Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band. Оноре де Бальзак

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Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band - Оноре де Бальзак

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kargen Summe mein Dasein so lange gefristet, wie ich mich meiner selbstauferlegten klösterlichen Disziplin fügen wollte … «

      »Unmöglich!« rief Émile.

      »Ich habe fast drei Jahre so gelebt«, versetzte Raphael mit einem gewissen Stolz. »Rechnen wir nach!« fuhr er fort. »Für drei Sous Brot, für zwei Sous Milch, für drei Sous Fleisch ließen mich nicht Hungers sterben und hielten meinen Geist in einem Zustand seltsamer Klarheit. Wie du weißt, habe ich beobachtet, daß die Diät einen wunderbaren Einfluß auf die Phantasie ausübt. Mein Zimmer kostete mich drei Sous täglich, nachts verbrannte ich für drei Sous Öl, ich räumte mein Zimmer selbst auf und trug Flanellhemden, um nicht mehr als zwei Sous pro Tag für Wäsche ausgeben zu müssen. Ich heizte mit Steinkohle und habe, wenn man die Ausgabe auf alle Tage des Jahres verteilt, nie mehr als zwei Sous täglich dafür ausgegeben. Ich besaß Kleider, Wäsche und Schuhe für drei Jahre und gedachte, mich nur ordentlich anzukleiden, wenn ich in eine öffentliche Vorlesung und in die Bibliotheken ging. Diese Ausgaben machten insgesamt nur 18 Sous, es blieben mir also für Unvorhergesehenes zwei Sous täglich. Ich erinnere mich nicht, während dieser ganzen langen Arbeitsperiode ein einziges Mal über den Pont-de-Arts gegangen zu sein oder mir Wasser gekauft zu haben. Ich holte es mir morgens vom Brunnen der Place-Saint-Michel, Ecke der Rue des Grès. Oh! ich trug meine Armut stolz. Wer eine schöne Zukunft vor sich sieht, schreitet in seinem Elend dahin wie ein Unschuldiger, der zum Galgen geführt wird, er schämt sich nicht. Krankheit hatte ich nicht einkalkulieren wollen. Wie für Aquilina hatte der Gedanke ans Spital für mich keinen Schrecken. Ich habe nicht einen Augenblick lang an meiner Gesundheit gezweifelt. Zudem darf ein Armer sich nur hinlegen, um zu sterben. Ich schnitt mir die Haare bis zu dem Augenblick selbst, wo ein Engel der Liebe und Güte … Doch ich will nicht vorgreifen. Nur eines sollst du wissen, lieber Freund, daß ich statt mit einer Geliebten mit einem großen Gedanken, einem Traum, einer Lüge zusammenlebte, an die wir alle mehr oder weniger zuerst glauben. Heute lache ich über mich, über dieses »Ich«, das vielleicht heilig und erhaben war und das jetzt nicht mehr existiert. Die Gesellschaft, die Welt, unsere Bräuche, unsere Sitten haben mir, als ich sie aus der Nähe sah, die Gefahren meiner unschuldigen Gläubigkeit und die Überflüssigkeit meines inbrünstigen Arbeitens enthüllt. All diese Vorkehrungen sind unnütz für den Ehrgeizigen. Wer dem Glück nachjagt, muß leichtes Gepäck haben! Hochbegabte Menschen begehen den Fehler, daß sie ihre jungen Jahre vergeuden, um sich für den Erfolg würdig zu machen. Während diese Ärmsten ihre Kraft und ihr Wissen aufspeichern, um mühelos die Bürde einer Macht tragen zu können, die sie flieht, sind die wortreichen und ideenarmen Intriganten pausenlos dabei, die Dummen zu übertölpeln und sich in das Vertrauen der Einfältigen einzuschleichen. Die einen studieren, die anderen marschieren, die einen sind bescheiden, die anderen sind unverfroren; das Genie unterdrückt seinen Stolz, der Intrigant pflanzt ihn auf und muß mit Notwendigkeit ans Ziel gelangen. Die Mächtigen haben den Glauben an das fertige Verdienst und das dreiste Talent so unbedingt nötig, daß es wahrhaft kindisch ist, wenn der wirkliche Gelehrte von den Menschen einen Lohn erwartet. Es liegt mir wahrhaft nichts daran, den Gemeinplätzen über die Tugend etwas hinzuzufügen, noch das uralte Lied, das die verkannten Genies immer gesungen haben, neu anzustimmen; ich will lediglich logisch den Grund suchen, warum mittelmäßige Menschen so häufig Erfolg haben. Mein Gott, das Studium ist eine so gute Mutter, daß es vielleicht ein Verbrechen ist, von ihm anderen Lohn zu erwarten als die reinen und sanften Freuden, mit denen es seine Kinder nährt. Ich entsinne mich, wie ich oft in heiterer Stimmung mein Brot in die Milch getaucht habe, an meinem Fenster die frische Luft atmete und meine Blicke über eine Landschaft von braunen, grauen und roten Dächern aus Schiefer oder aus Ziegeln, von gelben oder grünen Moosflecken bedeckt, schweifen ließ. Anfangs fand ich diese Aussicht einförmig, doch bald entdeckte ich allerlei seltsame Schönheiten. Am Abend belebten helle Lichtstreifen, die aus den schlecht geschlossenen Fensterläden fielen, die tiefen Schatten dieses merkwürdigen Reichs. Manchmal drangen von unten her die gelblichen Reflexe der Straßenlaternen durch den Nebel und zeichneten die Wellenlinien der dichtgedrängten Dächer schwach von den Straßen ab, so daß man ein Meer von unbeweglichen Wogen zu sehen meinte. Zuweilen tauchten