Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
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Gar besonders zu Muthe war es dem Bart vom Tärn. Er war nicht dabeigewesen, als sie unten gefangen und ausgelost wurden. Er hatte aber dabei sein wollen. Er sagte es am selben Tag zu seinem Weibe, das bei der Frau des Wahnfred im Stübchen saß und mit ihr plauderte, um sie, die Haus und Gatten verloren hatte, zu zerstreuen. –»Du,« sagte er, »ich gehe ins Trawies hinab.«
»Schon wieder,« versetzte sein Wein, »‘s ist ja heller Werktag heut’!«
»Sie kommen zusammen zum Rath, ‘s ist viel zu schaffen jetzt, in der Gemein’.«
Er setzte seinen breiten Hut aufs Haupt, er nahm seinen hagebuchenen Stock zur Hand und sagte: »Thut’s fleißig das Haus zusperren, ‘s ist unsicher jetzt.« Dann ging er.
Hinter dem Hause auf der Schafweide, auf einem Baumstock, der aus dem Schnee hervorging, saß der kleine Erlefried, Wahnfred’s Sohn. Er ließ die Füßchen baumeln über den Stock hinab, hielt die Händchen übereinandergeschlagen auf der Brust und blickte wie träumend über den Schnee hin. Der Kleine war nicht mehr fröhlich, wie er das sonst gewesen. Er hatte keine Beschäftigung und oft fragte er, weshalb er denn nicht mehr in die Schule gehen solle? Die Leute des Hofes hatten ihre Arbeit und verstanden nicht mit Kindern umzugehen. Seine Mutter saß in ihrem Stübchen und strickte und weinte still. So trieb er sich allein herum und dachte an den Vater. Daß etwas besonderes mit ihm geschehen sein mußte, das ging in ihm vor, aber wenn er fragen wollte nach ihm, mit dem er so oft fröhlich beschäftigt gewesen in der Werkstatt, der mit ihm gespielt hatte, der mit ihm allerlei Gespräche geführt hatte, der mit ihm so liebevoll gewesen war – wenn er nach ihm fragen wollte, da war sein Mund verschlossen. Er war plötzlich kein Kind mehr; es war, als bange ihm vor der Antwort.
So saß er nun auf dem Baumstocke; und der Bart vom Tärn, als er den Knaben so sitzen sah, allein und betrübt, mitten im trüben Winter, da erwachte in ihm ein tiefes Mitleid mit dem Kinde. –»Sie haben Dir den Vater genommen und lassen Dich allein. Du schauest mit Deinem guten Auge so still und sinnend hin über die Berge und über die Wälder von Trawies, Du ahnst es nicht, was Du, schuldloses Kind, Deiner Heimat für ein Opfer hast bringen müssen.«
Der Bart trat hin zum Knaben und rief: »Kleiner Spatz, was lugst denn?«
Erlefried sprang vom Baumstock berab und eilte auf seinen neuen Brotvater zu.
»Schau, Knäbel, auf diesen Stock wollen wir doch einmal einen anderen Heiligen stellen. Was ist’s kannst Du Schneemänner machen?«
Der Kleine nickte bejahend, er könne wohl, aber es freue ihn nicht.
»Ei geh!« rief der Bart in der Absicht, den Knaben aufzuheitern, »so ein Bursch’ da, und nicht freuen! Das wollt’ Eins sehen! Guck, wie sich der Schnee heute kneten läßt! Möcht’ ich doch wissen, ob ich’s selber kann. Bin ja auch einmal so Einer gewest, als wie Du, nur noch um viel herlebiger. Gerauft hab’ ich Dir mit den Buben, daß nur die Fetzen sind geflogen. Und sind keine so Buben zu Weg gewest, so hab ich mir selber etlich’ gemacht, aus Schnee Riesenkerle her, und Roß und Reiter, als wie die Türken. Und wie die ganz’ Reih’ ist fertig gewest über den Anger her, so bin ich wie der bös’ Feind über sie hingefahren und habe ihnen die Köpf abgehauten. – So, da steht gleich Einer.«
Unter solchem Geplauder hatte der Bart einen ansehlichen Schneemann auf dem Baumstock postiert. Das regte den Erlefried an und gleich daneben baute er ebenfalls einen auf. Dann machten sie ein Pferd und den Reiter drauf, und andere Figuren, eine größer als die andere, vornehm zu schauen. Besonderes Gewicht legte der Bart auf lange Nasen, aber dieses Effectmittel blieb bei dem Knaben ziemlich wirkungslos; Erlefried richtete sein Augenmerk auf breite Brust der Männer und hochgetragene Köpfe der Pferde, und besonders auf große Anzahl der gestalten. Er griff flink zu, eiferte sich immer mehr in die Arbeit hinein, und seine Wangen rötheten sich und seine Augen leuchteten.
