Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
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Читать онлайн книгу Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter Rosegger страница 159
Betschemel waren vorgerückt, aber kein Beter war da, das ganze Haus war leer und kalt. Keiner der Männer von Trawies schritt vor, um den Todten zu enthüllen. Der Gerichtsbote selbst mußte es thun, schrak aber mit dem Rufe: »Jesus Maria!« heftig zurück. Selbst die beiden Landwächter waren blaß geworden.
»Für uns ist da jetzund nicht zu thun,« sagte nach einer Pause der Gerichtsbote, »löscht die Lichter aus, verschließt das Zimmer und das Haus.«
Das Gestöber hatte sich erschöpft, ein kalter Sternenhimmel mit dem aufsteigenden Monde stand über der weißen Berglandschaft. Der Gerichtsbote in Begleitung der Wachen schritt an der Trach dahin. Es begann die Fahnde nach dem Verbrecher.
Ein heiterer Wintermorgen voll Blinken und voll Glitzern. In der Farbe der freudenreichen Unschuld liegt des Winters lilienreiner Mantel über den Bergen, die in das Blau der Himmelsglocke ragen. Die Mauern von Trawies, die sonst hell im Grünen schimmerten, stehen jetzt wie graue Würfel im lichten Schnee. Aber das Auge des Erzählers kann sich nicht freuen an diesem Glanze, es ist verschleiert von dem Schatten der unseligen Nacht; im Geiste sieht es das Verhängniß, welches mit geschäftigen Fingern aus dieser Nacht zarte, dunkle Fäden spinnt. Durch das Meer des Lichtes ziehen diese Fäden von Haus zu Haus, von Hütte zu Hütte, ja von Baum zu Baum und von Stein zu Stein, und verschlingen und verweben sich zu immer dichteren Schleiern, bis sie die Sonne verdecken und die Zukunft, welcher auch zu Trawies jedes junge Herz entgegenlachen will, mit schwarzem Flor verhüllen.
Nur wenige dieser Fäden spannen sich gleich anfangs so stramm, daß sie reißen und ein geangeltes Menschenkind wieder frei wird. – Doch an solchem Tage der Unruhe und des inneren Aufruhrs ist keine Zeit für Betrachtungen. Seht die Rotte, die dort aus dem Wirthshause strömt! Der kleine Baumhackel ist in der Klemme, der kleine Baumhackel mit seinen großen Kinnbacken und seinem kegelspitzen Haupte, der kleine Ausbund von Verschlagenheit und Bosheit, der Faun von Trawies mit den kurzen Beinen und den langen Fingern, der behende Zwerg mit den Schafsaugen, mit den Hasenfüßen und mit dem Fuchsschweif, dem so viele Sünden auf der gelben Stirne geschrieben stehen, als Platz haben, und dem nirgends beizukommen gewesen – dieser kleine Baumhackel war jetzt in der Klemme.
Gestern, bis spät in die Nachtstunde hinein, war er im Wirthshause gesessen und hatte mit den Anderen spintisirt über den Mord in der Kirche.
Die Nacht hatte er in der Wirthsstube unter der Ofenbank verschlafen, weil auf derselben ein Anderer lag, den auch das Heimgehen verdrossen hatte. Heute Früh, da sich die Stube wieder füllte, begann das Spintisiren neuerdings. Der kleine Baumhackel war der Lauteste dabei. – Den – den Mörder nämlich – wenn er, der kleine Baumhackel – erwischen thät’! »Aufhängen! Bei den Füßen auf den Kirchthurm hängen! Aus der Haut Riemen schneiden, für den neuen Pfarrherrn Schuhriemen! – Gehört ihm nichts Anderes! Geht her und haut Einem den Kopf auseinander! So ein Pölli! Möcht’ wissen, wie ihm so was selber thät’ taugen! Und noch dazu an dem heiligen Ort, daß uns die ganz’ Kirchen verschandirt ist jetzunter! Erzschurk’, vermaledeiter!«
Auf solche Entrüstung hinkte der Stoß-Nickel zu Baumhackel’s Tisch herbei. Der Stoß-Nickel, Holzriesner aus dem Tärn, war schon seit lange nicht der beste Freund des Baumhackel, sie hatten kein »gerades Zusammensehen«; nicht just, weil der Eine so lächerlich klein war, und der Andere so heidenmäßig lang, als vielmehr, weil sich der kleine Baumhackel einmal um die Holzriesenarbeit im Tärn beworben hatte. Er hat die Arbeit nicht bekommen, aber hätte er sie bekommen, so wäre der Stoß-Nickel mit seinen Weibern brotlos geworden.
