Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe Gesammelte Werke bei Null Papier

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Jüng­ling mit dem Kör­per­teil, auf wel­chen die Stie­fel in sol­chem Durchein­an­der zu tref­fen pfle­gen, sich weich ne­ben ihm nie­der­ge­las­sen! Schon war auch er, der stil­le Beo­b­ach­ter, nur mit ge­nau­er Not ei­nem Stein­wur­fe ent­gan­gen, der auch ihn, wenn er ge­trof­fen hät­te, un­be­dingt be­wo­gen ha­ben wür­de, sei­ne auf­rech­te Stel­lung im Le­ben, in der Phi­lo­so­phie, der Äs­the­tik, Li­te­ra­tur und Po­li­tik für im­mer mit der ent­ge­gen­ge­setz­ten Lage zu ver­tau­schen! Schon… doch was schon?! Ei­nem da­her­flie­gen­den Knüt­tel durch einen zwei­ten Sei­ten­sprung aus­wei­chend, gab Pechle jauch­zend und ju­bi­lie­ren­den Her­zens, wie Mo­ses auf dem Ber­ge in der Schlacht ge­gen die Ama­le­ki­ter, dem Hand­ge­men­ge sei­nen Se­gen, als plötz­lich sei­ne gan­ze Auf­merk­sam­keit al­len flie­gen­den Ge­schos­sen zum Trotz durch eine höchst au­ßer­ge­wöhn­li­che Er­schei­nung ge­fes­selt wur­de. Eine hell in der Dun­kel­heit leuch­ten­de Fi­gur tauch­te zap­pelnd in­mit­ten des Ge­wüh­les auf, schlug um sich wie die an­de­ren Schat­ten­tän­zer, ver­schwand im Hau­fen und er­schi­en von neu­em, län­ger und zap­peln­der.

      »Was ist denn des?« frag­te der Ex­stift­ler un­ent­wegt aber er­staunt. »Herr­gottssa­kra­ment, wo­her stammt denn die­ses Phä­no­men?« und in dem näm­li­chen Mo­ment schon er­hielt er die bün­digs­te Ant­wort auf sei­ne Fra­gen.

      Von der Wucht und Ge­walt ver­schie­de­ner kräf­ti­ger, auf den um­lie­gen­den nahr­haf­ten Ge­fil­den er­stark­ter Arme und Fäus­te ge­schleu­dert, tau­mel­te mit ei­nem Male ein vom Kop­fe bis zu den Fü­ßen in ein gelb­li­ches Som­mer­ko­stüm ge­klei­de­tes lang­bei­ni­ges We­sen ge­gen sei­nen er­höh­ten Stand­punkt her­an. Es schoss – fuhr her­an, streck­te im Fal­len zwei lan­ge Arme aus, er­fass­te in der höchs­ten Not ei­nes der bei­den Bei­ne des wa­cke­ren Ex-Tü­bin­gers, krall­te sich ein, hielt sich noch einen kur­z­en Au­gen­blick schwan­kend im Gleich­ge­wicht und setz­te sich dann doch, gleich den zwei an­de­ren eben Nie­der­ge­streck­ten, setz­te sich mit Nach­druck und ächz­te:

      »Damn! Don­när! Wet­tär! A-uh! Par­don, mon­sieur!… Ver­zeih Sie, mein Herr; aber es gouing nicht an­ders.«

      »Bit­te sehr! bin voll­kom­men über­zeugt! Wol­len Sie nicht Platz be­hal­ten? Nein? nun dann er­lau­ben Sie mir –« und Pechle war seit ge­rau­mer Zeit ge­gen kei­nen Men­schen so höf­lich und zur Hil­fe be­reit ge­we­sen, wie in die­sem Au­gen­blick ge­gen den Ka­pi­tän Sir Hugh Slid­de­ry. Er griff ihm mo­ra­lisch und phy­sisch un­ter die Arme, er stell­te ihn wie­der fest auf die Füße, er rück­te so­gar ein we­nig zu auf sei­nem Beo­b­ach­tungs­hü­gel und über­ließ ihm den höchs­ten Punkt des­sel­ben, und dann erst sprach er im ge­wähl­ten Buch­deutsch wei­ter:

      »Sie sind hier fremd, mein Herr? Bit­te, wir ha­ben bei­de aus­rei­chend Platz – ich freue mich sehr! Ma­chen Sie kei­ne Um­stän­de – das kennt man bei uns zu Lan­de nicht. Sie sind ein Eng­län­der! Yes? Nun – wie ge­fällt es Ih­nen denn bei uns in Schwa­ben?«

      Dass die Rei­he der Fra­gen und sons­ti­gen Höf­lich­keits­be­zeu­gun­gen der­ge­stalt in eine Schluss­fra­ge aus­lau­fen wür­de, war vor­aus­zu­se­hen; aber selt­sa­mer­wei­se schi­en der Ka­pi­tän das durch­aus nicht vor­aus­ge­se­hen zu ha­ben.

