Oliver Twist. Charles Dickens

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Oliver Twist - Charles Dickens Klassiker bei Null Papier

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ihm die Her­ren mit den ge­pu­der­ten Perücken mäch­tig im­po­nier­ten.

      »Der Jun­ge wünscht also Schorn­stein­fe­ger zu wer­den«, frag­te der alte Herr.

      »Ja, es ist sein Her­zens­wunsch«, er­klär­te Mr. Bum­ble. »Er wür­de be­stimmt mor­gen wie­der da­von­lau­fen, wenn wir ihn heu­te in ein andres Ge­schäft gä­ben.«

      Der Frie­dens­rich­ter wen­de­te sich an den Schorn­stein­fe­ger­meis­ter: »Und Sie ver­spre­chen, ihn gut zu be­han­deln, or­dent­lich zu näh­ren und zu klei­den usw. usw.«

      »Was i amal sag, dös halt i a«, er­wi­der­te Gam­field mür­risch.

      »Sie ha­ben eine et­was un­ge­schlif­fe­ne Re­de­wei­se, lie­ber Freund, schei­nen aber sonst ein ehr­li­cher gut­her­zi­ger Mann zu sein«, sag­te der alte Herr und rich­te­te sei­ne Bril­le auf den Schorn­stein­fe­ger­meis­ter, auf des­sen schur­ki­schem Ge­sicht die Bru­ta­li­tät deut­lich zu le­sen war. Der alte Herr war halb blind und schon ganz kin­disch, und man konn­te von ihm da­her nicht er­war­ten, dass er er­ken­ne, was an­de­ren auf den ers­ten Blick auf­fal­len muss­te.

      »Dös will i hof­fen, Herr von Vor­stand«, sag­te Gam­field grin­send.

      »Ich set­ze nicht den min­des­ten Zwei­fel in Ihre Wor­te, mein Freund«, er­wi­der­te der alte Herr, drück­te sich die Bril­le fes­ter auf die Nase und fahn­de­te nach dem Tin­ten­fass.

      Es war ein kri­ti­scher Au­gen­blick in Oli­vers Schick­sal: hät­te das Tin­ten­fass dort ge­stan­den, wo es der alte Herr ver­mu­te­te, so wür­de die­ser sei­ne Fe­der ein­ge­taucht und den Ver­trag un­ter­fer­tigt ha­ben, und Oli­ver wäre ein für al­le­mal »ver­sorgt« ge­we­sen. Da sich das Tin­ten­fass je­doch dicht vor der Nase des al­ten Herrn be­fand, über­sah es die­ser na­tür­lich, such­te über­all auf dem Pult her­um, ohne es zu fin­den, und da­bei fiel sein Blick auf das blei­che ver­stör­te Ge­sicht Oli­ver Twist’s, der trotz al­ler Er­mah­nun­gen und Püf­fe Mr. Bum­bles das Äu­ße­re sei­nes zu­künf­ti­gen Lehr­her­ren mit ei­nem aus Grau­en und Furcht ge­misch­ten Aus­druck be­trach­te­te.

      Der alte Herr hielt so­fort inne, leg­te die Fe­der aus der Hand und blick­te von Oli­ver zu Mr. Limbkins, der mit un­be­fan­ge­ner hei­te­rer Mie­ne eine Prie­se Schnupf­ta­bak zu neh­men ver­such­te.

      »Lie­bes Kind!« sag­te der alte Herr und lehn­te sich über das Pult. Oli­ver fuhr beim Klang sei­ner Stim­me zu­sam­men, denn die Wor­te wa­ren in so freund­li­chem Tone ge­spro­chen, dass sie ihn be­frem­den muss­ten. Er zit­ter­te hef­tig und brach in Trä­nen aus.

      »Aber Kind«, rief der alte Herr. »Du siehst ja ganz bleich und ver­stört aus? Was ist dir denn?«

      »Tre­ten Sie ein we­nig von ihm weg«, sag­te der an­de­re alte Herr, leg­te sein Schrift­stück aus der Hand und beug­te sich mit ei­nem Aus­druck tiefer Teil­nah­me vor.

      »Also, mein Kind, sag uns, was dir fehlt. Hab kei­ne Furcht.«

      Oli­ver fiel auf die Knie, er­hob sei­ne ge­fal­te­ten Hän­de und fleh­te schluch­zend, man möge ihn lie­ber wie­der in das dunkle Zim­mer zu­rück­brin­gen und ihn ver­hun­gern las­sen, ihn schla­gen, ihn tot­schla­gen, al­les, nur ihn nicht je­nem schreck­li­chen Mann über­ge­ben.

