Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
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»Haben Sie nicht mich? Haben wir uns einander nicht gegenseitig vorgestellt?« fragte Pechlin. »Sie gehen ganz einfach mit mir in das Lamm. Die Leute kennen mich, und auf dem Tanzsaal ist Raum für Sie.«
»Sir, auf das Tanzsaal?« rief der Kapitän. »Sir, Sie uoll mir wieder bring auf die dancing-room? Oh no! ouich uab genoug von diesem, ouich uill, ouich muss uab ein Privatappartement, uenn ouich –«
»Ja, ja, ich sitze schon mitten in allen Ihren Gefühlen, und verstehe Sie vollkommen, Sir Juh. Seien Sie ohne Sorgen, Sie werden einen guten Schlaf tun im Lamm, und außerdem finden Sie daselbst die beste Gesellschaft. Lauter schöne Leute, sehr schöne Damen und einen ganz intimen Freund von mir, Baron Rippgen aus Dresden, und alle werden sich ebenfalls freuen, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
»Sehr schöne Damen? Üinen Baron?«
»Yes! Oui! ja, ja! Einen lebendigen deutschen Baron – a german baron – uraltes Geschlecht – Reichsfreiherr! Nicht wahr, das schtimmt mit Ihne?… O ja, er führt auch seine Visitenkarte bei sich – letzter Spross des Geschlechts – Jahrhunderte lang haben sich seine Ahnen abgemüht, um diese Blüte zu erzeugen.«
»A–h! ualso uendlich uein uanständiger Mensch!« rief Sir Hugh Sliddery, tief aufseufzend. »Oh Sir, gern – very gladly indeed würd ouich gehen mit Ihnen; aber – aber mein Anziehen – Anzüglichkeit – my dress – mon costume – ma toilette? ’Err, Sie muss das sehe buei Licht, um das zu glauben.«
»Das wollen wir auch – Sie unverschämter Esel!« äußerte sich Pechle, den Satz zur Hälfte donnernd dem englischen Edelmann ins Ohr schreiend und die andere Hälfte still sich selber in der Tiefe seiner Brust vortragend. »Kommen Sie mit ohne Umstände, da Sie uns einmal auf die Arme gefallen sind, und besehen Sie sich Ihren teutonischen Adelsringgenossen näher. Was das Kostüm angeht, so achtet man auf Reisen nicht so genau darauf, und die Weiber vor allem ziehen den abenteuerlichsten, wenn nur aus der Schlacht kommenden Heros allen übrigen vor.«
»So nehme ouich Ihre große Gütigkeit an«, sprach der Baronet. »Ich war auch in die Crimea, in die Krimm, und bin an old Soldier, ein alter Soldat, ound ouich uerd übernachten mit dem Baron und den Ladies und mit Ihnen, Sir, in dem Lamm«.
Das zwanzigste Kapitel.
Die Pflicht rief uns schon seit geraumer Zeit, wir hörten nur nicht darauf; jetzt aber folgen wir ihrem Rufe und – verfügen uns in das Lamm zurück. Es ist aber auch die allerhöchste Zeit, denn von neuem gewinnt die Hochzeitsgesellschaft aus dem Ochsen den Neidern aus dem Lamm Schritt für Schritt die Dorfgasse ab und dringt mächtig vor gegen das Lamm.
Während in geschilderter Weise Freund Pechle seinem Vergnügen nachgegangen war, hatte sein Freund, der Baron Ferdinand von Rippgen, das Seinige getan und ausgehalten, und das war gerade kein Vergnügen gewesen. Wenn Herr Christoph Pechlin nur den Kopf in die Tür des Damenzimmers im Lamm gesteckt hatte, so hatte der Baron der dringenden und grausigen Notwendigkeit um ein Bedeutendes weiter nachgeben müssen und war eingetreten. Eingetreten? Es ließe sich wahrlich über den Ausdruck rechten! Hatte er sich in das Gemach hineingeschoben? Auch dieses nicht; – er war ganz einfach hineingeschoben worden, und zwar von einer Macht, der noch nie irgendjemand in seinem Leben einen zu einem rühmlichen Resultat führenden Widerstand entgegengesetzt hat.
