Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
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Читать онлайн книгу Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter Rosegger страница 156
»Was haben die Leut’ zur Nachtzeit in der Kirchen zu suchen?«
»Herr, es ist schon sechs.«
»Laßt mich in Ruh’ bei solchem Höllenwetter. Die Leute sollen heimgehen; es ist schon gut.«
»Möchte es ihnen wohl sagen, Herr, aber die Rorate ist bezahlt.«
»Gieb ihnen den Bettelpfennig zurück. Ich will mir nicht meine erst erlangte Gesundheit wieder untergraben.«
»Hört doch, sie schreien schon. Um Gotteswillen, Pfarrherr,« bat der Küster, »sie sind so weit hergekommen, sie halten was auf den Barbaratag, der Sterbestund wegen. Jesus Maria, da ist jetzt ein Stein vorbeigeflogen! Ich bitt’ Euch, Pfarrherr, steht auf, sonst kann’s was abgeben.«
So ist denn Herr Franciscus aufgestanden, und des Unwetters ungewohnt, fröstelnd hinabgegangen, die Rorate zu lesen.
Tief in den Mantel gehüllt, schritt er quer über den Kirchplatz gegen die an die Kirche gebaute Sacristei. Die Leute grüßten ihn kaum, sie murmelten nur, und Einer – im Finstern nicht erkannt, wer es war – sagte halblaut: »Die Trawieser Leut müssen wohl einen festen Glauben an die Priesterweihe haben, daß sie des Gottesdienstes wegen, den so einer hält, den weiten Weg machen.«
Endlich ging die Kirchenthüre knarrend auf und die Leute drängten hinein. Von den Sanköfen herüber waren sogar einige Bergknappen da. Das sind Leute, die im Jahr über nicht viel auf Kirchwegen gesehen werden; wenn sie einmal aus der Erde Nacht hervorkriechen, so wandeln sie lieber im freien Himmelslichte, wo das warme Leben lacht und winkt, als daß sie wieder zwischen düstere Mauern gingen. Nur die heilige Barbara ist ihnen hoch. Sie hält den Kelch in der Hand, den sich wohl Jedermann für seine letzte Stunde von ihr erbitten soll. Die Bergknappen unter dräuenden Massen und Wassern, unter schlagenden Wettern müssen nur zu oft fort aus dieser Welt, ohne des Kelches Wegzehrung zu erlangen. Daher ruft sie das Fest der heiligen Barbara aus ihren Werktagsgrüften und versammelt sie zum Gebete.
Der Küster zündete aus der glimmenden Ampel die Kerzen des Altars. Das vergoldete Crucifix vor dem Tabernakel schimmerte; des Weiteren vermochten die wenigen Lichter das Düstere des nächtlichen Gotteshauses nicht zu zerstreuen. Die Leute hatten in ihren Bänken Platz genommen und gar Mancher hatte zu thun, die vor Frost ersteiften Finger gelenkig zu machen, bis ihre Thätigkeit mit der Betschnur beginnen konnte.
Endlich schlug das Glöcklein an und aus der Sacristei trat ein Knabe im rothen Mäntlein und der Priester im Ornate. Die Sänger auf dem Chore stimmten den Lobgesang an, Dem, von dessen Herrlichkeit Erd und Himmel erfüllt ist. Der Priester stieg die Stufen des Altars hinan.
Noch war es vor Tags, wie es nach christlicher Sitte sein muß für die Rorate. Dieser Gottesdienst soll die lange Nacht versinnlichen, in welcher sich einst das Volk Jehova’s nach der Ankunft des Messias gesehnt hat.
