Die erste Umsegelung Asiens und Europas. Adolf Erik Nordenskiold
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Als wir 1878 durch Jugor-Schar segelten, war der Sund völlig eisfrei. Das Wetter war herrlich, aber der Wind so schwach, dass die Segel nur wenig Dienste leisteten. Infolgedessen ging die Fahrt nur langsam vorwärts, besonders, da ich die vier Fahrzeuge zusammenhalten wollte und das Segelschiff Express, dass es nicht zurückbleibe, von dem Dampfer Fraser bugsiert werden musste. Außerdem ging viel Zeit mit Dreggen und dem Heraufholen von Wasserproben verloren.
Am Nachmittag des 1. August hatten wir den Sund passiert und dampften in das östliche davor gelegene Meer, welches das Ziel so vieler Spekulationen, Vermutungen und Schlusssätze umsichtsvoller Regierungen, gewinnlustiger Kaufleute und gelehrter Kosmographen schon seit dem 16. und 17. Jahrhundert gebildet hat und welches auch für die Geographen und Gelehrten unserer Zeit bis in die unmittelbarste Gegenwart ein Mare incognitum gewesen ist. Gerade dieses Meer ist es, welches den Wendepunkt aller früheren Nordostfahrten gebildet hat.
Wenn man die kleine neuentdeckte Insel »Einsamkeit« nicht mit in Betracht zieht, so ist das Karische Meer nach Nordosten hin offen. Es wird im Westen von Nowaja Semlja und der Waigatsch-Insel, im Osten von der Halbinsel Taimur und im Süden von dem nördlichsten Teil des europäischen Russland, Beli-Ostrow und den bedeutenden Mündungsbuchten des Ob und des Jenissej begrenzt.
Wo die Berge anfangen, zeigen sich zwischen denselben einige wenige oder nur äußerst unbedeutende Eisansammlungen, und selbst die Bergspitzen sind im Sommer frei von Schnee. Erst weiter nach Norden hin fangen die Gletscher an, welche noch weiter nördlich an Zahl und Größe zunehmen, bis sie schließlich ein zusammenhängendes Inlandeis bilden, welches, gleich dem Inlandeis auf Grönland und Spitzbergen, mit seiner gewaltigen Eishülle Berg und Tal ausgleicht und das Innere des Landes zu einer Eiswüste verwandelt und einen der Bildungsherde für die Eisberge und Gletscherblöcke bildet, welche in den Schilderungen von Seefahrern in den Polarmeeren eine so große Rolle spielen. Ich selbst habe das Inlandeis auf dem nördlichen Teil von Nowaja Semlja nicht besucht, aber ganz sicher kann die Erfahrung, welche ich auf Grönland gewonnen habe, auch auf die Eiswüsten Nowaja Semljas angewandt werden.
Ebenso wie auf Spitzbergen ist auch hier ganz sicher das Eisfeld durch tiefe, bodenlose Klüfte unterbrochen, über welche die Schneestürme des Winters zerbrechliche Schneebrücken schlagen, welche die Öffnungen der Abgründe so vollständig bedecken, dass man unmittelbar am Rande stehen kann, ohne eine Ahnung davon zu haben, dass ein Schritt weiter unvermeidlicher Tod für denjenigen ist, welcher, ohne die gewöhnliche Vorsichtsmaßregel zu beobachten, durch ein Tau mit seinen Begleitern verbunden zu sein, seinen Weg über diese hart gepackte, aber durch keine gefrorene Schneerinde verbundene, blendend weiße, beinahe samtartige Fläche des Schneefeldes sucht. Wenn man, nach Beobachtung der nötigen Maßregeln zum Schutz gegen die Gefahr des Herabstürzens in diese Klüfte, sich weiter über das Eisfeld hin begibt, in der Hoffnung, dass die scheinbar ebene Fläche des Schnees gute Tagesmärsche gestatten werde, findet man sich leicht in seiner Hoffnung getäuscht. Man kommt nämlich an Stellen, wo das Eis überall von schmalen, durch gefährliche Klüfte begrenzten Talgängen mit bis zu fünfzehn Meter hohen steilen Wänden durchschnitten wird, über welche man erst nach endlosen Zickzackwanderungen an Stellen kommen kann, welche mit Schnee gefüllt und dadurch passierbar geworden sind.
Im Sommer wiederum, nach dem Schmelzen des Schnees, erhält die Eiswüste ein ganz anderes Aussehen. Der Schnee ist verschwunden, und der Boden wird jetzt von einem grauen, tonartigen Staub beschmutzt, den Wind und Regen, wahrscheinlich von entfernten Berghöhen, auf die Gletscherfläche geführt haben. Zwischen dieser Tonerde und auch unmittelbar auf dem Eis selbst findet sich eine dünne Decke geringer Pflanzenorganismen. Die Eiswüsten der Polarländer bilden also auch die Heimat einer eigentümlichen Art von Flora, welche, so unansehnlich sie auch zu sein scheint, doch eine wichtige Bedingung für den Ausgang des Kampfes bildet, welcher hier Jahr auf Jahr und Jahrhundert auf Jahrhundert zwischen Sonne und Eis vor sich geht.
