Menschen, die Geschichte schrieben. Christine Strobl

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Menschen, die Geschichte schrieben - Christine  Strobl marixwissen

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und Aufzeichnungen der wichtigste Quellenbestand für die spätere Historia bilden, die sich im Grunde durchweg als ein lutheranisches Propaganda-Buch verstehen lässt. Auch früher schon ist im Hause Luther nämlich von Faustus viel die Rede, wie folgender Ausschnitt aus den Tischgesprächen zeigt:

      Das ist eine interessante Passage. Beiläufig fällt bei Tisch der Name Faustus, was offenbar den Reformator motiviert, sogleich von seinen eigenen Auseinandersetzungen mit dem Leibhaftigen zu erzählen. Magister Faustus bietet Doktor Luther anscheinend willkommenen Anlass, seinen Tischgenossen zu erklären, wie er selbst mit dem Teufel fertig geworden ist: Gerungen und gekämpft habe er mit ihm, auf Leben und Tod, „[a]ber mit Gottes Wort“ sich letztlich seiner erwehret – gerade anders als Faustus, der sich von Gottes Wort abgewandt und dem Teufel ganz verschrieben habe. Luther siegt, wo Faustus versagt: So wird mit der Erzählung eine klare Grenze gezogen. Gleichzeitig allerdings wird durch derartige Geschichten die Faustus-Figur in den frühen, umkämpften Jahrzehnten der Reformation zunehmend enger mit dem Wirken der Reformatoren assoziiert, als Gegenfigur und erklärtes Gegenbeispiel zwar, aber dadurch zugleich als Referenzfigur, deren heilloses Leben eine dunkle und dämonische Parallele zum heilsgewissen Leben eines Doktor Luther darstellt.

      Diese Assoziierung geht so weit, dass im weiteren Verlauf der Überlieferung, wie die Historia dann deutlich zeigt, sogar der Studien- und Wirkungsort von Faustus selbst in Wittenberg gesehen wird und nicht mehr, wie zuvor meist, in Württemberg. Die geographische Verschiebung aus dem süddeutschen in den mitteldeutschen Raum und damit in das Kernland des deutschen Protestantismus ist hoch bedeutsam, weil sie die kulturelle Verbindung zwischen dem Reformator und Faustus enger zieht. Auf ganz eigentümliche und signifikante Weise werden der Teufelsbekämpfer und der Teufelsbündler damit aneinander, wenn nicht gar ineinander gerückt. Das ist nicht nur deshalb eine folgenreiche Entwicklung, weil sie bis zur wichtigsten Faustus-Version des 20. Jahrhunderts reicht, dem großen Roman Thomas Manns, in dem die titelgebende Faust-Figur in Sprache, Habitus und Herkunft als eine Lutherfigur gezeichnet wird.

      Grundsätzlich macht eine solche Assoziierung evident, worin die mythenbildende Funktion von Faustus liegt: in seiner Rolle als kultureller Wiedergänger. Mir scheint, dass die Figur deshalb zu einem Mythos der Renaissance geworden ist, weil in ihr, wie in einem Sammelbecken, die dunklen und dämonisierten Aspekte der Renaissance-Kultur zusammenfließen. Faustus ist ein „magus secundus“, wie wir gesehen haben, d. h. ein Nachkömmling, ein Abkömmling. Meine Vermutung wäre, dass diese Figur in der kulturellen Gestalt, in der wir sie durch die diversen Texte kennenlernen, von genau den Autoritäten herkommt oder sogar abstammt, die sich von ihr abzugrenzen suchen: von Luther, von Melanchthon, von Trithemius und den vielen anderen Geistesgrößen dieser großen Aufbruchszeit.

