Menschen, die Geschichte schrieben. Christine Strobl

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Menschen, die Geschichte schrieben - Christine  Strobl marixwissen

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dreihundertsten Jubiläums der Reformation, unter anderem mit dem Wartburgfest.

      Damals lagen zu Wittenberg, das nun samt Eisleben und Erfurt dem calvinistischen Hause Hohenzollern zugehörte, die Erinnerungsstätten in Trümmern oder waren verwahrlost durch Kriegszerstörungen des 18. Jahrhunderts. Jetzt, nach der 1817 staatlich verordneten Kirchen-Union wurde die ausgebrannte Schlosskirche in allerhöchstem Auftrag des preußischen Königshauses historistisch rekonstruiert. Gleichzeitig fand die neugotische Erfindung der persönlichen Gedenkorte im einstigen Augustinerkloster zu Wittenberg statt. Luther erhielt dort auf dem Marktplatz sein erstes Frei-Denkmal durch Gottfried Schadow und Friedrich Schinkel 1821, dem bald hunderte deutschlandweit folgen sollten. Es war ganz generell der Beginn des bürgerlichen Denkmalkultes in Mitteleuropa; davor besaßen nur Fürsten und Feldherren Auftrittsrecht im öffentlichen Raum. Als Beispiel für die Popularisierung möge ein optisches Zeugnis des Biedermeier dienen: eine Porzellantasse der Berliner Manufaktur von 1830 mit der Miniatur des Wittenberger Lutherdenkmals für ein „protestantisches Deutschland preußischer Nation“, wie Thomas Mann später formulieren sollte.

      Wir müssen also zurück zum Theologen Martin Luther im 16. Jahrhundert, und zwar nicht so sehr zu seiner Theologie als Lehrgebäude im Unterschied zur damaligen Papstkirche, sondern vielmehr zu seiner Gestalt als Symbol für die in unseren Tagen zwischen Rom und Lutherischem Weltbund nicht mehr umstrittene Rechtfertigungslehre der Confessio Augustana invariata von 1530. Benedikt XVI. hat 2005 in Köln öffentlich formuliert: „Gemeinsam bekennen wir Jesus Christus als Gott und Herren; gemeinsam erkennen wir ihn als einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen an“1. Die Benennung der „Evangelisch-lutherischen Landeskirche“ in Bayern und die Selbstbezeichnung der österreichischen Schwester „Evangelische Kirche Augsburger Konfession“ stellen zwei sich wechselseitig erklärende Umschreibungen dar, die zugleich die historischen Grundlagen aus der Zeit um 1530 bis 1630 und das damit imaginierte Bild Martin Luthers und seiner Lehre modern reflektieren. Die Evangelische Landeskirche Bayerns nennt sich heute nicht mehr wie zwangsweise zu Zeiten des katholischen Königs als oberstem Landesbischof (summus episcopus) „protestantische“ Kirche mit dem intern differenzierenden lutherischen Konfessionsunterschied „rechts des Rheins“, sondern sie heißt seit Fortfall der reformierten bayerischen Rheinpfalz ganz offiziell im Kirchennamen „lutherisch“. Das hat natürlich auch mit der zitierten Luther-Renaissance zu tun, besitzt jedoch in Franken eine eigene ungebrochene Kontinuität, von der anhand entsprechender Bekenntnisbilder am Ende nochmals die Rede sein wird.

      EIN NIEDERLÄNDISCHES GEMÄLDE UM 1600

      Ich erkläre die genannte Verschränkung der Fakten aus Vergangenheit und Gegenwart zunächst anhand eines Gemäldes aus der Zeit um 1600, das auf einen Kupferstich von 1590 zurückgeht (s. f. S.). Es führt an den Kern der Schlüsselfigur Luther für jene Epoche. Es handelt sich um eine anonyme niederländische Schildermalerei aus dem heutigen Museum im Katherinenkonvent zu Utrecht. Das Bild hat im vergangenen Vierteljahrhundert drei großen Jubiläums-Ausstellungen in Deutschland als Beleg für das Phänomen „Eine Religion – Drei Kirchen“ gedient: zuerst 1983 in Hamburg Luther und die Folgen für die Kunst, dann 1998 in Münster 1648. Krieg und Frieden in Europa und 2005 in Augsburg Als Frieden möglich war, 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden. Ein Ausschnitt zeigt die drei zentralen Figuren Calvin, den Papst und Luther gemeinsam zu Tisch beim Essen. Dieses Detail schmückte den Katalog der Augsburger Ausstellung als Frontispiz und machte das Gemälde mithin zum optischen Aufhänger für das Projekt. Das emblematische Programm des vielfach verschlüsselten Bildes lässt sich aufgrund einer mit Armgestus und Ölzweig fordernd deutenden allegorischen Figur betiteln: Der Frieden mahnt die Kirchen zur Toleranz. Diese Aussage allein haben die drei Ausstellungen in den Vordergrund gestellt, das heißt hierfür eine eindrucksvolle Visualisierung bieten können. Uns interessiert daran vor allem die Gestalt Luthers, weshalb wir in Genese, Interpretation und Wirkungsgeschichte des gesamten Gemäldeentwurfs näher eintreten müssen, um zu stimmigen Aussagen über den imaginativen Gehalt dieser Lutherpräsentation zu gelangen.

