Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi
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Читать онлайн книгу Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi страница 191
»Wenn Sie auf ein Abendessen rechneten, so haben Sie sich verspätet«, bemerkte eine Stimme hinter dem Holzstoß.
Dolochow erwiderte, sie hätten schon gespeist und sie müßten in der Nacht noch weiter.
Er übergab die Pferde dem Soldaten, der an dem Kessel kniete. Der Offizier mit dem langen Hals betrachtete Dolochow fortwährend und befragte ihn nochmals, von welchem Regiment er sei. Dolochow gab keine Antwort, als ob er die Frage nicht gehört hätte, zündete sich eine französische Pfeife an, die er aus der Tasche nahm, und fragte die Offiziere, ob die Straße nicht unsicher sei wegen der Kosaken.
»Diese Räuber sind überall«, erwiderte der Offizier hinter dem Holzstoß.
Dolochow sagte, die Kosaken seien nur für einzelne Ermüdete, wie er und sein Kamerad; gefährlich, »aber größere Abteilungen würden sie wahrscheinlich nicht anzufallen wagen?« fügte er fragend hinzu, aber niemand antwortete.
»Nun, jetzt wird er gehen«, dachte Petja jeden Augenblick, aber Dolochow nahm das abgebrochene Gespräch wieder auf und fragte geradezu, wie viele Leute in ihrem Bataillon seien, wieviel Bataillone und wieviel Gefangene.
»Es ist eine lästige Geschichte«, sagte Dolochow, »diese Gefangenen mit sich zu schleppen, es wäre besser, das Gesindel zu erschießen.« Dabei ließ er ein so seltsames Gelächter hören, daß Petja glaubte, die Franzosen müßten sogleich den Betrug entdecken. Unwillkürlich trat er einen Schritt von dem Holzstoß zurück. Niemand antwortete auf Dolochows Bemerkung, aber ein französischer Offizier, der in seinen Mantel gehüllt an der Erde lag, erhob sich und flüsterte seinen Kameraden etwas zu. Dolochow stand auf und rief den Soldaten mit den Pferden.
»Werden sie die Pferde bringen oder nicht?« dachte Petja und näherte sich unwillkürlich Dolochow.
Die Pferde wurden gebracht.
»Bon jour, messieurs!« sagte Dolochow. Petja wollte sagen, »bon soir!« brachte aber kein Wort hervor. Die Offiziere flüsterten unter sich, Dolochow stieg langsam zu Pferde, dann ritt er im Schritt durch die Pforte hinaus. Petja ritt neben ihm und hätte sich gern umgesehen, ob sie verfolgt würden, aber er wagte es nicht. Als sie auf den Weg hinauskamen, ritt Dolochow nicht zurück nach dem Wald, sondern durch das Dorf, und an einer Stelle hielt er an und horchte.
»Hörst du?« sagte er.
Petja vernahm russische Worte und sah bei den Lagerfeuern die dunklen Gestalten russischer Gefangener. Dann ritten sie wieder zur Brücke hinab, an der Schildwache vorbei, welche kein Wort sagte, und endlich in die Schlucht hinein, wo die Kosaken warteten.
»Nun, adieu! Sage Denissow, bei Tagesanbruch, beim ersten Schuß geht es los!«
Petja ergriff ihn am Arm. »Nein«, rief er, »Sie sind solch ein Held! Ach, wie schön! wie schön! Wie ich Sie liebe!«
»Gut, gut«, erwiderte Dolochow, aber Petja ließ seinen Arm nicht los und in der Dunkelheit sah Dolochow, daß Petja sich zu ihm herüberbog und ihn küssen wollte. Dolochow küßte ihn, lachte und verschwand in der Dunkelheit.
238
Petja traf Denissow in dem Vorhaus der Hütte an, wo er ihn mit Unruhe und Ärger über sich selbst erwartete.