Und alle drei Damen hatten ihn bei seinem Erscheinen sofort ins Auge gefasst, und eine jegliche hatte einen anderen Ton von sich gegeben! Einen Schrei der Befriedigung hatte Miss Virginy hören lassen; Miss Christabel Eddish hatte mit einem glucksenden Laut sich zu einem neuen Krampfanfall in den Armen ihrer treuen Dienerin zurecht gelegt; aber die gnädige Frau allein hatte auf der Stelle den rechten Ton getroffen und zwar in jeder Hinsicht.
Trotz Not, Angst und Schwächeanwandlungen hatte sie, die gnädige Frau, die Äußerungen tiefster seelischer Empörung in der künstlerischsten Weise getroffen. Ein Blick – ein einziger Blick auf den Gatten, und sie stand ebenso auf dem richtigen und erhöhten Standpunkte wie drunten in der Dorfgasse Pechle, der Exstiftler, zwischen dem Lamm und dem Ochsen. Der Baron hatte die Tür noch nicht hinter sich zugezogen, als sein Weib bereits den festesten Fuß ihm gegenüber gefasst hatte und ihn von der Höhe ihrer Lebensanschauung und vor allen Dingen von ihrer Anschauung der gegenwärtigen Stunde aus für alles – alles – alles verantwortlich machte, was ihr und ihrer blassen Freundin – Miss Virginy gar nicht einmal mit in die Rechnung gezogen – bis jetzt in Hohenstaufen begegnet war, und alles – alles, was ihr fernerhin noch daselbst passieren konnte!
Es war fabelhaft, aber umso wahrer: der Baron Ferdinand von Rippgen fühlte sich bei dem ersten Blick seiner Gattin und dem ersten Blick auf sie durch und durch als Sünder, und beugte sein Haupt unter die Schale des Zornes, die über ihn ausgegossen wurde. Schaudernd fühlte er sich hinein in die widerwärtige, die grässliche Lage der Damen und fasste natürlich seine Schuld in ihrer ganzen entsetzlichen, unverzeihlichen Größe. Schon ohne dass man ihn darauf aufmerksam machte, wusste er sich sofort in seiner ganzen Scheußlichkeit zu erkennen, und dass man ihn doch noch auf dieselbe aufmerksam machte, konnte nur als eine unverdiente Güte von seiten der Damen gelten.
Was konnte man von einem solchen Manne erwarten? Wo waren die Seiten an ihm, an die sich ein edles Weib und eine bebende, hilfsbedürftige Jungfrau lehnen konnten, ohne befürchten zu müssen, mit ihm umzufallen?
Es war grässlich und umso grässlicher, je wilder das Geschrei und der Schlachtlärm draußen vor den Fenstern anschwollen, je mehr sich das Getümmel dem Lamm näherte, je dunkler die Nacht und je lebendiger die Fantasie wurde.
»So hilf doch! Tue etwas! Rette uns oder verschaff uns doch wenigstens ein Gemach, wo wir nichts von diesen Wil-den, diesen Bar-ba-ren sehen!« schrie die Baronin. »Wir verlangen gar nicht, dass du dich weiter um uns kümmerst; aber dieses Brüllen und Toben halte ich nicht länger aus und Christabel auch nicht. Nennst du dich wirklich einen Mann, so zeige dich ein einziges Mal als ein solcher und lass anspannen.«
»Yes! Yes! Anspannen! Abfahren!« wimmerte Miss Christabel.
»Lass anspannen und lass uns abfahren; einerlei wohin! wohin in die Nacht!… Ferdinand, ich befehle dir, die