Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe Gesammelte Werke bei Null Papier

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Ein dunkles Ge­wühl auf­ge­reg­ten Vol­kes be­deck­te den frei­en Platz vor dem Hau­se; das Ge­tö­se in­ner­halb und au­ßer­halb des Hau­ses war sinn­ver­wir­rend, und zwar nicht al­lein für die hal­b­ohn­mäch­ti­gen Da­men in der Ho­no­ra­tio­ren­stu­be: die Zeit und die Ge­le­gen­heit, eine Rede zu hal­ten, wa­ren da, und Pechle – Herr Chri­stoph Pech­lin aus Wal­den­buch im Schön­buch war eben­falls da.

      Er hat­te den eng­li­schen Baro­net sich nach die Vor­trep­pe des Lam­mes hin­auf­ge­schleift, und da stand er, um­drängt von den An­hän­gern des Lamms, und Sir Hugh Slid­de­ry hielt sich an ihm, wie der deut­sche Baron be­reits ei­ni­ge Male sich an ihm ge­hal­ten hat­te.

      Im vol­len Be­ha­gen, bei bes­ter Lau­ne, ganz und gar nicht tot­ge­prü­gelt, son­dern voll­kom­men le­ben­dig und bei gu­ten Kräf­ten schlug er bei­de Hän­de schüt­ternd auf die Brüs­tung der Trep­pe, lehn­te sich breit­brüs­tig vorn­über und don­ner­te aber­mals, sämt­li­che Re­gis­ter sei­ner Red­ner­be­fä­hi­gung zie­hend:

      »Hol­la! Him­mel­don­ner­wet­ter! Mei­ne Her­ren, i hab’s scho g’­sagt, i bitt ums Wort.«

      Und wie Zeus, der Va­ter der Göt­ter und der Men­schen, es, das heißt das Wort, je­des Mal in der Ver­samm­lung der Uns­terb­li­chen be­kam, wenn er es ernst­lich ver­lang­te, so er­hielt es jet­zo auch un­ser Freund Chri­stoph Pech­lin. Der Kon­trast zwi­schen der ur­plötz­lich ein­tre­ten­den Stil­le und dem vor­her­ge­hen­den Lärm war so groß, dass es in der Tat schi­en, als ob nicht bloß die Be­völ­ke­rung von Ho­hen­stau­fen und der Um­ge­gend, son­dern als ob Him­mel und Erde den Mund schlös­sen und den Atem an­hiel­ten, um zu hö­ren und zu er­fah­ren, was die­ser Mann da auf der Trep­pe zu sa­gen habe.

      Er hat­te im Grun­de we­nig zu sa­gen; al­lein er sag­te die­ses We­ni­ge mit dem ge­hö­ri­gen Nach­druck, wur­de je­der­mann ver­ständ­lich und sprach der Mehr­heit aus der See­le. Letz­te­res war die Haupt­sa­che, und ist die Haupt­sa­che für je­den Volks­red­ner, der nicht um­sonst sei­nen Atem ver­geu­den will.

      Von der Trep­pe des Lam­mes zu Ho­hen­stau­fen don­ner­te Pechle her­ab:

      »Ihr Her­re! Die mi ken­ne, die ken­ne i au, und die mi net ken­ne, die kenn i; also bitt i um a ge­fäl­li­ges G’hör, und nach­her mag jed­we­der tun und las­se, was er will. Aber das sag i, was i denk, und hab’s im­mer so g’hal­te: wann i ge­meint hab, ’s ischt g’­nug, so ischt’s ge­wöhn­lich g’­nug ge­we­se. Also es ischt mei­ne u’­maß­geb­li­che Mei­nung, dass es jetzt g’­nug ischt. Sei Ver­gnü­ge hat je­der g’habt, und nach­her wird’s wischt; also denk i, wir mä­ßi­ge uns! Wer z’erst an­fan­ge hat und wer recht hat, das kriegt man ja doch nim­mer ’raus, des muss i wis­se als Po­li­ti­ker und Schtaats­ma’; und nu las­se mer’s gut sei, und es geht a je­der zu­rück zu sei’m Schop­pe, und mor­ge früh geht ei’ je­der zu G’richt, der heut no net z’frie­de ischt; nacher kön­ne mer ja wei­ter sehe, und jetzt hab i g’spro­che, – Pechle ischt mei’ Name und mei’ Mot­to ischt: Hie gut Würt­tem­berg al­le­weg!«

      Ein all­ge­mei­nes Bra­vo und Hur­ra folg­te die­sem et­was son­der­ba­ren Schluss; dann wur­de es wirk­lich still im Hau­fen des Vol­kes, und nach­her wie­der kam das dump­fe Ge­mur­mel der in sich ge­hen­den Men­ge, un­ter­mischt mit den selbst­ver­ständ­li­chen Ein­zel­schrei­en und Jod­lern. Aber das Ge­mur­mel sieg­te über die in­di­vi­du­el­len Kund­ge­bun­gen; je­nen Ru­fern im Streit, die sich noch nicht »mä­ßi­gen« konn­ten oder woll­ten, wur­de von al­len Sei­ten Ruhe ge­bo­ten und – Ruhe ward in Ho­hen­stau­fen.