      Kurz at­mend, alle Tei­le sei­nes lan­gen Lei­bes, die er mit den Hand­flä­chen er­rei­chen konn­te, seuf­zend rei­bend, starr­te Sir Hugh den höf­li­chen barm­her­zi­gen Bru­der auf dem ho­hen­stau­fen­schen Dün­ger­hau­fen, einen lan­gen Au­gen­blick hin­durch, so­weit die Nacht es er­lau­ben woll­te, an und er­wi­der­te erst dann lang­sam, zö­gernd und sehr ge­dehnt:

      »Oh, Sir, serr guot, Sir! Sir – aus­–­ge–­seich­net, Sir!«

      »Se­hen Sie, das freut mich wahr­haf­tig! Nicht wahr, es ist sehr nett bei uns? Wis­sen Sie, das nennt man doch a Mal, his­to­ri­schen Bo­den be­tre­ten! was?«

      »Oh very his­to­ri­cal – ser ’is­to­risch! aber sie ha­ben aouch mir be­tre­ten! sie ha­ben ge­tre­ten auf mir, sie –«

      »Das tut nichts! das geht drein, Herr; und jetzt er­lau­ben Sie mir, dass ich mich Ih­nen zu nä­he­rer Be­kannt­schaft vor­stel­le: mein Name ist Pech­lin – Dok­tor der Phi­lo­so­phie, Chri­stoph Pech­lin aus Wal­den­buch! und nun – mit wem habe ich mei­ner­seits die Ehre?«

      »Cap­tain Sli­d–­de–ry! Sir Hugh Slid­de­ry aus – oh by God aus Eng­lan­d« keuch­te der neue Be­kann­te un­se­res Freun­des. »Blau­ges­la­gen! Yel­low und grün­ges­la­gen – oh damn that be­ast­ly mob!« win­sel­te er, die Zäh­ne auf­ein­an­der­set­zend, das lin­ke, von ei­nem ho­hen­stau­fen­schen drei­bei­ni­gen Sche­mel ge­trof­fe­ne Knie in die Höhe zie­hend und das blut­rüns­ti­ge Schien­bein mit bei­den Hän­den um­fas­send.

      »Ma­chen Sie sich nichts dar­aus, ich ma­che mir auch nichts dar­aus«, sprach Pechle freund­lich trös­tend. »Se­hen Sie, mor­gen früh wird es Ih­nen dar­um nur de­sto lie­ber sein, dass Sie heut Abend mit da­bei wa­ren. Hof­fent­lich ha­ben Sie nichts um­sonst hin­ge­nom­men! Nicht wahr, Sie ha­ben mit klin­gen­der Mün­ze für je­des ge­nos­se­ne Ver­gnü­gen be­zahlt?«

      »Uih, duas hab ich!« krächz­te der Eng­län­der. »Ich hab ge­tan das Mei­ni­ge; ua­ber, Sir, es war kei­ne Uord­nung in das af­faire: kein Plan, Sir. Es war not a pit­ched batt­le, und ich bitt Sie, mein Herr, uo soll sein das Uord­nung in das ba­tail­le, ou­enn nie­mand ou­eiß, uo­für er kriegt die Släg?!«

      »Yes!« sag­te Pechle in voll­stän­di­ger Er­man­ge­lung ei­ner an­de­ren Ant­wort und kratz­te sich ein we­nig hin­ter den Ohren. Aber wäh­rend al­le­dem tos­te das Ge­fecht rund um sie her ru­hig wei­ter, und au­gen­blick­lich schi­en die Par­tei des Lamms, die Läm­mer­par­tei, ver­stärkt durch fri­schen Zu­zug, den Och­sen­leu­ten die Ober­hand ab­zu­ge­win­nen; je­den­falls stand die Schlacht und wog Zeus, der Re­gie­rer der Göt­ter und der Men­schen, zwei­felnd die Lose auf sei­ner Wage.

      »Hal­ten Sie sich nur ganz ru­hig an mir, Herr Haupt­mann!« rief Pech­lin. »Ohne Um­stän­de – hal­ten Sie fest. Hier sind wir ver­hält­nis­mä­ßig si­cher und brau­chen uns nur ein we­nig vor den Wurf­ge­schos­sen in acht zu neh­men. Was das üb­ri­ge an­be­trifft, so habe ich auch gute Freun­de auf bei­den Sei­ten und rufe im Not­fall Qu­os ego!«

      Ein aus ei­ner He­cke ge­ris­se­ner Zaun­pfahl streif­te ihm un­ter dem letz­ten Wort die Stirn und schlug ihm wei­ter schwir­rend den Hut vom Kop­fe. Der Ex­stift­ler bück­te sich ge­müt­lich nach sei­ner Haupt­be­de­ckung, drück­te sie noch fes­ter auf den Schä­del und sag­te:

      »Hab’ ich es nicht ge­sagt? Se­hen Sie, wir ste­hen auf der Höhe der Si­tua­ti­on und kön­nen von hier aus ganz ge­müt­lich den wei­te­ren Ver­lauf der Din­ge ab­war­ten. Wis­sen Sie, bei uns nennt man das auch Po­li­tik und bil­det sich nichts Ge­rin­ges dar­auf ein.«

      »Wuas ist sehr be­leh­rend, Sir«, sag­te der Ka­pi­tän,

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