Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
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»Trifft es mich, ich thue es ohne Einwand und ohne Zögern, so wahr ich des großen Gottes freigeborenes Kind bin!«
So schwur ein Jeder. –
Nun trat ein schlanker, hagerer Mann, der Bart vom Tärn genannt, aus der Höhle und richtete seine Augen auf den Boden, als ob er etwas suche. Manches Steinchen hob er auf und warf es wieder weg; manches Blatt pflückte er am Hage, und ließ es fallen; manches Zeiglein faßte er an, und schnellte es wieder aus der Hand, daß es eine Weile wiegte und schwankte an seinem Ast.
»Was willst Du?« fragte Roderich der Stromer, der abseits von der fröhlichen Gesellschaft stand und das Herumspähen des Bart bemerkte,
»Ich brauche so Sachen da,« sagte der Bart, ohne den Stromer anzusehen, »Steinlein oder Blätter, an die vierzig Stücke, Aber gleich sollen sie sein an Größe und Form.«
»So!« antwortete der Stromer, »schau, vielleicht kannst Du das brauchen.« Er hielt ihm das Päckchen der Beichtzettel vor, welches er früher hinter dem Rücken des kleinen Baumhackel aufgelesen hatte.
Der Bart sah die Zettel an, er fragte nicht erst, wie kommst Du dazu? Er sagte nur: »Das thut’s!«
»Wozu brauchst sie?« fragte der Stromer.
»Zum Feuermachen,« versetzte der Bart, »bleib’ Du heraußen.« Und ging in die Höhle hinein.
Dort wurden die Zettelchen gemustert. Vierzig Männer waren anwesend, vierzig Männer hatten geschworen; vierzig Stücke von den Beichtzetteln der Pfarrkinder wurden ausgewählt, und zwar jene mit den Namen der vierzig Männer.
»Das ist Schickung!« sagte einer der Ältesten und wies auf das Bild, »Sanct Erasmus, unser himmlischer Schutzherr, ist mit uns!«
»Amen!« murmelte der Feuerwart und streute die Blättchen in eine Felsenspalte hinab. Dann nahm er den Stock und rührte sie da unten durcheinander. Hierauf wendete er sich zu den Übrigen und sagte: »In dieser Felsenurne ruht nun das Geschick von Trawies und unsere Zukunft. Bald wird der Bote emporsteigen und Einen von uns auffordern zu seiner That. Unser Aller ist das Werk, aber sein ist das Vollbringen. Alle werden mit ihm sein und hilfreich zur That. Und ist sie vollbracht, so werden Alle für ihn stehen und ihn schützen und ehren als den Befreier. Nun streiche ich etwas Harz an meines Stockes Ende. Das Blatt, welches d’ran kleben wird, sei Gottes Stimme. Sollten es mehrere Blätter sein, so hatten zwischen denselben neuerdings das Los zu entscheiden. Hier ist der Stock. Wer will ihn nehmen und in die Urne senken?«
Sie weichen zurück. Sie ahnen, daß jeder Handgriff hier, so lange der ungebundene Wille noch gilt, das Verbrechen ist.
Der Bart vom Tärn nahm endlich den Stab zur Hand und senkte ihn in die Spalte des Felsens.
Die Augen aller Anderen waren starr geheftet auf die Umrisse der schlanken Gestalt, die in der tiefen Dämmerung stand. Nun hob sie den Arm, am Stocke klebte das weiße Blättchen. Er hält es lange unbeweglich, Keiner will es anfassen, da löst es sich los und flattert wieder in die Tiefe. Hoch in der Höhle Wölbung war ein Geräusch, als wäre eine Eule oder ein Rabe geflogen. Mancher dachte bei sich: Vielleicht war dieser Zettel der meine gewesen, und mein guter Engel hat ihn mit einem Flügelschlag zurück in den Abgrund geweht. Manchem kam das grauen und er wollte die Höhle verlassen. Der Feuerwart vertrat den Ausgang und erinnerte ernst an den Eid.
Noch einmal tauchte der Bart den Stab in den Felsenspalt, hob mit ihm ein Blatt.
Auf dem Sande lag das Papier; der Heilige war leicht zu sehen. Der Jäger vom Trasank bückte sich und las: »Heiliger Bischof Erasmus, bitt’ für uns bei Gott, behüte uns im Leben, steh’ uns bei im Tod! Osterbeichte des Pfarrkindes: –« Aber der geschriebene Name war in der Dunkelheit schwer zu lesen. Uli der Köhler schlug Feuer und bei solcher Gluth lasen sie die vom Pfarrherrn eigenhändig geschriebenen Worte: »Wahnfred im Gestade.«
Wahnfred stand dort an der feuchten Wand und regte sich nicht. Er war noch blasser als sonst. Seinen Namen hatte er gehört. Die Schleier seiner Träume, in die sich der stille Schwärmer so gern gehüllt hatte, waren gesunken; er sah vor sich einen blutigen Lebensweg.
