Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
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Der Osel bedeutete, das wisse er selber nicht. Hierauf fragte er gröhlend, wann geköpft würde?
»Morgen. Mußt aber früh auf sein, sonst kommst zu spat. Warten werden sie nicht auf Dich.«
Deß zeigte sich der Osel etwas nachdenklich und er ging seiner Wege. Um Mitternacht erst kam er zu Bette, ließ aber die Thür der Kammer offen, damit ihn früh der erste Lärm des Hauses wecke. Dann schlief er einen Schlaf, wir ihn noch selten ein Verurtheilter geschlafen hat.
Am Morgen war er mit dem Hahnenschrei wach. Eilig stand er auf und die Leute wunderten sich baß, daß der Osel schon so früh am Brunnentrog stehe und sich mit so großer Emsigkeit wasche.
»Der will in die Kirche gehen und für den Bauer beten, es ist doch ein guter Lapp.« So meinten sie.
Der Osel war ein Bursche von zwanzig Jahren, er sah aber jünger aus, und heute erstrahlte sein Gesicht, als wenn er zu einer Hochzeit ginge. Er zog sein Feiertagsgewand an mit dem kirschrothen Leibel und mit dem flammengelben Halstuch, das sich lässig um die Kröpfe wulstete. Sein falbes Haar, das sonst wie vertrocknetes Riedgras spröde in die Weiten zu stehen pflegte, war heute hübsch glatt über die Stirne herab gekraut bis zu den gelblichen Brauen und Wimpern, unter denen die Äuglein jetzt mit besonderem Glanze lugten. Aus dem Winterhausgärtlein, das zwischen den Fenstern war, pflückte er einen dorrenden Nelkenstamm, den steckte er auf seinen Hut, wie das sonst am Gottsleichnamstage in Gebrauch war. Dann ging er in die Stube und verzehrte seine Morgensuppe. Als er damit fertig war, stand er eine Weile an der Thür, als sinne er. Es schien ihm nicht recht einzuleuchten, wie es mit dem Abschiede zu halten sei, wenn man geköpft werde. Da er mit sich nicht ins Reine kam, so schlich er still davon.
Er ging den Berg herab gegen den Johannesbach. Über den Kofelwaldrücken flimmerte ihm die Spitze des Kirchthurms zu. Noch ehe er zur Trach hinauskam, sah er im Geäste der Tannen ein Eichhörnchen hüpfen. Da blieb er stehen und sperrte Mund und Augen auf und abseits vom Wege ging er im Schnee dann dem flüchtigen Thierchen nach und verlor sich in dem Wald. –
Im Thale hatte des Morgens mancher Schuß gehallt; gegen Mittag war es still geworden. Die Sonne hat sich allmählich verzogen und ein mattes Grau verhüllte den Himmel. Am Nachmittage verdichtete sich das Grau und die tiefen Schatten der Waldberge hoben sich scharf ab, bis langsam und mählich einzelne Flocken niedergetänzelt kamen.
Seit früh Morgens waren bewaffnete Landsknechte von Haus zu Haus gegangen, hatten die Truhen durchsucht nach gesponnenem Garn, hatten die Spulen genommen von den Spinnrädern und die Rocken von den Stäben. Dann hatten sie kund gemacht, daß sich die Leute am Nachmittage zu Trawies an der Dreiwand zu versammeln hätten. Die Dreiwand strebt etwa büchsenschußweit unterhalb der Kirche, wo der Rockenbach in die Trach sich ergießt, senkrecht aus dem Wasser auf. Der Fluß bildet dort einen tiefen, grünlich finsteren Tümpel und ist ganz still. Seithalb wuchert dichtes Getann und der Wald erfüllt zu aller Tageszeit die Schlucht mit Dämmerung. Nur in den Monaten der Sommersonnenwende ergießt sich zu Mittag ein paar Stunden der helle Sonnenschein in die Schlucht und verschleiert sie sanft mit blauem Äther.
Unterhalb der Dreiwand, welche an ihrer hohen Brüstung drei balconartige Abstufungen hat, führt über eine Brücke der Weg, der vom Trasankthale und vom Rockenberge kommt, und schlägt dann zur schmalen Straße, die diesseits des Wassers, der Felswand gegenüber von den Vorgegenden herein nach Trawies führt. So steht es heute noch, und so war es an jenem Tage, da an dieser Stelle das Schicksal von Trawies erfüllt worden ist.
Bald nach der Mittagsstunde begannen die Leute sich hier zu versammeln und am Wege und am hange, gegenüber der Wand aufzustellen. Da waren etliche Neugierige, die sich trotz aller Warnung und Gefahr nicht zurückhalten ließen, sondern wissen wollten, was die Dinge für einen Ausgang nehmen würden. Andere waren gekommen in der Absicht, die Gemüther aufzuregen, und wieder Andere in der Absicht, die Gemüther zu besänftigen. Vielleicht gab es noch etwas zu retten, vielleicht handelte es sich um einen Vergleich, vielleicht auch galt es, anderswie einen weiteren Schlag von der Gemeinde abzulenken. Landsknechte bewachten die Bewegungen der Versammelten.
