimasse. »Schon können die Lahmen wieder gehen und die Blinden wieder sehen.« Daniel Norden ging hart mit sich ins Gericht.

      Felix lächelte trotzdem. Er kannte diese Stimmung nur zu gut. Er legte die Hand auf den Rücken seines Vaters und lehnte sich an ihn.

      »Für all das hast du heute ein wunderbares Geschenk bekommen«, erinnerte er ihn.

      Wieder stießen die Flaschen aneinander. Während sie tranken, ruhte Daniels Blick auf seinem Sohn.

      »Und welches?«

      »Du hast mal wieder gemerkt, dass du nicht nur Arzt, sondern auch Mensch bist«, erklärte Felix innig. »Und es musste noch nicht mal jemand dafür sterben.«

      Zufrieden bemerkte er, dass das Lächeln diesmal die Augen seines Vaters erreichten. Nur die heimliche Träne der Rührung, die Daniel verstohlen mit dem Ärmel von der Wange wischte, die bemerkte er nicht.

      *

      Als Manfred Lohmeier am nächsten Tag voller Vorfreude ins Krankenzimmer seiner Frau stürzte, traute er seinen Augen kaum: Ihr Bett war leer! Der wunderschöne Blumenstrauß vom Vortag stand einsam

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