wohl Verbrechen geboren werden. Bebend vor Wut, verfluchte ich da mein anständiges, ehrliches Elend, meine fruchtbare Mansarde, wo so viele Gedanken herangereift waren. Ich verlangte von Gott, dem Teufel, dem Staat, meinem Vater, dem ganzen Weltall Rechenschaft für mein Schicksal, für mein Unglück; ausgehungert ging ich zu Bett, lächerliche Flüche stammelnd, aber fest entschlossen, Fœdora zu verführen. Das Herz dieser Frau war ein letztes Lotterielos, das mein Glück entschied. Ich erlasse dir meine ersten Besuche bei Fœdora, um rasch zum Drama zu gelangen. Um das Herz dieser Frau zu erobern, versuchte ich zunächst, ihren Geist zu gewinnen, ihre Eitelkeit zu erregen. Um letztendlich geliebt zu werden, gab ich ihr tausend Gründe, sich selbst noch mehr zu lieben; niemals ließ ich sie in einem Zustand der Gleichgültigkeit. Die Frauen wollen Erregungen um jeden Preis. Ich verschaffte sie ihr in reichem Maße. Lieber hätte ich ihren Zorn erregt, als sie mir gegenüber teilnahmslos zu sehen. Erlangte ich anfangs, von dem festen Willen und dem Wunsche beseelt, ihre Liebe zu gewinnen, einen gewissen Einfluß auf sie, so steigerte sich meine Leidenschaft bald so sehr, daß ich nicht mehr Herr meiner selbst war, aufrichtig wurde, mich verlor und wahnsinnig verliebte. Ich weiß nicht genau, was wir in der Poesie oder im Gespräch ›Liebe‹ nennen; doch das Gefühl, das sich plötzlich in meiner Doppelnatur entfaltete, habe ich nirgends beschrieben gefunden, weder in den rhetorisch gedrechselten Phrasen von Jean-Jacques Rousseau, dessen Zimmer ich vielleicht bewohnte, noch in den kalten Schöpfungen der letzten beiden literarischen Jahrhunderte, noch in der Malerei Italiens. Allein die Ansicht des Bieler Sees, einige Motive Rossini, die Madonna von Murillo, die Marschall Soult besitzt, die Briefe der Lescombat, einige verstreute Worte in den Anekdotensammlungen, besonders aber die Gebete der Ekstatiker und manche Passagen in unseren Fabliaux haben mich in die himmlischen Regionen meiner ersten Liebe versetzen können. Nichts in der menschlichen Sprache, keine Wiedergabe des Gedankens mit Hilfe von Farben, Marmor, Worten oder Tönen trifft den Nerv, die Echtheit, die Vollkommenheit, die Plötzlichkeit dieses Gefühls in der Seele. Ja, wer Kunst sagt, sagt Lüge. Die Liebe durchläuft unendliche Verwandlungen, bevor sie sich unserem Leben beimischt und es für immer mit ihrer Flammenfarbe tönt. Das Geheimnis dieser unmerklichen Verschmelzung entgeht der Analyse des Künstlers. Die wahre Leidenschaft verrät sich durch Schreie, durch Seufzer, die einem kalten Menschen mißfallen. Man muß wahrhaft lieben, um beim Lesen der ›Clarissa Harlowe‹ nur halbwegs in das Brüllen des Lovelace einzustimmen. Die Liebe ist eine sprudelnde Quelle, aus ihrem Bett von Kresse, Blumen und Kieselstein herausströmend, wächst sie zum Fluß, zum Strom an, ändert mit jeder Welle ihre Natur und ihr Aussehen und ergießt sich in einen unermeßlichen Ozean, in dem unvollkommene Geister Einförmigkeit erblicken, große Seelen aber sich in nie endende Betrachtungen versenken. Wie sollte ich diese flüchtigen Farbentöne des Gefühls zu schildern wagen, diese Nichtigkeiten, die so bedeutsam sind, diese Worte, deren Tonfall die Schätze