      Die Vor­stel­lung, dass man ja un­be­dingt mor­gen in der Frü­he nach Göp­pin­gen zu Amte ge­hen kön­ne, mal­te sich in jeg­li­cher Ein­bil­dungs­kraft zu ver­lo­ckend aus, dass schon ih­ret­we­gen je­der Ver­stän­di­ge den Mund hielt und die Faust in die Ta­sche schob. Die Bes­te oben schied sich von der Bes­te un­ten, es kam eine ge­wis­se Ord­nung in das Cha­os. Noch stan­den zwar hef­tig ges­ti­ku­lie­ren­de Grup­pen län­ge­re Zeit ein­an­der ge­gen­über, doch plötz­lich er­klang vom Och­sen her die Tanz­mu­sik von all den In­stru­men­ten, die nicht in der Schlacht zu­grun­de ge­gan­gen wa­ren, von neu­em lus­tig los, und auf den Wirts­haus­stie­gen rieb Pechle sich die Hän­de und klopf­te erst den Wirt zum Lamm und so­dann den bri­ti­schen Ka­pi­tän Sir Hugh Slid­de­ry auf die Schul­ter, und sprach mit nicht ge­rin­gem Selbst­ge­nü­gen:

      »Sehn Sie, mei­ne Her­re?!«

      Sie hat­ten es ge­se­hen und ge­hört. Der Eng­län­der sag­te vor Er­stau­nen gar nichts; aber der Lamm­wirt gab viel we­ni­ger sei­nem Er­stau­nen als ei­nem ge­wis­sen Un­mut Aus­druck, in­dem er brumm­te:

      »Was hät­t’s denn au ge­macht, wann sie mir no a Paar Fensch­ter de­mo­liert hät­te? ’s wär do in der Kund­schaft ge­blie­be, und s’ hät­ten’s mor­ge schon hit­zig g’­nug bei mir ab­ge­sof­fa, – Sa­ker­ment!«

      Und da­mit dreh­te er sich kurz um und ging in das Haus, wäh­rend der Ex­stift­ler an den Baro­net sich wen­dend, klein­laut be­merk­te:

      »Recht hat er! Man kann sich auch zu sehr mä­ßi­gen. Das kommt da­von, wenn man noch von Tü­bin­gen her zu gut Be­scheid weiß. Aber die Da­men! Die Da­men! Sa­ker­ment, i möcht nur wis­se, wes­halb ge­rad sie im­mer d’ Lust des Da­seins schtö­re müs­se?! Recht hat der Lamm­wirt g’wiss.«

      In der Wirts­stu­be aber blick­te Chri­sta­bel ge­ra­de in die­sem Mo­ment, nach­dem sie kurz vor­her noch aus dem Fens­ter in die be­weg­te Fins­ter­nis hin­aus­ge­se­hen hat­te, mit großen und ganz ei­gen­tüm­lich leuch­ten­den Au­gen erst auf die Bal­ken­de­cke und so­dann auf die Baro­nin von Ripp­gen und sprach, sich ganz in ih­rem vo­ri­gen, her­ben und hol­d­ru­hi­gen Selbst wie­der und wie­der zu­recht fin­dend:

      »Lucy, das ist ein Mann! O Lucy, dear, die­ses ist in der Tat ein Mann!«

      Das war er; – näm­lich ein Mann, und nicht nur das, son­dern au­ßer­dem auch noch ein ganz son­der­ba­rer Kerl, und als sol­cher wen­de­te er sich von neu­em zu sei­nem eben ge­fun­de­nen eng­li­schen Freun­de, dem Ka­pi­tän Sir Hugh Slid­de­ry, und sag­te:

      »Lie­ber Mann, jetzt sind Sie so gü­tig und las­sen sich ge­fäl­ligst bei Lich­te be­se­hen.«

      »Wha – what?« frag­te der Eng­län­der, und:

      »Yes«, er­wi­der­te Pechle. »Bei Lich­te; denn nach dem was Sie mir vor­hin mit­ge­teilt ha­ben, wird das sehr not­wen­dig sein. Sei­en Sie ganz ru­hig, man kennt das, man ist auch sei­ner­zeit aus man­chem Wirts­haus her­aus­ge­wor­fen wor­den und weiß ziem­lich ge­nau, wie man nach­her aus­schaut. Die Da­men! Die Da­men! Herr von Sch­lid­de­rich! Be­den­ken Sie die Da­men!«

      »Oh die La­dies! Ja, Sie sind recht, Sir!« rief der Ka­pi­tän und ließ sich durch das Ge­drän­ge in dem Haus­flur un­ter die Lam­pe auf dem Haus­flur zie­hen. Kopf­schüt­telnd be­sah ihn Pech­lin sich da­selbst

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