»Gott sei Dank!« rief er. »Der Teufel soll dich holen, deinetwegen konnte ich nicht schlafen! Nun, Gott sei Dank, lege dich schlafen. Wir können bis zum Morgen noch etwas schlummern.«
»Nein«, sagte Petja, »ich will nicht, sonst werde ich die Zeit verschlafen.«
Petja lag einige Zeit in der Hütte und hing seinen freudigen Erinnerungen nach. Als er bemerkte, daß Denissow eingeschlafen war, ging er hinaus. Draußen war es noch ganz dunkel, aber der Regen hatte aufgehört. Man sah die schwarzen Gestalten der Kosaken, die auf Wache standen, und ihre Pferde. Hinter einer Hütte standen zwei Fuhren, bei denen Pferde standen, und am Abhang flackerte ein erlöschendes Feuer. Petja hörte leises Gespräch in der Dunkelheit, die Pferde wieherten und stampften mit den Füßen, in der Nähe schnarchte jemand, er setzte sich und schlummerte ein. Ein Kosak weckte ihn. »Es wird schon hell!« flüsterte er. Die vor kurzem noch unsichtbaren Pferde wurden jetzt deutlich erkennbar, und durch die kahlen Zweige brach ein schwaches Licht herein. Aus der Hütte trat Denissow heraus und rief Petja zu, Befehl zum Sammeln zu geben. Rasch wurden die Pferde im Dunkel herausgeführt, die Steigbügel angezogen, und dann sammelten sich die Leute in ihren Abteilungen. Denissow stand vor der Hütte und gab die letzten Befehle. Die Infanterie ging voraus, den Weg entlang und verschwand darauf im Nebel. Der Esaul instruierte seine Kosaken. Petja hielt sein Pferd am Zügel und erwartete mit Ungeduld den Befehl, aufzusteigen.
»Ist alles fertig?« rief Denissow. »Bringt die Pferde her!«
Die Pferde wurden gebracht, und sie stiegen auf.
»Denissow, werden Sie mir nicht etwas anvertrauen?« sagte Petja. Denissow schien seinen Kameraden ganz vergessen zu haben.
»Ich bitte dich nur um eins«, sagte er streng, »mir zu gehorchen und dich in nichts einzumischen.« Dann sprach Denissow kein Wort mehr. Als sie an den Waldsaum kamen, wurde es auf dem Feld schon merklich heller. Denissow flüsterte etwas mit dem Esaul, und die Kosaken ritten an Petja und Denissow vorüber. Als sie alle verschwunden waren, ritt Denissow am Berge hin. Petja ritt neben Denissow, ein Fieber überlief ihn, das sich immer mehr verstärkte. Immer heller wurde es und nur der Nebel verbarg noch die Gegenstände in der Ferne. Als sie hinabgeritten waren, blickte Denissow rückwärts und nickte mit dem Kopf einem Kosaken zu, der neben ihm stand.
»Das Signal!« sagte er.
Der Kosak erhob den Arm und gleich darauf ertönte ein Schuß. In demselben Augenblick hörte man die Hufschläge der vorwärtsgaloppierenden Pferde, Geschrei und Schüsse von verschiedenen Seiten. Bei dem ersten Schuß trieb Petja sein Pferd an, rief »Hurra« und ließ ihm die Zügel schießen. Ohne auf Denissow zu hören, der ihm etwas zurief, galoppierte er vorwärts, nach der Brücke zu. Vor ihm auf dem Wege ritten die Kosaken. An der Brücke stieß er auf einen zurückgebliebenen Kosaken und galoppierte weiter. Vor ihm liefen einige Leute, wahrscheinlich Franzosen, von der rechten Seite des Waldes nach der linken. Der eine fiel vor den Füßen von Petjas Pferd.
Bei einer Hütte drängten sich die Kosaken zusammen, Petja konnte nicht erkennen, was sie dort machten. Aus der Mitte der Menge hörte man schreckliches Schreien. Petja galoppierte dorthin, und das erste, was er sah, war ein Franzose mit bleichem Gesicht und zitternder Kinnlade, der eine auf ihn gerichtete Lanze am Schafte festhielt.
»Hurra!… Kinder!…« rief Petja und galoppierte weiter die Straße entlang.
Vorn hörte man Schüsse. Die Kosaken und Husaren sowie die russischen Gefangenen, die auf beiden Seiten des Weges hinliefen, schrien laut einander etwas zu. Ein junger Franzose, ohne Mütze, im blauen Mantel, verteidigte sich mit dem Bajonett gegen die Husaren. Als Petja näherkam, war der Franzose schon gefallen.
»Wieder zu spät gekommen«, dachte Petja, dann wandte er sich dorthin, woher die häufigen Schüsse kamen. Die Schüsse knallten im Hof jenes Gehöftes, wo er gestern abend mit Dolochow gewesen war.