der Sprache ausschöpft, diese Blicke, die befruchtender sind als die reichsten Gedichte? In jeder dieser mystischen Szenen, durch die wir unmerklich für eine Frau entbrennen, öffnet sich ein Abgrund, der alle menschlichen Dichtungen verschlingt. Ach, wie könnten wir die lebendigen und geheimnisvollen Erschütterungen der Seele wiedergeben, wenn uns schon die Worte fehlen, um die sichtbaren Geheimnisse der Schönheit zu schildern. Welch bezaubernde Macht! Wie viele Stunden habe ich in einer unaussprechlichen Ekstase verbracht, einzig damit beschäftigt, ›sie‹ zu sehen! Glücklich, worüber? Ich weiß es nicht. Wenn in jenen Augenblicken ihr Gesicht ganz von Licht überströmt war, ging eine geheimnisvolle Erscheinung auf ihm vor und ließ es aufleuchten. Der feine Flaum, der ihre zarte Haut vergoldete, zeichnete sanft die Konturen ihres Gesichts mit jener Anmut, die wir an den fernen Linien des Horizonts bewundern, wenn sie sich in der Sonne verlieren. Es war, als ob das Tageslicht sie liebkoste, indem es mit ihr verschmolz, oder als ob von ihrem strahlenden Antlitz ein Leuchten ausginge, heller als das Licht selbst; dann flog ein Schatten über ihr schönes Angesicht, und im Wechselspiel der Farbtöne veränderte es seinen Ausdruck. Oft schien sich ein Gedanke auf ihrer Marmorstirn abzuzeichnen, ihr Auge sich zu röten, ihre Lider zuckten, ihre Züge bebten, von einem Lächeln bewegt; das beredte Korall ihre Lippen vertiefte sich, kräuselte sich, glättete sich; warme Reflexe fielen von ihren braunen Haaren auf ihre reinen Schläfen; aus jeder kleinsten Wandlung sprach sie zu mir. Jede Nuance ihrer Schönheit gewährte meinen Augen neue Feste, offenbarte meinem Herzen unbekannte Wonnen. In jedem Wechsel ihrer Züge wollte ich ein Gefühl, eine Hoffnung lesen. Diese stummen Zwiesprachen drangen von Seele zu Seele wie ein Ton in das Echo und spendeten mir eine Fülle flüchtiger Freuden, die tief in mir nachwirkten. Ihre Stimme versetzte mich in einen Sinnentaumel, den ich nur schwer bemeistern konnte. Ich hätte wie jener lothringische Prinz, dessen Name mir entfallen ist, eine glühende Kohle in meiner Hand nicht gefühlt, wenn ihre liebkosenden Finger durch mein Haar geglitten wären. Das war nicht mehr Bewunderung, Begehren, es war ein Zauber, ein Verhängnis. Oft, wenn ich wieder unter meinem Dache saß, schwebte Fœdora vor meinen Augen; ich teilte ihr Leben; wenn sie litt, litt auch ich, und ich sagte ihr am nächsten Tage: ›Sie haben Kummer gehabt!‹ – Wie oft erschien sie bei mir in der Stille der Nacht, von der Macht meiner Ekstase herbeigerufen. Manchmal schlug sie mir, wie der Schlag eines Blitzes, die Feder aus der Hand, verscheuchte Wissenschaft und Studium, die tief bekümmert entflohen; sie zwang mich, sie in der reizenden Pose, in der ich sie unlängst gesehen hatte, zu bewundern. Bald ging ich ihr in der Welt der Erscheinungen selbst entgegen, grüßte sie wie eine Hoffnung und flehte sie an, mich ihre Silberstimme hören zu lassen; dann erwachte ich weinend. Eines Tages, nachdem sie mir versprochen hatte, mit mir ins Theater zu gehen, weigerte sie sich plötzlich launisch, auszugehen, und bat mich, sie allein zu lassen. Verzweifelt über einen Widerspruch, der mich einen ganzen Arbeitstag