vereinzelte Gestalten in dieser schweigsamen Einöde auf; zwischen den Blumen eines hängenden Gartens sah ich das hakennasige, eckige Profil einer alten Frau, die Kapuzinerkresse begoß, oder in dem Rahmen einer morschen Dachluke ein junges Mädchen, das sich bei der Toilette allein glaubte und von dem ich gerade nur die schöne Stirn und die langen Haare wahrnehmen konnte, die von einem hübschen weißen Arm hochgehoben wurden. In den Dachrinnen bewunderte ich eine vergängliche Vegetation, kümmerliche Pflänzchen, die ein Gewitter hinwegzuschwemmen pflegte. Ich studierte die Moose, die nach einem Regenschauer frisch ergrünten und sich in der Sonne zu einem trockenen braunen, eigentümlich schimmernden Samt verwandelten. Die flüchtigen reizvollen Effekte des Tageslichts, die melancholischen Stimmungen des Nebels, das plötzliche Hervorbrechen der Sonne, die Stille und die Wunder der Nacht, die Geheimnisse der Morgendämmerung, der Rauch aus den Kaminen, alle Erscheinungen dieser seltsamen Natur wurden mir vertraut und erfreuten mich. Ich liebte mein Gefängnis, war ich doch freiwillig dort. Diese Savannen von Paris, Dach an Dach gleichförmig zu einer Ebene gereiht, darunter Abgründe, in denen Menschen wimmelten, rührten mein Herz und harmonisierten mit meinen Gedanken. Wenn wir aus den himmlischen Höhen, wohin wissenschaftliche Meditationen uns getragen haben, herabsteigen, ist es quälend, sich unvermittelt wieder der Welt gegenüberzusehen. Damals habe ich die karge Schlichtheit der Klöster begreifen gelernt. Als ich fest entschlossen war, meinen neuen Lebensplan durchzuführen, suchte ich mir in den einsamsten Vierteln von Paris eine Unterkunft. Eines Abends, als ich von der Place de l'Estrapade kam, ging ich durch die Rue des Cordiers heim. An der Ecke der Rue de Cluny sah ich ein kleines Mädchen von ungefähr vierzehn Jahren mit einer Spielgefährtin Federball spielen, und das Lachen und der Mutwille der beiden amüsierte die Nachbarn. Es war schönes Wetter, der Abend war warm, es war im September. Die Frauen saßen vor den Türen und unterhielten sich wie in einer Provinzstadt am Feiertag. Ich betrachtete zuerst das junge Mädchen, dessen Gesicht einen wundervollen Ausdruck hatte und das in malerischer Haltung dastand. Es war eine reizende Szene. Ich suchte nach der Ursache dieser Traulichkeit inmitten von Paris und bemerkte, daß die Straße eine Sackgasse war und demnach kaum sehr belebt sein konnte. Da ich mich erinnerte, daß Jean-Jacques Rousseau in der Gegend gewohnt hatte, suchte ich das Hotel Saint-Quentin auf; sein verfallener Zustand ließ mich hoffen, dort ein billiges Quartier zu finden, und ich wollte mich darin umsehen. Als ich das niedrige Entrée betrat, sah ich die klassischen kupfernen Armleuchter, besteckt mit Kerzen, die sich methodisch über den Schlüsseln reihten, und ich war erstaunt, welche Sauberkeit in dem Raum herrschte, der in anderen Hotels gewöhnlich sehr schlecht gehalten zu sein pflegt, hier aber wie ein Genrebild anmutete; das blaue Bett, die Gerätschaften, die Möbel zeugten von einem konventionellen Schönheitssinn. Die Wirtin, eine Frau von ungefähr vierzig Jahren, aus deren Zügen Kummer sprach und deren Blick wie von Tränen getrübt war, erhob sich und kam auf mich zu. Ich nannte ihr bescheiden den Preis, den ich für die Miete zahlen konnte; sie schien darüber nicht verwundert, suchte aus all den Schlüsseln einen heraus, führte mich zu den Dachstuben und zeigte mir eine Kammer mit einem Ausblick auf die Dächer und die Höfe der Nachbarhäuser, aus deren Fenstern lange, mit Wäsche behangene Stangen ragten. Nichts konnte schrecklicher sein als diese Mansarde mit ihren schmutzigen gelben Wänden, die nach Elend roch und nur auf den armen Gelehrten zu warten schien. Das Dach senkte sich auf beiden Seiten gleichmäßig darüber, und die auseinanderklaffenden Ziegel ließen den Himmel hindurchsehen. Es war Platz für ein Bett, einen Tisch, einige Stühle, und unter dem spitzen Winkel des Daches konnte ich mein Klavier unterbringen. Da die arme Frau nicht reich genug war, diesen Käfig, den die Bleikammern von Venedig wohl kaum übertrafen, einzurichten, hatte sie ihn bisher nie vermieten können. Ich hatte vom Verkauf der Möbel die Gegenstände ausgeschlossen, die zu meinem persönlichen Bedarf gehörten, und so wurde ich mit meiner Wirtin bald handelseinig und zog am Tag darauf bei ihr ein. Ich lebte in diesem Mansardengrab nahezu drei Jahre, arbeitete unablässig Tag und Nacht und mit so viel Freude, daß das Studium mir als die schönste Aufgabe, die glücklichste Lösung des menschlichen Lebens erschien. Die Ruhe und das Schweigen, die der Gelehrte braucht, haben etwas unaussprechlich Sanftes und Berauschendes wie die Liebe. Die angespannte Arbeit der Gedanken, die Suche nach Ideen, die ruhigen Betrachtungen der Wissenschaft spenden uns unsägliche Wonnen, die man so wenig schildern

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