Menschen, die Geschichte schrieben. Christine Strobl

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Menschen, die Geschichte schrieben - Christine  Strobl marixwissen

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Musicus Luther genauer in den Blick zu nehmen und vermerkt dort bezeichnenderweise: „Noch mehr Verdienst als praktischer Tonkünstler käme ihm nach Mattheson zu, welcher uns in seinem Plus ultra verspricht, in einem seiner künftigen Werke darzuthun, dass Luther auch die Laute gespielt habe“4. Diese Aussage spricht entgegen heutiger Meinung gerade nicht dafür, dass Luther tatsächlich als Lautenspieler dem 16. Jahrhundert bewusst gewesen ist. In der modernen Musikwissenschaft steht zwar die Bedeutung Luthers und des Luthertums für die Kirchenmusik und die Musikpflege nicht in Frage, aber es hat Diskussionen über den Realitätsgehalt der Luther zugeschriebenen Anlage und Fähigkeit zum Komponisten, sprich Melodisten gegeben. Brockhaus/Riemann fasst das 1995 wie folgt zusammen: „Erst die jüngere Forschung hat aus der Erkenntnis der spätmittelalterlichen Musikanschauung Luthers Musikertum in seine Rechte gesetzt“5, nämlich die eines Liedkomponisten in herkömmlichen Gewohnheiten. Das heißt, auch hier mussten erst die Imaginationen des 19. Jahrhunderts hinterfragt werden, um schließlich eine mehr mittelalterliche Traditionslinie des Kirchengesangs erkennen zu können.

      Was also bedeutet die Laute auf unserem Gemälde um 1600? Die Darstellung beruht auf einem Kupferstich aus der Zeit vor oder um 1590, von dem es auch eine seitenverkehrte Fassung mit deutscher Übersetzung der niederländischen Texte gibt. Das Geschehen spielt in der „Küche von Frau Ratio“. Sie wirbt für eine Religion des Herzens gegen die in den einst spanischen Niederlanden kriegerischen Machtansprüche der Katholiken, die hier nicht durch den Papst, sondern einen Papisten vertreten sind. Luther mit der Laute steht sozusagen als Mittelfigur zwischen den beiden besonders verfeindeten Lagern. Die Texte des Flugblatts lösen die dargestellten Details in emblematische Zeichen als etymologisches Spiel mit der niederländischen Sprache auf.

      Sie stammen aus einem satirischen Theaterstück mit damals üblichem Dialogaufbau in der Art und aus dem Umkreis des holländischen Dichters Dirck Volckertsen Coornhert (1522–1590). Sein gelehrter Freundeskreis „Haus der Liebe“ formulierte seit 1579 Toleranz und Frieden gleichermaßen gegen die fremdländischen Päpstlichen wie gegen den heimatlichen Kirchenvater Calvin. Hier sitzt Luther auf dem Mittelplatz und macht die Musik, während Calvin mit Kalbsbraten und Orange sowie ein zipfelmütziger Katholik mit Rosenkranz am Riemen und dem Papstsignet auf der umgebundenen Serviette sich streng getrennt gegenübersitzen, letzterer mit falschen Katzen auf seinen Schultern, die nicht mehr lecken mögen (= catten likken) von dem Brei in seiner Schüssel (= pap). Die Attributionen stammen aus niederländischen Wortspielen für die Katholiken und den Papst sowie die Namen Luther (= luyt teer) und Calvin (= calf fijn). Die vielen Anspielungen auf die damals aktuellen Auseinandersetzungen in den Niederlanden lassen die Blätter als akademisches Bilderrätsel oder als Programmzettel der Bühnendialoge erscheinen. Ein Gemälde von 1659 zeigt in der Tat die Mitglieder einer solchen Rhetorikgesellschaft in ihrer Rederijkerkammer dieses Stück spielen, wobei wiederum Kostüme und Attribute auf die einzelnen Gestalten verweisen, so dass Luther an seiner Laute genau erkennbar ist.

      Fazit: Auch im Französischen lässt sich aus Luther leicht Luthier bilden, was Lautenmacher heißt, Luthierie Saiteninstrumentenfabrik. Wir haben es dabei mit der mittelalterlichen Methode des Etymologisierens aus den Eigennamen zu tun, wie es Isidor von Sevilla vorexerzierte und Jacobus de Voragine in seiner Legenda aurea durchgehend praktizierte, zu Beginn jeder Heiligenvita. Die katholische Antilegende Luthers las darum im 16. und 17. Jahrhundert aus Luthers Namen den „Lotterbuben“ oder das „Luder“ heraus. Für unseren Zusammenhang bleibt wichtig festzuhalten: Luthers Laute hatte damals in der öffentlichen Meinung noch nichts mit seiner Liebe zur Musik zu tun, sondern bedeutete im engeren Umkreis humanistischer Irenik lediglich das sprechende Erkennungszeichen für jenen erwünschten Dialog.