Die Sänger begannen des Sang des Adventes: »Thauet, Himmel, den Gerechten, Wolken, regnet ihn herab! – Menschen betet an im Staube, weh’ der Höll und ihrem Raube, weil der Heiland kommen soll. – Welterlöser, ach erfülle, was Dein Bot’ verkündet hat. Komm und bringe uns den Frieden!«
Der Priester trat an die linke Seite des Altars und verkündete das Evangelium: »Ich bin die Stimme eines Rufenden in der Wüste. Bereitet den Weg des Herrn. Schon stehet Der in Eurer Mitte, den Ihr nicht kennt. Dieser ist es, der nach mir kommen wird, der vor mir gewesen ist und dessen Fußriemen zu lösen ich nicht würdig bin. Wer wird bestehen, wenn er erscheint! Machet eben die Wege, denn nahe ist sein Reich.«
Die Gläubigen standen in Andacht da; doch Einer war unter ihnen, der dachte: »Unseliger Mann, das ist Deine eigene Grabrede gewesen.«
Die Handlung nahm ihren feierlichen Verlauf und die Sänger sprachen des Propheten Gesang: »Aus Isai’s Stamme wird ein Reis entsprossen, aufblühen aus dem Zweig einer Rose. Und Du, Bethlehem Ephrata! Zwar klein bist Du unter den Geschlechtern von Juda, aber aus Dir wird hervorgehen der Herrscher, der aus der Vorzeit, aus den Tagen der Ewigkeit kommt. Nach Gerechtigkeit wird er richten, entscheiden über die Unterdrückten des Landes. Den Frevler wird er tödten mit dem Hauch seiner Lippen und frohlocken werden die Bewohner von Zion.«
Die Sänger schwiegen, es nahte der heilige Augenblick. Der Priester kniete auf der Stufe und faltete die Hände und neigte das Haupt. Aller Stolz, aller Hohn und alle Härte schienen von ihm genommen zu sein, alles Irdische von ihm gewichen zu dieser Stunde, da er in Gebet und Demuth lag vor Dem, dessen welterlösendes Kreuzesopfer er nun begehen soll. Langsam erhob er sich und stieg im Geiste die Felsen des Berges Kalvari empor. Dort in der Dämmerung der Sonnenfinsternis ragt das Kreuz. Die Hammerschläge klingen. Der Priester beugt sein Knie und mit zitternden Händen hebt er die Hostie.
Die Versammlung liegt im Gebete. In diesem stillen Augenblicke denkt Jeder des Liebsten auf Erd’ – mag es das Gespons, mag es das Kind, mag er es selbst sein. – Draußen pfeift und winselt der Sturm und die Fenster klirren.
Der Priester hebt den Kelch; die Nerven der Hände eines wahren Priesters fühlen es, wie aus der heiligen Wunde Quell der warme Brunnen in das Gefäß rieselt. Er sieht des Gekreuzigten blasses Antlitz gen Himmel sich richten: Nun ist es vollbracht. Vater, nimm meine Seele!
Die Sänger fuhren fort: »Vom Himmel erschallt die Stimme wie das Rauschen vieler Wasser, wie das Rollen des Donners. Und es erschallt ein Getön wie Harfenklingen – sie singen ein neues Lied, das keines Menschen Ohr versteht. O, Du Lamm Gottes, das Du wegnimmst die Sünden!«
Der Priester schlug dreimal an seine Brust, brach dann das heilige Brot mitten entzwei und legte es auf seine Zunge. Hernach machte er über den Kelch das Zeichen des Kreuzes und trank daraus. Als das geschehen war und unter Gebet der Kelch gereinigt war, deckte er diesen zu in der Form einer Todtenbahre. Und die Sänger riefen im Chore:
»Selig sind die Todten, die im Herrn sterben. Ruhen sollen sie von ihrem Leide und ihre Thaten werden mit ihnen eingehen in die ewigen Ewigkeiten!«
Das Opfer war vollbracht. Der Priester wandte sich ans Volk, breitete die Hände aus und sprach: »Der Herr sei mit Euch!« Dann segnete er die Gemeinde, nahm in seine Hut das heilige Geräthe und verlies den Altar. Die Gemeinde stimmte noch den Gesang an: »O, sei gegrüßt, Maria, Du lichter Morgenstern!« – Da gellte am Thor der Sacristei ein gräßlicher Schrei, zurücktaumelt der Priester, und hinstürzt er krachend auf die Stufen des Altars.
Alles springt auf; schrill abgerissen ist der Gesang. Mehrere huschen lautlos dem Ausgange zu. Andere eilen gegen den Altar und erheben ein Jammergeschrei, daß die Wände hallen. Sie drängen sich hin mit Schieben und Stoßen. Eines zwischen das Andere – und prallen zurück – mit verhaltenem Antlitze stöhnend zurück.
»Was um Jesu Willen, ist da geschehen?«
»Erschlagen!«
»Erschlagen! Erschlagen!«
»Das Blut rinnt zu unseren Füßen! Heiliger Gott!«
Hingestreckt vor dem Altar, an welchem noch die Opferkerzen brennen, liegt er. An den untersten Quadern zerschmettert das Haupt, das gespaltene, über die Stufen hingestreckt die Hand, welche krampfig den Kelch noch umklammert. Abgeworfen an der Pforte der Sacristei liegen Baret und Stola und aus dem engen Thore starrt Finsterniß.
»Wer!« riefen grelle Stimmen aus angstbeklommenen Gurgeln.
»Wer birgt sich drinnen da?« Sie drangen in die Sacristei.
Und