Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Wilhelm Raabe страница 260
Er hatte den englischen Baronet sich nach die Vortreppe des Lammes hinaufgeschleift, und da stand er, umdrängt von den Anhängern des Lamms, und Sir Hugh Sliddery hielt sich an ihm, wie der deutsche Baron bereits einige Male sich an ihm gehalten hatte.
Im vollen Behagen, bei bester Laune, ganz und gar nicht totgeprügelt, sondern vollkommen lebendig und bei guten Kräften schlug er beide Hände schütternd auf die Brüstung der Treppe, lehnte sich breitbrüstig vornüber und donnerte abermals, sämtliche Register seiner Rednerbefähigung ziehend:
»Holla! Himmeldonnerwetter! Meine Herren, i hab’s scho g’sagt, i bitt ums Wort.«
Und wie Zeus, der Vater der Götter und der Menschen, es, das heißt das Wort, jedes Mal in der Versammlung der Unsterblichen bekam, wenn er es ernstlich verlangte, so erhielt es jetzo auch unser Freund Christoph Pechlin. Der Kontrast zwischen der urplötzlich eintretenden Stille und dem vorhergehenden Lärm war so groß, dass es in der Tat schien, als ob nicht bloß die Bevölkerung von Hohenstaufen und der Umgegend, sondern als ob Himmel und Erde den Mund schlössen und den Atem anhielten, um zu hören und zu erfahren, was dieser Mann da auf der Treppe zu sagen habe.
Er hatte im Grunde wenig zu sagen; allein er sagte dieses Wenige mit dem gehörigen Nachdruck, wurde jedermann verständlich und sprach der Mehrheit aus der Seele. Letzteres war die Hauptsache, und ist die Hauptsache für jeden Volksredner, der nicht umsonst seinen Atem vergeuden will.
Von der Treppe des Lammes zu Hohenstaufen donnerte Pechle herab:
»Ihr Herre! Die mi kenne, die kenne i au, und die mi net kenne, die kenn i; also bitt i um a gefälliges G’hör, und nachher mag jedweder tun und lasse, was er will. Aber das sag i, was i denk, und hab’s immer so g’halte: wann i gemeint hab, ’s ischt g’nug, so ischt’s gewöhnlich g’nug gewese. Also es ischt meine u’maßgebliche Meinung, dass es jetzt g’nug ischt. Sei Vergnüge hat jeder g’habt, und nachher wird’s wischt; also denk i, wir mäßige uns! Wer z’erst anfange hat und wer recht hat, das kriegt man ja doch nimmer ’raus, des muss i wisse als Politiker und Schtaatsma’; und nu lasse mer’s gut sei, und es geht a jeder zurück zu sei’m Schoppe, und morge früh geht ei’ jeder zu G’richt, der heut no net z’friede ischt; nacher könne mer ja weiter sehe, und jetzt hab i g’sproche, – Pechle ischt mei’ Name und mei’ Motto ischt: Hie gut Württemberg alleweg!«
Ein allgemeines Bravo und Hurra folgte diesem etwas sonderbaren Schluss; dann wurde es wirklich still im Haufen des Volkes, und nachher wieder kam das dumpfe Gemurmel der in sich gehenden Menge, untermischt mit den selbstverständlichen Einzelschreien und Jodlern. Aber das Gemurmel siegte über die individuellen Kundgebungen; jenen Rufern im Streit, die sich noch nicht »mäßigen« konnten oder wollten, wurde von allen Seiten Ruhe geboten und – Ruhe ward in Hohenstaufen.
Die Vorstellung, dass man ja unbedingt morgen in der Frühe nach Göppingen zu Amte gehen könne, malte sich in jeglicher Einbildungskraft zu verlockend aus, dass schon ihretwegen jeder Verständige den Mund hielt und die Faust in die Tasche schob. Die Beste oben schied sich von der Beste unten, es kam eine gewisse Ordnung in das Chaos. Noch standen zwar heftig gestikulierende Gruppen längere Zeit einander gegenüber, doch plötzlich erklang vom Ochsen her die Tanzmusik von all den Instrumenten, die nicht in der Schlacht zugrunde gegangen waren, von neuem lustig los, und auf den Wirtshausstiegen rieb Pechle sich die Hände und klopfte erst den Wirt zum Lamm und sodann den britischen Kapitän Sir Hugh Sliddery auf die Schulter, und sprach mit nicht geringem Selbstgenügen:
»Sehn Sie, meine Herre?!«
Das einundzwanzigste Kapitel.
Sie hatten es gesehen und gehört. Der Engländer sagte vor Erstaunen gar nichts; aber der Lammwirt gab viel weniger seinem Erstaunen als einem gewissen Unmut Ausdruck, indem er brummte:
»Was hätt’s denn au gemacht, wann sie mir no a Paar Fenschter demoliert hätte? ’s wär do in der Kundschaft gebliebe, und s’ hätten’s morge schon hitzig g’nug bei mir abgesoffa, – Sakerment!«
Und damit drehte er sich kurz um und ging in das Haus, während der Exstiftler an den Baronet sich wendend, kleinlaut bemerkte:
»Recht hat er! Man kann sich auch zu sehr mäßigen. Das kommt davon, wenn man noch von Tübingen her zu gut Bescheid weiß. Aber die Damen! Die Damen! Sakerment, i möcht nur wisse, weshalb gerad sie immer d’ Lust des Daseins schtöre müsse?! Recht hat der Lammwirt g’wiss.«
In der Wirtsstube aber blickte Christabel gerade in diesem Moment, nachdem sie kurz vorher noch aus dem Fenster in die bewegte Finsternis hinausgesehen hatte, mit großen und ganz eigentümlich leuchtenden Augen erst auf die Balkendecke und sodann auf die Baronin von Rippgen und sprach, sich ganz in ihrem vorigen, herben und holdruhigen Selbst wieder und wieder zurecht findend:
»Lucy, das ist ein Mann! O Lucy, dear, dieses ist in der Tat ein Mann!«
Das war er; – nämlich ein Mann, und nicht nur das, sondern außerdem auch noch ein ganz sonderbarer Kerl, und als solcher wendete er sich von neuem zu seinem eben gefundenen englischen Freunde, dem Kapitän Sir Hugh Sliddery, und sagte:
»Lieber Mann, jetzt sind Sie so gütig und lassen sich gefälligst bei Lichte besehen.«
»Wha – what?« fragte der Engländer, und:
»Yes«, erwiderte Pechle. »Bei Lichte; denn nach dem was Sie mir vorhin mitgeteilt haben, wird das sehr notwendig sein. Seien Sie ganz ruhig, man kennt das, man ist auch seinerzeit aus manchem Wirtshaus herausgeworfen worden und weiß ziemlich genau, wie man nachher ausschaut. Die Damen! Die Damen! Herr von Schlidderich! Bedenken Sie die Damen!«
»Oh die Ladies! Ja, Sie sind recht, Sir!« rief der Kapitän und ließ sich durch das Gedränge in dem Hausflur unter die Lampe auf dem Hausflur ziehen. Kopfschüttelnd besah ihn Pechlin sich daselbst