      DER SCHWANENGLEICHE PROPHET LUTHER

      Unter Luthers Glaubensanhängern gab es für die ersten drei Jahrhunderte bald ein kanonisiertes religionspolitisches Attribut seiner bildlichen Darstellungen, besonders beliebt in Kupferstichen und verbreitet zu den Reformationsjubiläen, aber auch in Öl für die üblich werdenden Luthergemälde in protestantischen Kirchen. Dort ist sein Bild neben den Emporen- und Aposteldarstellungen zu finden, Luther sozusagen als fünfter Evangelist. Zu Füßen des Reformators befindet sich oft ein weißer Schwan (s. Abb. S. 36). Heutzutage wird das Tier bisweilen falsch verstanden: als Gans, wegen des brauchtümlichen Gansbratens auf Martini, dem Geburts- und Tauftag Martin Luthers. Wir kennen den Schwan in dieser ikonographischen Funktion spätestens seit dem Urtypus dieser Lutherdarstellungen in Nordeuropa, speziell in der Hamburger Petrikirche von 1603. Doch schon vorher taucht das Attribut im protestantischen Schuldrama auf, z. B. im Lutherus Triumphator sive Reformationis Cygna: also „Schwan der Reformation“.

      Die Zuschreibung stammt von Luther selbst und erfuhr deshalb autoritative Geltung: „S. Johannes Hus hat von mir geweissagt, da er aus dem gefengnis ynn behemerland schreib, Sie werden itzt eine gans braten (denn Hus heisst eine Gans). Aber uber hundert iaren, werden sie einen schwanen singen horen, Den sollen sie leiden. Da solls auch bey bleiben, ob Gott wil“6. Bildlich ist die direkte Abstammungslinie von Hus her durch den Cranach-Holzschnitt von 1551 als reformatorisches Gedächtnisbild monumentiert. Er stellt die Spendung des Abendmahls unter beiderlei Gestalten an die Wettiner Kurfürsten gemeinsam durch Luther und Hus dar und zwar mit eingetragenen Namensnennungen. Zehn Jahre später wurden daraus Luther und Melanchthon am Kreuzaltar in dem erst jüngst bekannt gewordenen Wettiner Bekenntnistriptychon aus der Cranach-Werkstatt von 1561. Es entstand aus Anlass des zweiten Naumburger Fürstentages mit der neuerlichen Unterschreibung der Confessio Augustana.

      Für den bleibenden Bekanntheitsgrad der Hus-Vorläuferschaft bildet die erste Biographie Luthers aus der Feder eines seiner Wittenberger Schüler das literarische Quellenfundament. Dies war der schreibfreudige sächsische Prediger Johannes Mathesius (1504–1565), der sich als Ingolstädter Student 1527 der Reformation anschloss und an die Universität Wittenberg wechselte, um ab 1532 in der erzgebirgischen Bergbaugemeinde Joachimsthal zu wirken. Dort hielt er u. a. 17 Predigten, die 1566 erstmals zu Nürnberg im Druck erschienen unter dem Titel: Historien von des ehrwirdigen in Gott seligen thewren Manns Gottes D. Martini Lutheri Anfang, Lehr, Leben und Sterben. Sie bildeten mit ihren fünfzig(!) Auflagen fortan die wichtigste Quelle aller Forschungen zum Leben des Reformators. Mathesius hatte nochmals 1540/42 in Wittenberg studiert, um den Magistertitel zu erwerben und im Hause Luthers bisweilen zu den Tischgästen der später volkstümlich gewordenen Colloquia gezählt. Sie erschienen 1566, im selben Jahr wie seine richtungsweisenden Lutherhistorien, erstmals im Druck. Hier erhielt das imaginative Lutherbild seiner Anhänger im 16. Jahrhundert die endgültige Ausprägung.

      Zu Beginn der Reformation waren es noch traditionell katholische Attribute der Bildpublizistik, die Luther, den Mönch oder Professor ordinarius, wie einen Heiligen im Angesicht der Dreifaltigkeit oder des Schmerzensmannes vorstellten. Es existiert sogar ein Porträt mit Nimbus, was zwar allseits Ärgernis erregte, aber noch um 1600 in Buchillustrationen nachwirkte. In den Predigten des Mathesius verfestigte sich schließlich das protestantische Bild vom „teuren Gottesmann“ aus einem Guß zur übergroßen Prophetennatur. Mathesius verfolgte die apologetische Absicht, den Beweis zu führen, dass Luther „ein rechter christlicher Doktor und Ausleger der heiligen Schrift“ gewesen sei. Er feierte ihn darum in Anlehnung an ein frühes Humanisten-Epitheton für den Reformator als dritten Elias, also Vorläufer Christi entsprechend dem Johannes Baptista als zweitem Elias. Dies war seit den Leichenreden auf Luther im Jahre 1546 zum stehenden Vergleich geworden. David, Simson und Moses hießen die Vorbilder. Luther wurde der „Prophet Deutschlands“ (was die nationale Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts wieder aufgreifen sollte), der „treue Prophet Gottes“, der vorhergesagt und nun mit einem Male aufgetreten war.

      Die historischen Weissagungen und biblischen Rückverweise auf sein Kommen stammen alle schon aus der Frühzeit der Reformation. Mathesius hat sie zusammengefasst. Darunter ist der Bezug auf Hus erzählerisch besonders wirksam geworden. Luther hatte ihn selbst, wie wir schon gesehen haben, mehrfach hergestellt, was in der katholischen Ketzerpolemik deshalb zur Konstruktion einer leiblichen

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