und – soll ich es gestehen? – meinen letzten Taler gekostet hatte, begab ich mich dahin, wo auch sie hätte sein sollen, da ich das Stück sehen wollte, das sie zu sehen gewünscht hatte. Kaum hatte ich Platz genommen, als ich etwas wie einen elektrischen Schlag im Herzen fühlte. Eine Stimme sagte mir: Sie ist da! Ich drehte mich um, ich sehe die Comtesse im Hintergrund ihrer Parterreloge, im Schatten verborgen. Mein Blick zögerte nicht, meine Augen fanden sie sogleich mit ihrer fabelhaften Klarheit, meine Seele war ihrem Leben zugeflogen wie ein Insekt seiner Blume. Auf welche Weise hatten meine Sinne die Mitteilung empfangen? Sie rührt her von jenem inneren Erschauern, das oberflächliche Menschen überraschen mag; und doch sind diese Wirkungen unserer inneren Natur ebenso einfach wie die gewohnten Erscheinungen der äußeren Wahrnehmung; somit war ich nicht erstaunt, sondern ärgerlich. Meine Studien über die Macht unseres Geistes, über die man recht wenig weiß, dienten wenigstens dazu, mir in meiner Leidenschaft einige lebendige Beweise für mein System vor Augen zu führen. Diese Verbindung des Gelehrten mit dem Verliebten, einer wahrhaft abgöttischen mit einer wissenschaftlichen Liebe hatte etwas höchst Seltsames. Die Wissenschaft frohlockte oft, wenn der Liebende verzweifelte; und wenn er sich nahe dem Siege glaubte, jagte er frohen Herzens die Wissenschaft von dannen. Fœdora sah mich und wurde ernst, ich störte sie. In der ersten Pause ging ich zu ihr; sie war allein, ich blieb. Obwohl wir nie von Liebe gesprochen hatten, ahnte ich eine Erklärung. Ich hatte ihr mein Geheimnis noch nicht enthüllt, und doch herrschte zwischen uns eine Art Spannung; sie vertraute mir alle ihre Vergnügungspläne an und fragte mich am Abend mit einer gewissen freundschaftlichen Unruhe, ob ich am folgenden Tag kommen würde; sie befragte mich mit einem Blick, wenn sie etwas Geistreiches gesagt hatte, als ob sie ausschließlich mir hätte gefallen wollen; wenn ich schmollte, wurde sie zärtlich; wenn sie verärgert schien, hatte ich sozusagen das Recht, die Ursache zu erfragen; wenn ich ihr einen Fehler eingestand, ließ sie sich lange bitten, bis sie mir vergab. Diese Streitereien, an denen wir Gefallen fanden, waren voll Liebe. Sie entfaltete dabei so viel Anmut und Koketterie, und ich, ich fand so viel Glück darin! In diesem Augenblick war unsere Intimität vollständig aufgehoben, und wir saßen beieinander wie zwei Fremde. Die Comtesse war eisig; ich befürchtete ein nahendes Unglück. – »Sie werden mich begleiten«, sagte sie, als das Stück zu Ende war. Das Wetter war plötzlich umgeschlagen. Als wir ins Freie kamen, fiel ein mit Regen vermischter Schnee. Der Wagen Fœdoras konnte nicht bis an das Portal des Theaters fahren. Ein Dienstmann hielt sofort, als er die feine Dame sah, die genötigt war, den Boulevard zu überschreiten, einen Regenschirm über unsere Köpfe und verlangte, als wir eingestiegen waren, den Lohn für seinen Dienst. Ich hatte nichts; zehn Jahre meines Lebens hätte ich hingegeben, um zwei Sous zu haben. Alles, was den Mann ausmacht, all seine tausend Eitelkeiten, wurden von einem höllischen Schmerz in mir zermalmt. Die Worte: »Ich habe kein Geld, mein Lieber!« wurden in einem