Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter  Rosegger

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ganz Anderes – gar nicht zu sagen, wie fürchterlich.«

      »Fasse Dich, Erlefried, dann sage mir, was geschehen ist.«

      »Es giebt keinen!« stößt der Knabe hervor, »keinen Gott.« Vor Entsetzen vergräbt er sein Gesicht in die Kleider des Weibes.

      Dieses richtet sich auf und sagt ruhig: »Du Närrchen, wer hat Dir denn gesagt, daß es so sein mag oder nicht so sein mag? Schau, das ist kindisches Gerede. Wer wird viel Ja oder Nein sagen zu einer Sach’, die von Ewigkeit zu Ewigkeit feststeht und nicht anders sein kann!«

      »Er ist? Er ist?« Fragte der Knabe freudig.

      »Du weißt es, Du lebst, Himmel und Erde ist sein Leib.«

      Und hierauf fing das Weib, theils um ihre Bangigkeit selbst zu zerstreuen, theils um den traurigen Knaben zu ermuntern, an, von Gott und Himmel zu erzählen und that’s nach ihrer Weise.

      »Im Himmel ist’s wie in der Kirche, nur noch tausendmal schöner. Die Lichter, die brennen, kannst nicht zählen, die Englein, die fliegen kannst nicht zählen. Voran, auf gold’nen Wolken sitzt die heilige Dreifaltigkeit, gleich neben ihnen unsere liebe Frau. Hernach kommen die Apostel und die Blutzeugen und alle heiligen; sie haben weiße Kleider an, Palmen in den Händen und singen den himmlischen Gesang und der heilige König David spielt dazu die Harfen. D’rauf kommen die Seligen; da sind auch Deine Großeltern darunter und die verstorbenen Bekannten. Sie sitzen in der Seligkeit und haben nasse Augen; Eins thut ihnen weh in ihrer ewigen Freud’ – daß sie uns noch in der Gefahr und im Leiden wissen. Jedes hat an seiner Seiten einen Platz leer und hat was d’rauf liegen, daß er ihnen nicht versessen wird. Das, mein Kind, sind die Plätze für ihre Lieben auf Erden. Jetzt, Erlefried, denke Dir eine Mutter, die sitzt dort und wartet auf ihr liebes Kind. Alle kommen nach und nach und setzen sich zu den Verwandten und Freunden, aber ihr Nebenplatz bleibt leer und ihr Kind will nicht kommen. Die Lebenszeit muß schon lange aus sein; Andere, die sich verirrt und verspätet haben, folgen auch noch und setzen sich, Rosen auf dem Haupt, zur heiligen Rast. Die Mutter steht auf, geht um wie ein Schatten und frägt jeden Ankömmling, ob er ihr Kind nicht hätte gesehen. Und Jeder schüttelt das Haupt. Jetzt wankt sie hin zum lieben Gott; er frägt, warum sie denn weint? Sie weiß sich keine Ruh’, will fort aus dem Himmel, will wieder auf die Erden und suchen, bis sie ihr Kind gefunden hat. – D’rum thu’ ich fortweg sagen: Sich selber und die Seinigen gerettet wissen vor dem Bösen, das ist die Seligkeit. Mein lieber Sohn! Wenn ich einmal nicht mehr bei Dir bin, denke d’ran und thu’ meiner nicht vergessen!«

      Erlefried wischte sich mit dem Rockärmel das Wasser von den Augen und dann sagte er zu seiner Mutter, wenn Gott nur auch fortan die Sterne leuchten lasse, so würde er den Weg zum Himmel wohl finden.

      Guter Knabe. Sterne leuchten viele, aber alle stehen nicht in den Höhen.

      Winter im Hochwalde. Das Blühen des klingenden Lenzes liebt der Urgermane, aber wohler fühlt er sich mitten im weiten, kräftigen Winter. Es ist eine stille, ernste, vom Himmel gefallene Welt – das kühle, starre, nordische Nifelheim. Die gedehnten Auen und Wiesen, so mannigfaltig durchzogen sonst von zarten Gewächsen, von Bächlein, Steigen und Steintrümmern, sind eins und gleich, darüber hin liegt der hohe Schnee in seinen sanften Wellungen. Und die knorrigen Arme der nordischen Bäume, der Tannen, Lärchen und Kiefern, die sich sonst weithin ausgestreckt hatten, wie zu Segen über das Erdreich, deren Triebe und Zweige alljährlich im jugendlichen Schwunge des Lenzes von Neuem himmelan strebten, um erhaben zu werden, wie die Wipfel ihrer Stämme, sie beugen sich nun tief unter Lasten. Anfangs spielte das Gezweige mit den zart und leicht wie Blütenstaub niederwehenden Flocken, und es freute sich, daß die fliegenden Einwanderer von oben sich auf ihr Genadel setzten, wie es sonst die Schmetterlinge gethan hatte, die weißen und die bunten, in sonnigen Tagen. Und sachte wiegten die Zweige ihre Gäste, zu denen, weil es ihnen auf lustiger Schaukel ja so gut ging, sich immer noch neue gesellten, sich allmählich fester ans Genadel klammernd ein weiches Nest bauten, sich bauend verbanden mit anderen Zweigen, sich sachte, anmuthig wie Kissen und schwer wie Sand hinlegten und das Astwerk, das starre, tief niederwärts drückten. Und so stehen die Bäume nun da, mit weißen Banden gefesselt, aber trotzig, wie die Söhne des nordischen Waldes in ihrer ganzen Stolzheit und thun, als ob sie den schweren Hermelinmantel freiwillig trügen auf ihren Schultern; er wärmt, das fühlen sie, ja doch die Glieder und verleiht ein ehrwürdiges Aussehen.