Dieser heidenmäßig lange Holzriesner – ein rollender Baumstamm hatte ihm den Fuß abgeschlagen – hinkte nun zum kleinen Baumhackel, stützte den Ellbogen auf die Tischecke und sagte so leise, daß es wie eine gütige Anrede aussah, und so laut, daß es alle Umsitzenden hören konnten: »Thu’ mir’s sagen, Baumhackel, wo bist Du denn gestern früh Morgens gewesen?«
»Ich? Gestern früh Morgens?« entgegnete der Kleine und machte ein krummes Auge, »kümmert’s Dich was? Ein ordentlicher Mensch wird wohl in der Kirchen gewesen sein.«
»Hast schon Recht,« hierauf der Lange, »wenn’s nur im Evangeli stünde, daß Du ein ordentlicher Mensch bist!«
Darauf lachten die Leute. Der kleine Baumhackel jedoch blieb ernsthaft, machte einen langen Hals gegen den Langen und sagte: »Wie weißt denn Du das, Stoß-Nickel, daß es nicht im Evangelibuch steht? Du hast Dein Lebtag nicht hineingeschaut.«
»Da braucht man auch nur Dich anzuschaun, und das habe ich gestern ums Sonnenaufgehen, wie wir uns draußen bei der Trachbrucken begegnet sind. Und da muß ich wohl sagen: Wenn Du so andächtig den Rosenkranz gerieben hast, daß dabei Deine Finger sind blutig worden, so mußt Du schon ein höllisch frommer Christ sein.«
Wie die Umsitzenden und Umstehenden bisher über den Wortwechsel gelacht haben, so wurden sie plötzlich still.
Dem Baumhackel quollen die Augen hervor; er machte eine Geste, daß man seine beiden Hände sehen konnte und versetzte dem Stoß-Nickel: »Brauchtest über das Rosenkranzbeten just nicht so zu spötteln.«
»Ja, heute hast sie freilich gewaschen, Deine Klauen,« sagte der Nickel, »aber die Hirschlederne hast heute nicht an, und ich will nicht selig werden, wenn auf der nicht heute noch die rothen Flecken sind, die ich gestern ums Sonnenaufgehen so schön gesehen habe.«
Das war genug, die Leute drängten sich lauernd um den kleinen Baumhackel; dieser wurde todtenblaß bis über die Lippen – und das war mehr als genug.
In den nächsten Minuten schon war es ausgeschrien im Dörfchen: »Der kleine Baumhackel hat ihn umgebracht!«
Es war unglaublich, und die besonneneren Männer, der Feuerwart darunter, beruhigten die Leute und suchten sie zu überzeugen, daß dem kleinen Flänk so was nie und nimmer zuzutrauen sei. Aber die alten Weiber: »Geht’s weg! Dem schaut so was gerade gleich! Dem habe ich schon lange nicht ‘traut, das ist ein Schlechtling, das! Wie man nur nicht gleich auf den gekommen ist! Gar keine Frag’, kein Anderer hat’s gethan, wie der! Und schilt voreh selber noch über den Mörder wie ein gerupfter Spatz, dieweilen der Lump in seiner eigenen Haut steckt. Du elendlicher Spitzbub’, Du!«
Als nun der Faun von Trawies inne wurde, hier drehe sich etwas Unbehagliches um seinen bluteigenen Hals, da goß er rasch den Rest von seinem Kruge durch diesen Hals, stieß den Krug auf den Tisch, daß es schrillte, sprang hart vor die Nase des Stoß-Nickel und schrie:
»Verdächtigen willst mich, Du Wicht, Du Nichtsnutziger! Wo hast an mir Blut gesehen? leicht ist Dir die Prügelsuppen von Deinen hungrigen Weibern noch im Aug’ gewesen. Weil Du Deine Erste zu früh todtgeprügelt hast, so reitet Dir der Teufel jetzt zwei auf einmal zu. Dein Heidenleben ist es gewesen, Du Wildbock, das den Pfarrherrn so gegen die Trawieser Leut’ aufgebracht hat, und Deine Red’ ist es gewesen! weißt Du, am Sonnwendtag da beim Bach unten – Deine Red’, wie Du gesagt hast: Den da oben – gegen das gemauerte Haus ist Dein Deuten gewesen, man hat sich leicht mögen denken, wen Du gemeint hast – Den da oben sollt’ Einer in der Still’ wegputzen, hätt’ die Narrheit ein End’. – Hast es nicht gesagt, Stoß-Nickel? Leugne es, wenn Du kannst! – Und einen Andern willst einreiten! ‘leicht hast es Du gethan! – Na, spring her, spring her! Will Dir’s nur weisen, daß ich es so gut von Dir kunnt ausschreien, als wie Du von mir. Thu’s aber nicht, weil ich gleich wohl weiß, daß Du mir ums Sonnaufgehen, wie ich von der Kirche heimgeh’, weit