Bild: 043_Oliver_Twist_004.jpg

      »Ha«, rief Mr. Bum­ble, hob fei­er­lich die Hän­de em­por und blick­te zur De­cke auf. »Von al­len ver­stock­ten nie­der­träch­ti­gen Wai­sen­jun­gen, die mir je un­ter­ge­kom­men sind, ist die­ser der ver­wor­fens­te von al­len.«

      »Hal­ten Sie den Mund, Kirch­spiel­die­ner«, rief der zwei­te alte Herr, als Mr. Bum­ble in sei­ner Rede in­ne­hielt.

      »Ich bit­te Euer Gna­den um Ent­schul­di­gung«, stot­ter­te Bum­ble, der sei­nen Ohren nicht trau­te. »Ha­ben Euer Gna­den zu mir ge­spro­chen?«

      »Ja­wohl! Hal­ten Sie den Mund!«

      Mr. Bum­ble war sprach­los vor Ent­set­zen. Ei­nem Kirch­spiel­die­ner zu be­feh­len, den Mund zu hal­ten! Das hieß ja al­ler mensch­li­chen Moral ins Ge­sicht schla­gen!

      Der alte Herr mit der Schild­patt­bril­le blick­te sei­nen Kol­le­gen an und nick­te be­zeich­nend.

      »Wir ver­wei­gern, die­sen Kon­trakt zu be­stä­ti­gen«, sag­te er dann und schob das Pa­pier zur Sei­te.

      »Ich will doch nicht hof­fen«, stam­mel­te Mr. Limbkins, »ich will doch nicht hof­fen, dass der hohe Ge­richts­hof der Mei­nung ist, der löb­li­che Ar­beits­vor­stand kön­ne auf das Zeug­nis die­ses Kin­des hin ir­gend­ei­ner ta­delns­wer­ten Hand­lung be­zich­tigt wer­den?«

      »Ich sehe mich als Frie­dens­rich­ter nicht be­ru­fen, dar­über ir­gend­ei­ne Mei­nung ab­zu­ge­ben«, er­wi­der­te der alte Herr. »Neh­men Sie den Kna­ben wie­der mit heim und be­han­deln Sie ihn gut. Er scheint es sehr nö­tig zu ha­ben.«

      Am sel­ben Abend noch gab der Gent­le­man mit der wei­ßen Wes­te nicht nur die po­si­ti­ve Ver­si­che­rung ab, Oli­ver wür­de be­stimmt noch ein­mal an den Gal­gen kom­men, son­dern er füg­te so­gar die Pro­phe­zei­ung hin­zu, man wer­de ihn vor­her noch schin­den und vier­tei­len. Auch Mr. Bum­ble schüt­tel­te ge­heim­nis­voll den Kopf und äu­ßer­te den Wunsch, Oli­ver wer­de sich der­einst im Le­ben noch bes­sern, wäh­rend Mr. Gam­field be­dau­er­te, ihn nicht in sei­ne Klau­en be­kom­men zu ha­ben. Am nächs­ten Mor­gen wur­de aber­mals durch einen An­schlag­zet­tel kund­ge­ge­ben, dass Oli­ver Twist »zu ha­ben sei«, und dass je­der, der ihn neh­men wol­le, da­für fünf Pfund be­käme.

      1 Si­ne­ku­re (ver­kürzt zu la­tei­nisch sine cura ani­ma­rum »ohne Sor­ge für die See­len«, d. h. ohne Ver­pflich­tung zur Seel­sor­ge) be­zeich­net ein Amt, mit dem Ein­künf­te, aber kei­ne Amts­pflich­ten ver­bun­den sind. <<<

      Die Her­ren Vor­stän­de hat­ten Mr. Bum­ble be­auf­tragt, sich zu er­kun­di­gen, ob nicht viel­leicht ein Strom­schif­fer einen Lehr­jun­gen brau­che. Es war im All­ge­mei­nen üb­lich, Wai­sen­kin­der oder sol­che, die man gern los­wer­den woll­te, zur See zu schi­cken. Als der Kirch­spiel­die­ner zu­rück­kehr­te, traf er vor dem Tore zu­fäl­lig Mr. So­wer­ber­ry, den Lei­chen­be­stat­ter des Kirch­spiels. Mr. So­wer­ber­ry war ein großer ha­ge­rer kno­chi­ger Mann in ei­nem schwar­zen fa­den­schei­ni­gen An­zug, mit schä­bi­gen Baum­woll­st­rümp­fen glei­cher Far­be und dement­spre­chen­dem Schuh­zeug an­ge­tan. Schon von Na­tur aus tru­gen sei­ne Züge nicht ge­ra­de einen lä­cheln­den Aus­druck, aber zu­fäl­lig be­fand er sich heu­te in der hei­tern Lau­ne, die sein Ge­wer­be mit sich

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