Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe Gesammelte Werke bei Null Papier

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die Fol­gen blie­ben die­sel­ben. Schon war die Mu­sik mit­ten im leb­haf­ten Takt ab­ge­bro­chen. Die Paa­re der Tan­zen­den lös­ten sich von­ein­an­der, in der Tür ent­stand eine wo­gen­de Be­we­gung kämp­fen­der Män­ner. Weib­li­ches Ge­schrill misch­te sich schon dar­ein, und eine Schop­pen­fla­sche, die von ei­ner eif­ri­gen aber un­be­dach­ten Hand aus ei­nem Win­kel des Saa­l­es ge­gen den un­be­kann­ten hä­mi­schen An­grei­fer – ge­gen die Tür ge­schleu­dert wur­de und auf dem Rücken des ge­gen eben die­se Tür wü­tend vor­ge­sprun­ge­nen Bräu­ti­gams zer­split­ter­te, brach­te die Auf­re­gung der Ge­mü­ter zum gi­schends­ten Über­spru­deln.

      Wer auch der Tä­ter ge­we­sen sein moch­te, der den Krug ent­sen­det hat­te, der Schleu­de­rer der Fla­sche hat­te sei­nen Wurf un­ter der Bei­hil­fe des Dä­mo­ni­ums deut­scher Bau­ern­hoch­zei­ten doch noch bes­ser und wir­kungs­vol­ler ge­tan. Mit al­ler Un­ter­schei­dungs­fä­hig­keit zwi­schen Freund und Feind war es aus und zu Ende im Och­sen zu Ho­hen­stau­fen! Schon hat­te der Hoch­zei­ter in der Pfor­te des Saa­l­es zwei Köp­fe sei­ner ei­ge­nen Hoch­zeits­leu­te in be­sin­nungs­lo­ser Wut ge­fasst und die­sel­bi­gen ge­gen­ein­an­der ge­sto­ßen. Die Ge­gen­par­tei aus dem Lamm hat­te wahr­lich nur we­nig von ih­rem ei­ge­nen Hass und Gei­fer in die Flam­men zu sprit­zen; – die Fa­ckel der Eu­me­ni­den lo­der­te und leck­te auch schon ohne das mit schwef­lich­ten Zun­gen über das Fest hin. Über­all – über und un­ter den Ti­schen, im Saa­le und vor dem Saa­le, auf der Trep­pe und vor dem Hau­se ent­brann­te der Streit, tob­te die Schlacht, – war man sich in die Haa­re ge­fal­len; und Sir Hugh Slid­de­ry in der Mit­te der Stru­del und Wir­bel fand sich plötz­lich zu sei­nem aller­größ­ten Er­stau­nen drin­gendst in al­len Fa­sern sei­nes We­sens auf­ge­for­dert, mit Auf­bie­tung al­ler sei­ner Kräf­te für die Er­hal­tung sei­nes Da­seins zu kämp­fen. Ohne im ge­rings­ten zu wis­sen, wie es ei­gent­lich zu­ging, be­kam er die volls­te Ge­le­gen­heit, im Dorf Ho­hen­stau­fen al­les bei In­ker­man Ver­ab­säum­te nach­zu­ho­len und das Ge­fühl, den Ba­thor­den ver­dient zu ha­ben, in Ab­wehr und An­griff sich glor­reich zu er­obern. Glor­reich! denn er kämpf­te un­ter Hin­der­nis­sen. An sei­nen gel­ben Rock­schö­ßen hing der schwar­ze Küs­ter des Dor­fes und such­te sich sei­ner als ei­ner Schutz­wehr ge­gen die wild flie­gen­den Wurf­ge­schos­se al­ler Art, ge­gen die un­ver­nünf­ti­ge Rück­sichts­lo­sig­keit der Stuhl­bei­ne, ge­gen Faust­schlä­ge und ge­gen Fuß­trit­te zu be­die­nen. Schon misch­te sich Wim­mern und kläg­li­ches Weh­ge­heul in den Lärm der Schlacht, gel­len­der schall­te das Ze­tern des schö­nen, auch an­de­ren Ge­schlech­tes durch die stil­le Som­mer­nacht, und – am stil­len Fens­ter des lee­ren, öden Tanz­saa­l­es im Lamm sprach Chri­stoph Pech­lin aus Wal­den­buch im Schön­buch mit ei­nem ver­ständ­nis­vol­len Bli­cke auf das dun­kel­schö­ne Fir­ma­ment zu dem mit ihm lau­schen­den Rei­se­ge­nos­sen:

      »Hab’ ich nicht recht ge­habt? Gelt, hab’ ich nicht recht ge­habt? Hörst du – die Geisch­ter sind los; jetzt wird es wie­der eine Lust, zu le­ben! Ich mei­ne, Fer­di­n­an­do, dass auch un­se­re Stun­de ge­kom­men sei, und schla­ge vor, dass auch wir jetzt, und zwar ohne jeg­li­ches wei­te­re Zö­gern – noch auf einen Au­gen­blick – in den Och­sen ge­hen.«