Dem Bart erging es nicht anders. Anfangs nur aus Gutmüthigkeit in den kalten Schnee langen, hatte ihn nun die Knabenlust gepackt. Im Schimmer der weißen Gestalten versank ihm alles ernste und düstere Gebilde seines Lebens, die Kinderzeit war da, die lichte, die heitere; des Ritters Schneeschwert wie des Bischofs possirliche Spitzhaube erweckte in ihm etwas wie Jubelstimmung, der Schnee war nicht mehr kalt und des sonst so ernsthaften Bart Wangen rötheten sich, und seine Augen leuchteten.
Da rief plötzlich sein Weib vom Hofe her, ob das die Rathssitzung wäre zu Trawies?
Wahrhaftig – die Rathssitzung! Auf die hatte der Bart ganz närrischerweise vergessen. Nun ist es zu spät. Entweder die Leute sind zusammengekommen, dann kommt er just zum Auseinander gehen, oder sie sind nicht zusammengekommen, dann wird auch er sie heute nicht mehr zusammenbringen. Daher ist das Vernünftigste, er bleibt daheim, um mit dem Erlefried die Schneemänner zu köpfen.
Der Knabe arbeitete an einer neuen Gestalt. Abseits von dem Trosse der übrigen Figuren, fast am Randes des Waldes, stellte er sie auf. Er legte sie breiter an, als die übrigen, er preßte den Schnee so fest, als es ihm nur möglich war, zusammen, er baute sie so hoch, als er mit seinen Händen langen konnte. Er war ganz still dabei, aber emsig, und als der Bart in lustigem Spiele Miene machte, die Figuren über den Haufen zu werfen, stellte sich der Knabe schützend vor sein neues Werk und sagte in bittendem Tone: »Den nicht!«
Das Gesichtchen war so ernsthaft und die Bitte so innig, daß der Bart fragte: »Warum just Den nicht?«
Antwortete der Knabe: »Das ist mein Vater.«
So spielt das Geschick, das geheimnisvolle, als hätte es bisweilen launige Anwandlungen, sich dem Menschen freundlich, prophetisch zu nahen, während es ihn an einem anderen Ort oder zu einer anderen Stunde unerbittlich, planlos, seelenlos zermalmt.
Wir wissen, was an jenem Tage, da der Bart vom Tärn und der Knabe Erlefried – Wahnfred’s Sohn – auf freier Wintershöhe Schneemänner formten und zerstörten, zu Trawies geschehen ist. –
Wohl ganz anders ging’s auf dem Johannesberge, im Hause des Firnerhans zu.
Das Weib des Firnerhans, als es die Kunde von der unerhörten Gefangennehmung in der Kirche vernommen hatte, brach zuerst in Zornesausdrücke gegen ihren Mann aus. Warum lasse er Haus und Wirthschaft im Stich, warum mische er sich in Sachen, die ihn weiters nichts angingen! Ihr Erster – sie hatte das zweitemal gefreit – habe sich keinen Deut um auswärtige Händel gekümmert, sei hübsch daheimgeblieben beim Weib und ein wohlhabender Mann geworden. Was aber der Erste zusammengebracht, das hätte der Zweite wieder verthan. Freilich, den Ersten hätten die Leut’ nirgends gern dabei gehabt, den Zweiten hingegen hätten sie überall voranschieben mögen, wo Kästen (Kastanien) aus dem Feuer zu holen gewesen wären. Der Dritte werde ihm’s sicherlich nicht nachthun an der Gutheit – es sei ein Jammer! Und dann hub sie so bitterlich zu weinen an, als ob ein Erster niemals dagewesen, ein Dritter nimmer zu erwarten wäre.
Um Mitternacht kam der Osel heim. Er hatte sich unterwegs vielfach verweilt und Jedem, auf den er stieß, seinen schwarzen Kern gezeigt. Viele wußten es noch gar nicht, was das für ein verhängnisvolles Ding war, und schrieben die Freude, die der Osel daran bezeigte, dem Halbnarren zu.
Als er aber auch Roderich dem Stromer begegnete, der von Allem schon wußte, zog dieser sein heute gar seltsam spöttisches Gesicht zu einem ernsten und sagte: »Ja mein lieber Osel, das ist nicht so, daß Du mit diesem Küglein jetzt gleich heimgehen kannst. Bist bei den Zwölfen Du, und wirst geköpft.«
Der Osel nickte fröhlich