Menschen, die Geschichte schrieben. Christine Strobl
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thrusts his head out at window?
EMPEROR:
Oh, wondrous sight! See, Duke of Saxony,
Two spreading horns most strangely fastened
Upon the head of young Benvolio! […]
BENVOLIO:
Zounds, Doctor, is this your villainy?
FAUSTUS:
Oh, say not so, sir. The Doctor has no skill,
No art, no cunning, to present these lords
Or bring before his royal Emperor
The mighty monarch, warlike Alexander.
If Faustus do it, you are straight resolved
In bold Acteon’s shape to turn a stag.
And therefore, my lord, so please your majesty,
I’ll raise a kennel of hounds shall hunt him so
As all his footmanship shall scarce prevail
To keep his carcass from their bloody fangs.14
Auch ohne den Bühnendialog in allen Einzelheiten nachzuzeichnen, lässt sich sagen, dass die Handlung dieser Szene recht genau der schon bekannten Version der Historia folgt, die dem Dramenautor offensichtlich in englischer Übersetzung vorgelegen hat. Daher soll hier nur auf zwei entscheidende Punkte hingewiesen werden, die von der Vorlage signifikant abweichen (und in der zitierten Passage fett markiert sind). Das betrifft zunächst die Reaktion des Kaisers. Ganz wie in der Historia will er die Erscheinung umarmen und wird von Faustus zurückgewiesen, gibt dann jedoch eine interessante Begründung seines Verhaltens: „my thoughts are so ravished / With sight“. Der Anblick habe ihn überwältigt, ja vergewaltigt. Was damit angesprochen wird, ist die Macht des Blicks und die Verführbarkeit durchs Zuschauen. Diese Macht aber wird nicht nur angesprochen, sondern vollzieht sich auch zugleich, und zwar vor und mit unseren eigenen Augen. Anders als bei der Historia nämlich handelt es sich hier ja um ein Bühnendrama. Die Erscheinung Alexanders wird nicht erzählt, sondern vollzogen oder vorgeführt, jedenfalls ereignet sie sich hier und jetzt auf dem Theater. Wir können unsererseits dem Kaiser zusehen, wie er Alexander ansieht, so dass die Äußerung des Kaisers über die Verführungskraft des wunderbaren Anblicks gleichermaßen auf uns selbst zutrifft. Das Theater verdoppelt sich gewissermaßen, denn Faustens magischer Vermittlungsakt erscheint hier als ein Spiel im Spiel und führt uns körperlich vor Augen, wie eine Theatervorstellung vor sich geht.
Die lange Regieanweisung in der Mitte (im Zitat kursiv gesetzt) gibt das Bühnengeschehen genau wieder. Es beginnt mit einem Trompetensignal, bevor die Figuren auftreten, kulminiert in der Verbeugung der Darsteller vor dem Monarchen und zeigt die Beschwörungsszene damit auf genau dieselbe Art wie eine zeitgenössische elisabethanische Dumb SHOW vor sich geht (am Schluss heißt es ja auch wörtlich „Exit SHOW“). Das Rollenspiel des Theaters wird damit zum Rollenspiel auf dem Theater und zieht auf diese Weise das gesamte Publikum in den Bannkreis einer theatralen Selbsterkundung und kulturellen Reflexion.
Aus diesem Grund, so meine ich, lässt sich der Faustus-Mythos zutreffend als ein Theater-Mythos auffassen, denn solche Selbstreflexion – was ja nichts anderes als Selbstbeobachtung eines Beobachters bedeutet – ist es eben, was das frühneuzeitliche Theater beabsichtigt und für die Kultur der Renaissance leistet. Was der Faustus-Figur an magischer Macht und Praxis zugeschrieben wird, entspricht exakt der Macht und Praxis des Theaters: Verstorbene zu neuem Leben zu erwecken. Im Rahmen der mantischen Künste nennt man diese Kunst „Nekromantie“, was ja, wie wir an der Visitenkarte sehen konnten, zu Faustens Berufsbezeichnungen gehört. Im Rahmen des Theaters aber nennt man diese Kunst schlicht „Schauspielkunst“, denn das genau unternimmt ja jeder Schauspieler, wenn er vor unseren Augen einer historischen Figur, die längst verstorben ist, für die Dauer einer Aufführung neues Leben gibt. Heutzutage scheint uns dieser magische Theater-Akt vielleicht nicht mehr bemerkenswert, für die Renaissance jedoch lag darin etwas ebenso Faszinierendes wie Beunruhigendes – wie ist es möglich, dass wir als Zuschauer mit einem Mal die alten Helden leibhaftig vor Augen haben? –, weshalb die Schauspielkunst in England in der Tat lange heftig umkämpft war und gerade von den glaubensfesten Protestanten kategorisch abgelehnt wurde.