Diese getrauten sich denn auch kein lautes Wort zu reden, flüsterten sich aber insgeheim umsomehr ordnungswidrige Dinge zu.
Die am Bergabhange standen, sahen die Kirche und die Brandstätte des Pfarrhofes.
Von dieser Brandstätte her bewegte sich jetzt unter dem unendlich traurig klingenden Geläute der Glocken ein Zug schwarzer Gestalten, von drei Fackeln begleitet. Dieser Zug umging von rückwärts den Felsen und erschien an der ersten Abstufung hoch über dem Wasser. Es waren die Priester und Richter. Die Fackeln, welche von drei Greisen getragen wurden, legten einen trübrothen Schein in die Schlucht – und die Schneeflocken zitterten nieder von der Düsternis des Himmels.
»Ich weiß nicht,« flüsterte Einer in der Versammlung, »daß es so grauenvoll ist!«
»Zum Herzabdrücken,« meinte ein Anderer, »nur die Schneeflocken thun mir wohl – ich weiß nicht warum.«
Schwere Stille herrschte in der Schlucht. Da trat aus den Männern auf der Felswand der Pater Dominicus vor; er hatte in der Hand einen langen, schwarzen Stab, der ein Kreuz trug. Er wendete sich gegen das Volk und sprach mit lauter Stimme:
»Höret, der Herr spricht durch seinen Propheten. Ich habe Euch groß gezogen. Ihr habet gefrevelt wider meinen heiligen Namen. Ihr seid verstockt und ohne Reue. Ihr seid der Baum, der stirbt, das Fleisch, das vermodert. Euer Same sei verflucht. Veröden wird Euer Land, das Feuer wird Eure Häuser verzehren. Auf dem Felde, das ihr begießet mit Schweiß, wird Unkraut wachsen und Gift, Pest und Feinde werden Euch bedrängen. Ihr werdet beten zu mir. Der Bruder wird den Bruder zerfleischen, der Wahnsinn wird brennen in Eurem Haupte, Ihr werdet beten zu mir. Aber hinwegstoßen will ich Euch vor dem Schemel meiner Füße, denn Ihr habet den Namen des Herrn verachtet und getödtet seinen Diener.«
»O je, nur eine Predigt!« zischelte Einer unter den Zuhörern.
Der Priester nahm nun eine Rolle zur Hand und sagte: »Im Namen des dreieinigen Gottes!« Dann begann er aus der Rolle zu lesen in lateinischer Sprache und ging über in folgende Worte, die er mit lauter, feierlicher Stimme sprach:
»Gemeinde von Trawies! Von dieser Stunde an bist Du verstoßen aus dem Frieden! Du bist treulos gewesen den Gesetzen der Kirche und des Kaisers. Du bist verstockt und ohne Reue. Du hast Deinen Priester gemordet. So sollst Du priesterlos sein. Den Altar Deines Gottes hast Du entweiht, so soll das Unkraut wachsen auf demselben und die Raben sollen krächzen in Deinem Tempel, und den Glocken auf dem Thurm sollen die Zungen ausgerissen sein. Magst Du die Kinder begießen mit dem Nasse des Regens, aber verwehrt sei dem Brautpaare der Segen der Ehe, dem Sterbenden die Gnade des Abendmahles, dem Todten die geweihte Erde. Wie Michael der Erzengel die hoffärtigen Geister hat vertrieben aus den Himmeln, so bist Du ausgestoßen, Gemeinde zu Trawies, vom heiligen Frieden des Reiches Gottes. Ehrlos bist Du und aller christlichen Gemeinschaft bar. Frei wolltest Du sein, frei bist Du, wie der Vogel in der Luft, wie der Wolf im Walde. Wer eines Deiner Mitglieder aufnimmt in sein Haus, der wird selber der Rechte verlustig; wer eines Deiner Mitglieder tödtet, der ist des Gerichtes frei. Umstrickt werden Deine Grenzen und von einem Flammenring umzogen sein. Anheimgegeben bist Du dem Fürsten der Finsternis, so lange Du in der Unbußfertigkeit verharrest.«
Er schwieg. Auch das Klingen der Glocken war verstummt. Die Zuhörer, anfangs spottlustig noch, waren während des Anathemas blaß geworden, Einer nach dem Anderen. Wohl Mancher aber war darunter, der knirschte mit den Zähnen und ballte die Faust im Sacke. Wie ein Standbild ragte dort auf dem Felsen die dunkle Gestalt des Priesters, von den drei Fackeln