Menschen, die Geschichte schrieben. Christine Strobl
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Die katholische Antilegende Luthers existierte völlig parallel zur protestantischen Luther-Legende ebenfalls in der graphischen Form des Flugblatt-Comics (s. f. S.). Sie schildert die einzelnen Stationen des Reformators als Teufelsknecht und zwar aus der Überzeugung heraus, wer Falsches lehrt, kann auch persönlich nicht integer sein. Luther sei also ein Lotterbube zweifelhafter Herkunft gewesen, sein verballhornbarer Name stehe für ein Programm, vorgegeben durch die teuflische Verbindung einer liederlichen Mutter mit einem Totschläger. Historischer Aufhänger für letzteres dürfte der Bruder von Luthers Vater gewesen sein, der als händelsüchtiger Messerheld aktenkundig geworden ist. Vorverweis auf ein unheiliges Leben bot das Wandermotiv der Taufverweigerung durch angebliches „Scheißen“ des Kindes ins Taufbecken bei der Sakramentenspendung. Luther, der Fresser und Säufer, in der Flugblatt-Gegenpropaganda abgebildet mit Bauch oder riesigen Trinkgläsern, diente der Karikatur eines sogenannten epikureischen, das heißt genusssüchtigen Lebenswandels.
Derartige Details schließen die Vorstellung eines reformatorischen Hurenbocks und geilen Mönchs ein. Sie leiten sich deutlich vom angeblichen Huren- und Teufelssohn Luther ab. Die bis heute geläufigen Sexualverslein zu für wahr gehaltenen Aussagen und Praktiken des Dr. Martin Luther bilden einen späten Widerschein dieser einstigen Imaginationen auf katholischer Seite. Und wiederum haben sich den Gegnern Luthers in der tatsächlichen Vita Ansatzpunkte für Einzelheiten zum Bilde der Antilegende geboten. Selbst ein Mann wie Erasmus war nicht wenig entsetzt, als Luther im Jahre 1525 die ehemalige Zisterziensernonne Katharina von Bora ehelichte. Ein Brief aus seiner Feder machte dazu die Runde, wenngleich Erasmus an anderem Ort über die alte Fabel spottete, dass der Antichrist aus der Verbindung von Mönch und Nonne geboren würde. Weiteren Anstoß bot Luthers Schrift vom Ehestand und die von ihm gebilligte Entführung mehrerer Nonnen aus sächsischen Klöstern. War doch zu jener Zeit die Todesstrafe dafür nicht nur angedroht, sondern zum Exempel auch in jenen Jahren zu Dresden an einem Bürger mit dem Schwerte vollzogen und durch schimpfliche Leichenschändung verschärft worden.
Anders als Simon Magus vermochte Luther nicht einmal falsche Wunder zu wirken. Auch dies gehörte zur Beweisführung katholischer Kontroversisten, dass eben der Reformator keineswegs Gottes Prophet sein könne, wie seine Anhänger glaubten. Solche Argumentation ist auf lutherischer Seite sehr ernst genommen worden, was wir schon bei Mathesius bemerkt haben. Besonderes Aufsehen machte der angebliche Fall eines misslungenen Exorzismus. (Hierbei handelte es sich nicht um die protestantischerseits erzählten Geschichten von Wittenberger Studenten, die besessen oder dem Teufel ergeben waren und auf den Zuspruch Luthers wieder gesund wurden.) Luther hatte den altkirchlichen Ritus des Exorzierens für Teufelswerk erklärt. Der Konvertit Staphylus wollte jedoch Luther zu Wittenberg 1545 in Bedrängnis durch den Teufel gesehen haben, als er in der Sakristei versucht habe, mit Gebet ein besessenes Mädchen aus dem „Meißnischen“ von bösen Geistern zu befreien. Das sei ihm nicht gelungen, sondern er habe vielmehr vor dem Satan durchs Fenster fliehen müssen.
„Martinus Lutherus, ein Doctor der Gottlosigkeit“; Radierung um 1730
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