Menschen, die Geschichte schrieben. Christine Strobl

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Menschen, die Geschichte schrieben - Christine  Strobl marixwissen

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länger allein an überkommenen Autoritäten orientieren, sondern selbst die Welt erkunden will, dann verstehen wir, warum Faustus in genau dieser Zeit seinen großen Auftritt hat. Er verkörpert die Verlockung wie die Gefahr, die sich daraus ergeben und die mit ihm als „Fürwitz“ bekämpft werden. Dass dieser kulturelle Kampf aber zugleich eine kulturelle Faszination darstellt und die Gefahr auch eine Chance, das zeigt nicht nur der Kaiser, wenn er in Marlowes Stück bekennt, seine Gedanken seien davon überwältigt. Auch wir sind als Leser oder Zuschauer noch im 21. Jahrhundert davon fasziniert, wenn wir über die Mythen der Renaissance nachdenken.

      ANMERKUNGEN

      1 Historia, S. 79 (wie auch die vorigen Zitate).

      2 Die Angaben dazu folgen Riggs 2004, S. 233.

      3 Historia, S. 77.

      4 Historia, S. 79.

      5 Historia, S. 122 f.

      6 Vgl. Müller 1986, S. 572.

      7 Zur hermetischen Tradition und ihrer Wirkung in der europäischen Renaissance, vgl. Ebeling 2005 und Yates 1991.

      8 Die folgenden Angaben folgen Baron 1982, S. 16, 34 f., 156.

      9 So jedenfalls die Ansicht von Frank Baron, dem ich hier (und im Weiteren) folge, Baron 1982, S. 24 f.

      10 Baron 1982, S. 78 f.

      11 Luthers Tischreden (Nr. 1059, in der Edition von Aurifaber, Weimar 1912–21), hier zitiert nach Baron 1982, S. 49.

      12 Baron 1982, S. 27.

      13 Vgl. Riggs 2004, S. 235.

      14 Doctor Faustus, 4.2.1–100, Marlowe 1986, S. 308–12.

      LITERATURHINWEISE

      Baron, Frank 1982: Faustus: Geschichte, Sage, Deutung, München.

      Ebeling, Florian 2005: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos: Geschichte des Hermetismus, München.

      Historia von D. Johann Fausten. Kritische Ausgabe, hg. v. Stephan Füssel und Hans Joachim Kreutzer, Stuttgart: 1988.

      Marlowe, Christopher 1986: The Complete Plays. Ed. J. B. Steane, Harmondsworth.

      Müller, Maria E. 1986: „Der andere Faust: Melancholie und Individualität in der Historia von D. Johann Fausten“, Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 60, 572–608.

      Riggs, David 2004: The World of Christopher Marlowe, London.

      Yates, Frances 1991 [1979]: Die okkulte Philosophie im Elisabethanischen Zeitalter, übers. v. Adelheid Falbe, Amsterdam.

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      „Hier schau Lutherum an, den großen Wunderhelden“, dargestellt mit Schwan; Augsburger Kupferstich von 1730

      LUTHER – HEILIGER MANN ODER FALSCHER PROPHET?

      Legende und Antilegende zwischen 1517 und 1630

      von Wolfgang Brückner

      VORÜBERLEGUNGEN

      Über Luther-Imaginationen in der Geschichte zu sprechen, scheint einfach und ist doch schwer, weil unsere heutigen, erst zweihundert Jahre alten Bilder des deutschen Reformators zunächst einmal alles zudecken, was dreihundert Jahre zuvor von ihm und über ihn tradiert wurde, was die Menschen von ihm dachten und wie sie sich sein Wesen und seine Erscheinung vorstellten. Die Erwartungshaltung eines heutigen breiten Publikums, das die Gestalt Luthers als Thema in den Bann zieht, lässt sich nicht ohne weiteres einschränken auf eine Beurteilung aus dem Blickwinkel der hier zur Debatte stehenden Epoche zwischen 1450 und 1620, die geistesgeschichtlich ganz allgemein als Zeitalter der Renaissance benannt zu werden pflegt. Danach müsste jetzt gemäß landläufiger Bildungsmeinung zuvorderst von der sogenannten Erfindung des Individuums, das heißt einer Idee davon, die Rede sein und dem Anteil Luthers und seiner Theologie daran; und mancher wird erwarten, seine Meinung vom vermeintlichen Schöpfer der deutschen Hochsprache bestätigt zu finden oder die eines „Musikus der deutschen Nation“. Doch das wäre genau jene Rückschau aus dem 19. Jahrhundert und seinen Präferenzen für sogenannte Genies in Kunst, Politik und Religion. Max Webers weiterführende Unterscheidung von populärer Massenreligiosität und elitären Frömmigkeits-Virtuosen, z. B. mystischen Theologen, verweist uns über Friedrich Schleiermachers entsprechende Begrifflichkeit auf den ästhetischen Anspruch hochkultureller Standards in akademischen Diskursen, die sich dann in anspruchsvollen Feuilletons spiegeln. Es gilt mithin, viel Ballast an allgemeinem Meinungsvorwissen abzuwerfen.

      Die Fachhistoriker sprechen nicht ohne regionale Einschränkungen und damit zeitliche Differenzierungen von Renaissance als einer bestimmten Epoche, noch lieber – völlig abstrakt – vom ersten Teil der Frühen Neuzeit, in der sich in Mitteleuropa die modernen Territorialstaaten innerhalb des Reichsverbandes rechtspolitisch konsolidierten. Die akademische Disziplin der Deutschen Philologie teilt diesen Zeitraum bisweilen einer Mittleren Literaturgeschichte zu, deren Bearbeitung zwischen Alt- und Neugermanistik lange Zeit wie ein Niemandsland behandelt worden ist, das man eher der Theologiegeschichte oder den seltenen Volkskundlern und in Teilen den wenigen Neulateinern an den Universitäten überließ. Das traditionelle Bildungswissen aus den humanistischen Gymnasien des 19. Jahrhunderts besaß feste Überzeugungen, so dass in Deutschland jedermann Bescheid wusste, was im frühen 16. Jahrhundert offenbar ‚wirklich‘ geschehen war. Danach ging 1517, wie beim Kreuzestod Jesu in den biblischen Berichten, ein großer Riss durch den Vorhang des Tempels der Weltgeschichte und teilte für uns Deutsche Mittelalter und Gegenwart auf einen Schlag. Und dies passierte an der Schlosskirchentür zu Wittenberg durch einen Nagel hämmernden jugendlichen Augustinermönch, so noch in dem jüngsten, hochgelobten Film von Eric Till zu bewundern. Doch weder hat es diese Szene in der realgeschichtlichen Vergangenheit gegeben, noch ist das Mittelalter damals zu Ende gegangen.

      Die tatsächliche geschichtliche Zäsur dafür liegt bei uns zwischen 1790 und 1820. Zu jener Spätzeit aber war Luther selbst als Theologe eine rein historische Gestalt geworden, und seine Schriften bildeten keine die zeitgenössische Theologie mehr stimulierend beherrschende Lektüre. Seine Wiederentdeckung als religiöser Denker geschah erst im Gefolge der theologischen

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