      Auf ein ehrwürdiges Aussehen halten sie was, die genadelten Stämme. Die genadelten sind es, während jene dort am Wiesenraine die geadelten heißen. Das ist der wamstige Ahornbaum und der weibisch glatte, flatterhafte Buchenstamm und die sich wie ein Pfauenrad bauschende Eiche, welche deutschen Boden allerwärts gepachtet zu haben glaubt. In die slavischen Wälder gehört sie hinein, wo sich der Bär und der Eber umtreibt. Zu den Schweinen der Pußten hinab – deutscher Erde Kind, der Alpen Felsenburg entstammend, sind wir die Tanne. Wohin die Esche dort am Angerrande zuständig sei, müßte sich erst weisen, über diesen Baum sagt man nicht gern, was man weiß, geht doch die Mär’ heute noch vom Welteschenbaum, und wie aus dem Moder des hohlen Stammes, Holzwürmern gleich, die Menschenbrut gekrochen sei. – Zur Sommerszeit allerdings, da geben sie es bunt, die geadelten mit dem geschlachten Holze, flattern mir grünem Gefieder, stecken ihre Büsche auf und im Herbst, wo es dem Walde geziemt, sich zu bereiten auf die heilige Wintersruh’, prangt der Laubbaum freventlich noch in schreiendem Roth und flunkert voll Übermuth mit Goldfarbenschein. Der Prahler! Aber das ist sein Letztes. Der erste Athemzug des Winters bläst die Herrlichkeit weg. Wie närrisch flattern und wirbeln die entheimten dürren Blättern auf dem Boden herum, bis der Schnee sie verhüllt! Und durch das armselige Gerippe dieser Edelbäume tanzen höhnisch die Flocken und wollen nichts zu thun haben mit den kahlen, knochigen Armen. Und sitzt wie ein müder Spatz auch einmal eine auf, sie fliegt doch bald wieder davon. Armsünderlich stehen sie, und da zeigt es sich, wie unbeholfen und fremd sie sind in deutschem Walde. Ja freilich, solchen Schluckern gegenüber thut sich die Tanne im weißen Hermelin auf ihr ehrwürdig Aussehen doppelt viel zugute! Obzwar es ihr noch besser stünde, wenn sie groß wäre und demüthig zugleich.

      Viele vom Sturme gebrochene Stämme liegen unter dem Schnee und strecken völlig gespensterhaft einzelne Äste heraus, so wie man sagt, daß manchmal aus dem Grabe der Erschlagenen eine drohende Hand wächst. Daneben steht der Strunk und hat eine Schneemütze über seine Splitter gedrückt. Dort wölbt sich ein rundes Hügelches, ein Küppelchen auf. Darunter ein Junges, ein kleiner Tannling, träumend die ferne Zeit, da mitten im Winter die jungen Tannlinge auferstehen werden aus dem Schnee, um kindlichen Augen und Herzen zur Lust in einer Flammenkrone zu strahlen. Denn eine Zeit wird sein dereinst in deutschen Landen, in welcher durch die Winternebel nieder die Sterne des Himmels gleiten, in welcher die Lichter, die von Bergen und aus Waldschluchten nächtig der Kirche zueilen, um des lieben Herrn Christi Geburt zu feiern, herbeiflimmern und sich versammeln werden – wie im Frühling die aus sonnigen Strichen kommende Vögleinschaar – um den grünen Wipfel, der im Heime des Menschen steht.

      Um die Quelle, die im Sommer lebendig sprudelte aus moosigem Gestein, haben die Flocken kunstvoll sinnig, wie Bienen Zellen bauen, ein Gewölbe gemauert, ein Brunnenhaus, unter welchem, von grüner Kresse noch umkränzt, kaum hörbar das Wässerlein murmelt.

      Und so legt sich das endlose Schneetuch hin über Auen und Wälder, und die Tannen stehen in ungezählten weißen, schwarzgesprenkelten Zacken und Spitzen empor, wie ein ungeheurer Dom der Gothen.

      In den Thälern ruht das Grau des Nebels, aber hehr über den Höhen leuchtet das weite Rund des Felsengebirges; nicht die Wände leuchten jetzt, sondern die Schneefelder, die sich heute noch an steilsten Hängen halten, morgen aber von Odin’s Athemzug gelöst donnernd in den Abgrund fahren.

      »Des Winters Leichentuch,« dieses Wort haben danklose und gedankenlose Menschen gemacht. Hätte es denn Keiner noch empfunden, wie erquickend, belebend, versöhnend und aufmunternd der Gang über eine Winterlandschaft

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