      Wenn man jenes Bild einem beliebigen Interessenten vorlegte, um die Darstellung Luthers zu charakterisieren, dann wird er sich nach allgemeinem Bildungsstand auf die Laute konzentrieren und behaupten, dass Luther das Instrument beherrscht habe sowie der Dichter und Komponist vieler Kirchenlieder gewesen sei. Vielleicht würde der eine oder andere aus der dargestellten Situation eines Festtagsschmauses auch schließen wollen auf den angeblichen Lutherausspruch, den wir alle kennen: „Wer nicht liebt Wein, Weib, Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang“, um Luther mithin zu interpretieren als den gemütlichen Alleinunterhalter beim Streitgespräch zwischen Calvin und dem Papst. Dass letzteres nicht gemeint sein kann, belegt ein fast zeitgleiches illustriertes Flugblatt, das 1619 realistischer darstellt, was es mit den „Geistlichen Raufhändeln“ jener Tage auf sich hat: Luther zieht Calvin am Bart, während der Papst sich die Ohren zuhält. Die Redensart von Wein-Weib-Gesang stammt zwar aus dem 16. Jahrhundert und war in Varianten seitdem weit verbreitet, ist aber als ein „Sinnspruch Luthers“ erst seit dem späten 18. Jahrhundert ausgegeben worden.

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      Die drei Konfessionen in Frau Ratios Küche; Kupferstich, niederländ., um 1590

      Ebenfalls erst in Ansätzen aus dieser Zeit vor gut zweihundert Jahren stammt unsere durch jugendbewegtes Singen und Kindergottesdiensterfahrung bestimmte positive Assoziation vom Klampfe spielenden Luther. Deutlicher stehen für jene optischen Vorstellungen die Illustrationen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus Kreisen der Inneren Mission, wo Luther unter dem zu seiner Zeit noch unbekannten Weihnachtsbaum die Laute schlägt oder gar die Augustinerbrüder ihn im Kloster mit Lautenspiel aufzuheitern suchen. Letztere Vorstellung schließt an einen versteckten Hinweis aus den lateinischen Tischreden, dass sich der Student Luther in Erfurt auf dem Krankenlager selbst das Lautenspiel beigebracht habe2: Man darf sich das lediglich als privates Hilfsmittel zur Vorbereitung und Weitergabe für den von ihm so geschätzten und seit Kindertagen gepflegten geistlichen Gesang vorstellen, eine Art von Komponierhilfe, jedoch die Laute nicht als Begleitinstrument in der Kirche. Eine andere Erzählung in den Tischreden unter dem deutschen Titel „Eine laute zur meß“ berichtet vom pflichtgemäßen Terminieren, also vom Almosensammeln, des jungen Bettelmönchs in den Dörfern um Erfurt, wo er bei dieser Gelegenheit auch die Messe hielt. In der deutschen Übersetzung späterer Ausgaben heißt es: „da fing der Kirchner an das Kyrieleison und Patrem auf der Lauten zu schlagen, da konnt ich mich schwerlich des Lachens enthalten“, „den ich solcher orgeln nicht gewonnet war; mußt mein Gloria in excelsis nach seinem Kyrie richten!“3

      Einer der heftigsten und durch seine Schriften einflussreichsten zeitgenössischen Luthergegner, Johannes Cochläus (1479–1552) aus dem Nürnberger Humanistenumkreis, hat in seinen 1533/34 begonnenen und 1547 in Eichstätt als Dozent der Domschule vollendeten, 1548 erstmals erschienenen Commentaria de actis et scriptis M. Lutheri behauptet, er habe 1521 den Reformator auf dem Weg zum Reichstag in Worms beim Pferdewechsel in einem Frankfurter Wirtshaus beobachtet, wie er dort die Leute durch Gesang zur Laute als ein „Orpheus in Kutte“ begeisterte. Das stellt zunächst nur ein typisches Erzählmotiv der katholischen Antilegende dar, das den späteren sogenannten „Nonnenschänder“ und sogenannten „Säufer“ von Anfang an als sündhaften Weltmenschen entlarven sollte. Cochläus, der weitgereiste Doktortheologe, Kölner Professor und Luther intellektuell ebenbürtige Humanist, der 1520–25 am Frankfurter Liebfrauenstift wirkte, hatte den Reformator in Worms geradezu umworben für einen Widerruf. Sein späteres Frankfurter Wirtshaus-Märlein war ihm gewiss nur zugetragen worden, und er verwendete es als rhetorisches Versatzstück weiter, weil es so gut in die nach 1525 üblich werdende psychologische Vitendeutung passte. Cochläus selbst war durch seine Schrift von 1507 ein bedeutender Musiktheoretiker der Zeit, dem darum das Exemplum einleuchtend für das polemische Argumentieren scheinen konnte. Eine weitere Verbreitung des Erzählmotivs ist allerdings nirgends belegt, doch wird hier die negative Konnotierung der Laute im Zusammenhang mit geistlichem Gesang nochmals

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