Das Inlandeis auf Nowaja Semlja hat indessen eine zu unbedeutende Ausdehnung, als dass sich größere Eisberge bilden könnten. Deshalb kommen auch derartige Eisberge im Karischen Meer nicht vor, und selten trifft man auch nur größere, herumtreibende Gletschereisblöcke.
Der Name »Eiskeller«, welchen das Karische Meer von einem berühmten russischen Forscher erhielt, war deshalb nicht durch die Menge der Eisberge, sondern dadurch veranlasst, dass die Eisdecke, welche im Winter infolge der strengen Kälte und des geringen Salzgehalts des oberen Wassers sehr mächtig wird, obgleich früh gebrochen, nicht von den Meeresströmungen fortgeführt und über ein auch im Winter offenes Meer verteilt werden kann. Der größte Teil des Eises, welches sich im Winter im Karischen Meer bildet, und vielleicht auch ein Teil von dem, welches von dem Polarbassin dort hinuntertreibt, wird im Gegenteil gegen die Ostküste Nowaja Semljas angehäuft, wo es während des Sommers die drei Sunde versperrt, welche das Karische Meer mit dem Atlantischen Ozean verbinden. Es sind diese Eisverhältnisse, welche das Missglücken aller älteren Nordostfahrten verursacht und dem Karischen Meer seinen schlechten Ruf und den Namen »Eiskeller« eingetragen haben. Jetzt wissen wir, dass es sich nicht so gefährlich damit verhält, wie man früher glaubte, dass das Eis des Karischen Meeres größtenteils schmilzt und dass man deshalb dieses Meer während des Sommers sehr wohl für die Schifffahrt benutzen kann.
Im Allgemeinen war unsere Kenntnis des Karischen Meeres noch vor einigen Jahrzehnten nicht nur unvollständig, sondern auch unrichtig. Man glaubte, dass sein Tierleben äußerst arm wäre und dass alle Meerespflanzen fehlten; man hatte keine Senkbleiuntersuchungen, außer unmittelbar an der Küste, veranstaltet; die Richtigkeit der Karten wurde mit Recht stark in Zweifel gezogen. Jetzt ist dies alles sehr wesentlich verändert. Die Küstenlinien, welche das Meer begrenzen, sind auf den Karten festgestellt; man kennt die Eisverhältnisse, die Strömung, die Tiefe der verschiedenen Teile des Meeres, und man weiß, dass die alte Vorstellung über seine Armut an Tieren und Pflanzen völlig unrichtig ist.
Zunächst will ich zu dem Bericht über unsere Fahrt durch das Karische Meer zurückkehren. Hierüber enthält mein Tagebuch Folgendes:
2. August. Fortdauernd herrliches Wetter und kein Eis. Die Lena scheint sich von den übrigen Fahrzeugen entfernen zu wollen und bemerkt nicht die Flagge, die als übereingekommenes Zeichen gehisst ist, dass ihr Kapitän an Bord der Vega kommen oder sich wenigstens mit seinem kleinen Fahrzeug bis auf Hörweite nähern soll. Die Fraser wird deshalb entsandt, um die Lena einzuholen, was auch gegen Abend gelingt.
3. August. Am Morgen kam Kapitän Johannesen an Bord der Vega. Ich gab ihm Befehl, Dr. Almqvist sowie die Leutnants Hovgaard und Nordqvist an Bord zu nehmen und mit denselben nach Beli-Ostrow abzugehen, wo sie während sechsunddreißig Stunden Freiheit hatten, zu jagen und Volk, Tiere und Pflanzen nach ihrem Belieben zu studieren; darauf sollte die Lena, wenn möglich, durch die Straße zwischen der Insel und Jalmal nach Dicksonshafen weiterfahren, wo auch die übrigen Fahrzeuge zusammentreffen sollten.
Im Laufe des Tages hatten wir viel verteiltes und zerfressenes Eis angetroffen, welches uns durch seinen dämpfenden Einfluss auf den Seegang nur hätte von Nutzen sein können, wenn es nicht den gewöhnlichen Begleiter des Grenzeises, einen dichten Nebel, im Gefolge gehabt hätte, welcher sich jedoch mitunter etwas aufklärte.
Gegen Abend bekamen wir Beli-Ostrow in Sicht. Diese Insel bildet, vom Meer aus gesehen, eine ganz gleichmäßige Ebene, welche sich nur wenig über das Wasser erhebt.
4. August. Ein leises Schaukeln gab am Morgen zu erkennen, dass das Meer, wenigstens für eine bedeutende Strecke luvwärts, wieder eisfrei war. Schon gestern nahm der Salzgehalt im Wasser ab und der Tongehalt zu, und jetzt ist das Wasser nach Filtrierung beinahe trinkbar. Es hat eine gelbgraue Tonfarbe angenommen und ist fast undurchsichtig, sodass das Schiff in Tonschlamm zu segeln scheint. Wir sind offenbar im Stromgebiet des Ob und des Jenissej.
5. August.