Die besondere Pointe der Kaiser-Szene in Marlowes Stück ist allerdings, dass ihr diese ablehnende, theaterfeindliche Position bereits eingeschrieben ist. Das ist der zweite Punkt, der daran kurz betrachtet werden soll. Der Kaiser ist keineswegs der einzige Zuschauer der Alexander-Erscheinung auf der Bühne. In seinem Gefolge gibt es eine weitere Figur, einen Höfling namens Benvolio, der ebenfalls dem Spiel im Spiel zusieht, sich allerdings ganz unbeeindruckt davon gibt. Für ihn ist Faustus schlicht ein Schwindler oder Aufschneider, dessen Kunststücken man besser keinen Glauben schenken sollte. Damit entspricht die Position dieses Höflings recht genau jenen gelehrten Autoritäten des 16. Jahrhunderts, die, wie wir gesehen haben, Doktor Faustus grundsätzlich als Negativbeispiel darstellen, ihn als Scharlatan verurteilen, ausweisen und sich mit seiner Magie nicht weiter einlassen wollen. Interessant ist allerdings, was bei Marlowe mit dieser Figur passiert. Faustus reagiert auf die Kritik und kündigt an, er werde sich an Benvolio rächen, indem er ihm ein Geweih aufsetzt. Und eben dies geschieht: „In bold Acteon’s shape to turn a stag“, wie es gegen Ende der Passage im Text heißt. Diese Formulierung gibt einen präzisen Hinweis auf einen weiteren Mythos, den die Renaissance aus der Antike übernommen hatte, den Aktaion-Mythos. Dieser erzählt von einem Jäger, der einst Diana heimlich beim Baden zusah, zur Strafe von ihr in einen Hirsch verwandelt und anschließend von seinen eigenen Jagdhunden in Stücke gerissen wurde.
Für Marlowes Publikum war dies zweifellos eine bekannte Geschichte. Mit der Figur des lüsternen und gestraften Jägers erzählt sie von der Lust am Schauen und von der machtvollen Gefahr, in die man sich durchs Zuschauen begibt. Damit aber erzählt sie wiederum von der Macht und Gefahr des Theaters, wo wir ja gleichfalls zuschauen und alle Lust daraus gewinnen. Wieder also geht es um die Verführbarkeit durchs Auge – und darum ist es, wie erwähnt, so vielsagend wie stimmig, dass bei Faustens schauerlichem Ende ausgerechnet die Augen übrigbleiben und auf dem Boden herumkullern. Ganz offensichtlich bilden sie das entscheidende Organ, um das es geht. Auf diese Weise dienen in Marlowes Bühnenversion der Geschichte der gebannte Kaiser wie sein gestrafter Höfling zur Reflexion auf das performative Medium des Theaters, das hier zum Einsatz wie auch zur Betrachtung kommt. Solche Reflexion und Selbstreflexion aber, in der sich das Bewusstsein für die eigene Kontingenz ausdrückt, lässt sich im Übrigen als Kennzeichen eines spezifisch modernen Bewusstseins sehen. Mit der Arbeit am Mythos der europäischen Theaterfigur Doktor Faustus arbeiten wir also an einer Geschichte der europäischen Modernisierung.
ZUSAMMENFASSUNG
Faustus ist ein Wiedergänger und ein Zwischengänger der Epoche einer Umbruchszeit. In seinem Wirken fasst die Renaissance zusammen, was sie selbst umtreibt. Das geschieht zumeist in kritischer und polemischer Absicht, so dass Faustus – wie bei Trithemius oder Luther – als Negativbeispiel dient. Manchmal aber geschieht es auch in emphatischer Absicht, so dass Faustus als Modellfigur zum Einsatz gebracht wird, wie es besonders Marlowe zeigt, wenn er mit ihr die magische Wirksamkeit des Bühnenmediums erkundet. Genauso selbstbewusst wie Faustus vor dem Kaiser historische Figuren zur Erscheinung bringt, so bietet der Dramatiker uns den Auftritt längst verstorbener Figuren. Solches Selbstbewusstsein und zugleich das kulturelle Unbehagen daran, manifestieren sich im Faust-Mythos. Wenn wir das Zeitalter der Renaissance als die Zeit eines neuen Individualisierungsschubes