      »Ich nicht!« rief der säch­si­sche Baron, mit den aus­ge­spro­chens­ten Zei­chen des Haut- und See­len­schau­derns vor der Vor­stel­lung vom Fens­ter zu­rück­fah­rend. »Pechle, du wirst doch nicht?! Chri­stoph, ich be­schwö­re dich, – sei Vir­gil, so­viel du willst – ich bin dir bis jetzt durch alle Krei­se der Höl­le ge­folgt; aber so tief stei­ge ich nicht mit hin­un­ter! Gro­ßer Gott, höre sie doch nur! Chri­stoph, Chri­stoph, sie schla­gen dich eben­so tot, wie sie sich sel­ber tot schla­gen; – nach­her brin­gen sie uns dei­ne Lei­che, und dann ver­set­ze dich in die Lage der Da­men und in mei­ne Lage. Be­den­ke, dass ich dann die Ver­pflich­tung habe, dich nach Stutt­gart zu­rück­zu­schaf­fen, und sage dir sel­ber, was mei­ne Frau un­ter sol­chen Um­stän­den sa­gen wür­de! Liebs­ter, Bes­ter, ich bin Ju­rist und habe mehr als ei­ner Sek­ti­on bei­woh­nen müs­sen als Pro­to­koll­füh­rer; blei­be bei mir, denn ich habe die volls­te Ge­wiss­heit, dass ich dich nur als Sek­ti­ons­ob­jekt wie­der­se­hen wer­de, wenn du gehst!«

      »O nei!« sag­te Pechle ge­müt­lich. »Weischt, i bin a Lan­des­ei’­ge­bor­ner und weiß mein Teil auf mich zu neh­me und den Über­schuss wei­ter zu gebe. Da sor­ge dich nicht, Sechser­le! Geh du nur ru­hig mit mir; ich hal­te es auch für dich als das Bes­te, dass du mit mir gehst. Willst du?«

      »Un­ter kei­ner Be­din­gung!«

      »Gut, dann gehe ich al­lein und über­las­se es dir, hier die Hon­neurs zu ma­chen. Du hast doch in Tü­bin­gen stu­diert und weißt, dass eine Schlacht, die im Och­sen be­ginnt, ge­wöhn­lich im Lamm – oder um­ge­kehrt – zu Ende ge­führt wird. B’hüt di Gott, al­ter Kna­be und halt di gut –«

      Er vollen­de­te nicht; denn es hat­te in der Tat den An­schein, als ob er nicht nur voll­kom­men recht habe, son­dern es auch so­gleich be­kom­men sol­le. Der Kampf hat­te sich un­be­dingt be­reits auf die Dorf­gas­se hin­aus­ge­wälzt, in der­sel­ben selbst­ver­ständ­lich im­mer grö­ße­re Di­men­sio­nen an­ge­nom­men und schwoll be­droh­lich ge­gen das Wirts­haus zum Lamm her­an. Wie der Küs­ter von Ho­hen­stau­fen am Rock­schoss des eng­li­schen Baro­nets Sir Hugh Slid­de­ry, so hing der deut­sche Baron Fer­di­nand von Ripp­gen an den Schö­ßen Chri­stoph Pech­lins, als ein blond­haa­ri­ges Schwa­ben­mäd­chen das lie­be freund­li­che Ge­sicht­le in die Tür steck­te und rief:

      »Sie! ihr Her­ra! – de bei­de Fraue drun­te möch­te de Her­re bei sich habe – den mit dem klei­ne Bärt­le: den an­de­re net! De di­cke Frau secht, ihr Ma möcht auf d’r Sch­tell zu ’r kom­ma, und d’ Dür­re liggt in Krämpf.«

      Miss Chri­sta­bel Ed­dish lag in Krämp­fen, und hof­fent­lich wird die Welt, der die­se Mit­tei­lung ge­macht wer­den muss­te, nicht we­ni­ger er­schüt­tert un­ter dem Ein­dru­cke die­ser Nach­richt ste­hen, als die bei­den Her­ren im lee­ren Tanz­saal des Wirts­hau­ses zum Lamm in Ho­hen­stau­fen dar­un­ter stan­den.

      Der Baron stieß auf die merk­wür­dig ru­hi­ge Mel­dung der jun­gen Dorf­maid nur einen dump­fen un­ver­ständ­li­chen Laut her­vor; Chri­stoph Pech­lin fass­te sich schnel­ler und wuss­te sich ver­ständ­li­cher zu äu­ßern.

      Es freut einen im­mer, wenn man recht be­hält, vor­züg­lich wenn man sich recht weit­läu­fig und aus­führ­lich nach ir­gend­ei­ner be­lie­bi­gen Rich­tung hin pro­phe­tisch ah­nungs­voll bloß­ge­ge­ben hat. Es kann ei­nem un­ter Um­stän­den so­gar ein sehr schwe­rer Stein durch sol­ches Recht­be­kom­men vom Her­zen ge­nom­men wer­den; denn wahr­lich, nicht je­der ist zu je­dem ihm be­lie­bi­gen Zeit­punk­te Va­tes – ein Se­her und Pro­phet. Pechles Vor­her­sa­gung er­füll­te sich im volls­ten Maße: die Baro­nin rief be­reits nach ih­rem Gat­ten, und der Au­gen­blick, in wel­chem auch Miss Chri­sta­bel nach Hil­fe ru­fen muss­te, war nahe.

      Vo­rerst tat der Ex­stift­ler auf die Mel­dung der blon­den Kell­ne­rin hin drei wei­te

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