Am Gestade, wo das Tal der Trach sich weitet und von einem sanfter aufsteigenden Berggrund umschlossen eine Au bildet, auf welcher Wiesen und kleine Äcker liegen, auf welcher zwischen uralten, reisiglosen Tannen und jungen Buchen und Erlen graue Sandheiden sind, und durch welche dir Trach in breitem bette still dahinrieselt – auf einer freien Anhöhe, an den Berg gelehnt, steht das Haus genannt »An Gestade«. Es ist das malerischte in der ganzen Gegend, es ist aus Holz gebaut und blickt mit seinen großen, hellen Fenstern offen in das Tal hinaus, während die anderen Menschenwohnungen hier mißtrauisch ihre Luglöcher verwahren und verschließen und halb versteckt hingekauert liegen im Gebüsche.
Das Haus am Gestade steht frei und hat einen hohen Dachgiebel, und hat auf diesem Giebel sogar noch ein Thürmchen. Trawies ist zu weit hinten im Thale, man hört daraus keine Glocke klingen. »Darum ist hier aufgestellt ein metallener Mund, der da tönet zum Preise des Herrn, als wie Harfenspiel in Zion.« Im Vorgemach des Hauses war zur Zeit eine Zimmer- und Schreinerwerkstatt eingerichtet, deren Fußboden nicht immer mit Hobelspänen bedeckt gewesen.
Der Fremde, welcher in das Innere des Hauses trat, sah sich wohl zweimal um, bis er dann fragte, ob er wirklich beim Schreiner Wahnfred sei. Da d’rin sah es aus, wie in der Wohnung eines Landpfarrers. Alles blank und rein gescheuert und schneeweiße Vorhänge an den hellen Fensterscheiben. An den Wänden Heiligenbilder, auf den leisten Bücher mit allerlei geschriebenen und gedruckten Inlagen. Am Thürpfosten war ein Becken aus Thon mit klarem Wasser gefüllt, und darüber an der Holzwand stand geschrieben: »Ich bin das Alpha und Omega. Wen dürstet, dem will ich von dem Quell des Lebenswassers zu trinken geben.«
Wenn der Herr des Hauses hinausging in den Wald oder zu fremden Menschen, so tauchte er stets den Finger in das Becken und besprengte mit Wasser seine Stirne und besprengte das Haus. Als ihn einst ein Fremdling fragte, ob das Wasser denn wohl die Kraft habe, ihn und das Haus zu segnen, antwortete Wahnfred: »Das Wasser thut es nicht, aber die gute Meinung thut es. Unser Denken und unser Wollen ist die Kraft, womit Gott Sabaoth die Welt regiert; weil das Denken und das Wollen im Anfange keine gestalt hat, so müssen wir ihm eine Gestalt geben, die vor uns steht, denn das Auge muß es sehen und das Ohr muß es hören, was das Herz glauben soll.«
Ist das ein Handwerker? Muß der Mann nicht in einer Klosterschule oder von einem Denker in der Zelle erzogen worden sein? – Wahnfred ist in diesem Hause geboren worden und noch nie weiter über das Heideland hinausgekommen, als bishin, wo die fünf Kiefern stehen. Er hatte in der kleinen Schule von Trawies das lesen und das Schreiben gelernt; der alte Priester mit dem weißen Haar auf dem vorgeneigten Haupte und dem elfenbeinernen Kreuze auf der Brust, der dazumal Herr zu Trawies gewesen, hatte ihm Unterricht gegeben in manchen Dingen der Welt, besonders aber in den heiligen Schriften und den göttlichen Offenbarungen. Wie der Greis lehrend zur Erde schaute, so blickte der Knabe vernehmend und verlangend zur Höhe auf. Und wo die Wolken auseinandergingen und andere Augen nur das Blaue sahen, erblickte er die Himmel, und die Ewigen der Himmel, und all jene Zauber und Entzücken der Himmel, welche ein schwärmerisches Menschengemüth mit einem Glücke erfüllen, desgleichen die Erde nimmer geben kann.
Der alte Priester wollte den Knaben in eine geistliche Lehranstalt bringen; da starb er, und das war der Wegzeiger in Wahnfred’s Leben. Seiner Anlage nach wäre er ein Gottesgelehrter,