Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe Gesammelte Werke bei Null Papier

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Liebs­te, wol­len wir das; aber – Lu­cie, ihr habt ja sel­ber eu­ern Wa­gen nach Göp­pin­gen zu­rück­ge­schickt. Wo­her in al­ler Welt soll ich in jet­zi­ger Stun­de und un­ter die­sen Um­stän­den ein Ge­fährt – ein Fuhr­werk neh­men?«

      »Das ist dei­ne Sa­che. Du trägst die Schuld, dass wir uns hier be­fin­den, und du wirst au­gen­blick­lich da­für Sor­ge tra­gen, dass wir von hier weg­kom­men.«

      »Aber Lu­cie?! liebs­te Lu­cie?!«

      »Du stehst im­mer noch da? O Gott, Chri­sta­bel siehst du – siehst du ihn? O Chri­sta­bel, sieh ihn dir an!«

      Miss Chri­sta­bel Ed­dish war wirk­lich im­stan­de, sich den Baron Fer­di­nand von Ripp­gen noch ein­mal an­zu­se­hen. Dann aber schloss sie so­gleich von neu­em die Au­gen, fiel ih­rer Vir­gi­ny wo­mög­lich noch schwe­rer auf und in die Arme und hauch­te im Sin­ken:

      »Shocking! shocking!«

      »Das ist es! Schok­king ist es!« schrie die em­pör­te Gat­tin fun­ken­sprü­hend, »O, dass er eine Ah­nung da­von hät­te, wie ich über ihn den­ke! Ei­nen Wa­gen! Ei­nen Wa­gen – hörst du? Auf der Stel­le einen Wa­gen –«

      Es wir­bel­ten al­ler­lei fan­tas­ti­sche Fuhr­ge­le­gen­hei­ten durch das zer­rüt­te­te Ge­hirn des rat­lo­sen Frei­herrn. Er dach­te so­gar an die Mur­mel­tie­re, die sich zur Ern­te­zeit auf den Rücken le­gen, eine La­dung Win­ter­vor­rat zwi­schen die Pfo­ten neh­men und sich am Schwan­ze nach Hau­se zie­hen las­sen, und er hat­te Lust, die­se geist­rei­chen Tie­re zu be­nei­den. Er dach­te an einen Schub­kar­ren! Wenn Pechle schob, und er, des hei­li­gen rö­mi­schen Rei­ches vor­einst un­mit­tel­ba­rer Frei­herr sich vor­spann­te? Nein, nein, auch das war nur eine schö­ne Vor­stel­lung! Er dach­te an gar nichts mehr, das heißt, er such­te von neu­em durch Ver­nunft­grün­de zu wir­ken.

      »Mein teu­res Herz«, rief er, bei­de zit­tern­de Hän­de er­he­bend, »ich bit­te, ich be­schwö­re dich, zu über­le­gen! Glaubst du wirk­lich, dass ein Ein­ge­bo­re­ner die­ses Or­tes un­ter dem Ein­druck der au­gen­blick­lich herr­schen­den Stim­mung, sich her­bei­las­sen wer­de, ein Fuhr­werk, und sei es selbst nur einen Lei­ter­wa­gen zu be­span­nen und kühl und ru­hig nach Göp­pin­gen zu fah­ren und wäh­rend­dem es den – an­de­ren über­las­sen wer­de, die Sa­che – den Streit – die mir un­be­kann­te Streit­fra­ge aus­zu­fech­ten?«

      »Du bist – du bist – Fer­di­nand, ich weiß nicht, ob ich die­se Nacht über­le­be, aber das weiß ich, dass sich si­cher­lich noch ein­mal eine Stun­de, ein Au­gen­blick fin­den wird, in wel­chem ich dir kühl und ru­hig sa­gen kann, was du bist.«

      Fer­di­nand schlug sich die eine Hand vor die Stirn und griff mit der an­de­ren in das ge­lock­te Haupt­haar; doch jetzt rich­te­te Miss Chri­sta­bel Ed­dish sich von neu­em groß und geis­ter­haft aus den Ar­men ih­rer Kam­mer­jung­fer auf, sah noch ein­mal um sich, schau­der­te noch ein­mal zu­sam­men und – fass­te sich. Ein lei­ses Er­rö­ten über­zog ihre wachs­blei­chen Mie­nen, sie griff nach der Hand der Freun­din und dann – dann flüs­ter­te sie:

      »Lucy, wen­den wir uns – an den – den – den an­de­ren – Gent­le­man!«

      »An?… an wen?« frag­te Lu­cie von Ripp­gen schrill und in nicht ganz un­be­rech­tig­tem Er­star­ren.