      Doktor Martinus erklärt, er habe lange und erbittert mit dem Teufel gekämpft und allein durch Gottesglauben seinen Sieg davongetragen. Johannes Trithemius erklärt, die mantischen Künste seien zutiefst verdammungswürdig, und doch muss er sich seinerseits mit Vorwürfen auseinandersetzen, er selbst, der Abt von Sponheim, habe sich diesen Künsten hingegeben und damit versündigt. Deshalb nämlich zitiert er die Visitenkarte Faustens, um daran aufzuzeigen, was man tunlichst lassen soll und was er selbst nie unternehmen würde. Die Grenzen zwischen Weißer und Schwarzer Magie, zwischen religiös fundierter und dämonisch instrumentalisierter Beschwörungskunst sind prinzipiell sehr schwer, wenn überhaupt, zu ziehen – genauso schwer, wie man vielleicht den dauernden Kampf mit dem Leibhaftigen von einem Pakt mit dem Leibhaftigen unterscheiden kann. In beiden Fällen liegt offenbar eine sehr intensive wechselseitige Beziehung vor, und wie sie jeweils endet, bleibt wohl länger ungewiss. Um solche Grenzziehungen aber immer wieder neu zu unternehmen, um Kampf von Pakt und Weiße von Schwarzer Magie zu unterscheiden, dazu wird, so meine ich, der Faustus-Mythos aufgeboten.

      Von jenem Wanderwahrsager selbst ist uns kein einziges Wort überliefert. Er ist ein Mythos in genau dem Sinn meiner eingangs skizzierten Definition: Er dient stets anderen zur Selbstbestätigung und Selbstbeschreibung, und zwar dadurch, dass sie sich kategorisch von seinem Tun und Treiben abgrenzen. Gerade aber weil von Faustus selbst kein Wort überliefert ist, sehen wir ihn gewissermaßen nur als Hohlform, im Zeugnis oder Urteil anderer und zwar zumeist solcher, die ihn kritisieren, verurteilen, verfemen und vertreiben wollen. Faustus ist eine Projektionsfigur, die uns gewiss größeren Aufschluss über die jeweiligen Erzählautoritäten, die von ihm berichten, gibt als über das, was sie von ihm erzählen. Wenn nämlich viele frühe Quellen, wie erwähnt, von der Ausweisung Faustens aus der Stadt berichten, d. h. von dem Versuch, seine Wirkungsmacht aus der christlichen Gemeinschaft auszuschließen, erzählen sie uns doch in erster Linie davon, was diese Gemeinschaft kulturell beunruhigt und umtreibt und was daher unterbunden werden soll. Somit aber erscheint Faustus meist als ein dämonisierter Wiedergänger, ja als Doppelgänger genau jener weltlichen wie religiösen Autoritäten, die gegen ihn zu Felde ziehen. Das zeigt sich nicht nur daran, dass die Figur zunehmend mit Wittenberg assoziiert wird und damit in die Nähe dessen rückt, der sich von ihr unterscheiden will. Das zeigt sich vielleicht auch an den eigentümlichen Namenswechseln, die bei der Überlieferung ins Auge fallen. Auf der Visitenkarte, die Johannes Trithemius zitiert, nennt er sich „Georgius“, in der Historia heißt er „Johannes“ und trägt mithin denselben Vornamen wie Trithemius selbst; bei Goethe später heißt er „Heinrich“, was sicher als Anspielung auf Heinrich Cornelius Agrippa zu verstehen ist, den großen Okkultisten, der ebenfalls als Gegen- wie Modellfigur zu Faustus gelten kann. Auf diese Weise mag der Namenswechsel ein weiteres Indiz für die Funktion des Faustus-Mythos sein, als Feind-wie zugleich Abbild strittiger Denker zu fungieren und daher denen, die sich von ihm abgrenzen, namentlich verbunden zu bleiben. Eins jedenfalls ist unbestreitbar: Dass Faustus über so lange Zeit so viele große Geister der Renaissance umtreibt und so regelmäßig als Negativexempel dienen muss, ist nur verständlich, weil in der Figur fundamentale Unsicherheiten dingfest gemacht werden sollen. Sie dient zur Feststellung, wenn nicht zur Austreibung, kultureller Ungewissheiten ihrer Epoche.

      GRÖSSE UND GRENZEN

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