      »O ja! an den an­de­ren Gent­le­man! Er wird die­ses ver­ste­hen. Er wird grö­ßer von uns den­ken, als wir von ihm. Er wird uns von hier weg­schaf­fen.«

      »Chri­sta­bel?«

      »Ja, ja! Er ist roh – ra­w, nein, nicht ra­w, er ist ru­de; aber er wird uns einen Wa­gen an­schaf­fen, er wird uns ret­ten.«

      »Der Un­hold?!«

      »Yes, der Dok­tor Pech – Pitch – Pit­sch­lin! Wir wer­den ster­ben ohne den an­de­ren Gent­le­man, Lucy. Lass dei­nen Mann ihn ru­fen, lass ihn her­kom­men.«

      »Wo ist die­ser – dein Herr Dok­tor Pech­lin?« wand­te sich die Baro­nin, ihre Schul­tern mit ei­nem Ruck zn­sam­men­zie­hend, kurz und schroff an den Gat­ten.

      »Bes­te, im Och­sen. Er hat seit län­ge­rer Zeit die­ses Haus ver­las­sen.«

      »Im Och­sen? Und du bist ihm nicht, an sei­nen Rock­schö­ßen hän­gend, dort­hin ge­folgt?«

      »Wir ha­ben zu­sam­men zu Abend ge­speist, und dann ist er fort­ge­gan­gen, um, wie er sag­te, ein we­nig an dem länd­li­chen Ver­gnü­gen teil­zu­neh­men. O er wird dar­an teil­neh­men! Ich bin fest über­zeugt, dass man ihn be­reits tot­ge­schla­gen hat.«

      Die gnä­di­ge Frau wand­te sich mit ei­nem neu­en Ach­sel­zu­cken von dem Gat­ten ab und mit ei­nem sehr fra­gen­den Bli­cke an die Freun­din:

      »Selbst die blo­ße Aus­sicht – die ge­rings­te Hoff­nung, dass es sich so ver­hal­te, könn­te mich die­se schreck­li­chen Stun­den er­tra­gen las­sen. Chri­sta­bel, wenn man ihn tot ge­prü­gelt hät­te?!«

      Auf die bri­ti­sche Jung­frau übte die­se Vor­stel­lung eine eben­so be­le­ben­de Wir­kung wie auf ihre Freun­din, und die Ro­man­tik der­sel­ben hob sie eben­falls einen Au­gen­blick über den Wunsch hin­weg, den Ex­stift­ler als kräf­ti­gen Schüt­zer in der Not ne­ben sich zu ha­ben. Doch in dem näm­li­chen Mo­ment traf der ers­te Stein das ers­te Fens­ter im Lamm; zer­split­ternd spran­gen die Scher­ben im Zim­mer um­her, wäh­rend das Wurf­ge­schoss dicht zu den Fü­ßen Miss Chri­sta­bels nie­der­roll­te.

      Das än­der­te die Sa­che. Mit ei­nem Ze­ter­ge­schrei stürz­ten sich alle drei Da­men, Miss Vir­gi­ny nicht aus­ge­schlos­sen, ein­an­der in die Arme und bil­de­ten die be­rühm­te Thor­wald­sen­sche Grup­pe der drei Gra­zi­en nach, je­doch mit Ge­sich­tern, die nicht lä­chel­ten. Um die Vor­trep­pe des Hau­ses wog­te der Kampf; nur der Kampf auf der Palas-Trep­pe des Kö­nigs Et­zel konn­te da­mit ver­gli­chen wer­den. Bur­gun­den und Hun­nen in An­griff und Ver­tei­di­gung wälz­ten sich auf und ab die stei­ner­nen Stu­fen, und der Baron Fer­di­nand rang die Hän­de, bis ihn sein Weib am lin­ken Obe­r­arm pack­te und gel­lend ihm zu­schrie:

      »So hole ihn! Schaf­fe ihn her die­sen – Herrn – Pech­lin! Lass ihn kom­men – dei­nen – Freund!«

      »Ja, ja, for hea­ven’s sa­ke, lass Sie kom­men her die Mr. Pit­ch­lin um des Him­mels wil­len!« rief Miss Chri­sta­bel Ed­dish, und der Baron, mit dem Mute der Verzweif­lung sich los­rei­ßend, stürz­te ge­gen die Tür, aus vol­lem Hal­se, doch un­ge­mein schrill, aufs Ge­ra­te­wohl ins Wei­te und in die wo­gen­den Hau­fen hin­ein­schrei­end:

      »Pechle!… Pechle!… Pechle!«

      »Hier!« brüll­te aus des Tu­mul­tes Mit­ten ein kräf­ti­ger Bass zu­rück und der Baron at­me­te tief auf.

      »Gott

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