Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
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»Oh well«, ächzte der Engländer, »das muerken ouich jetzt schon. Well, ouich uill mir verlassen auf Sie, und ouich uill mir waschen, und Sie werden mir vuorstellen die Ladies.«
»Natürlich! Marschieren Sie nur mit dem Riekele ab. Da, Mädele, leucht dem Herrn, zünd ihm d’ Stiege ’nauf. Auf Wiedersehen! Wisse Se, vielleicht bringe mer mit Gottes Hilfe und gnädigem Beistand auch noch meinen intimen Freund, den Baron dazu, dass er sich endlich einmal des Lebens freut. Ja, so wolle mer’s mache: Sie mache sich der Baronin interessant, und i werd mi zu Ihrer Landsmännin halte.«
»Lands – män – nin?« rief der Kapitän Sir Hugh Sliddery stutzig.
»Yes! Aber a Fräulein, a Miss, a a’g’nehme Miss!« antwortete Pechle enthusiastisch, drängte den zögernden Fremden mit dem Riekele gegen die Treppe, schickte einen Boten nach dem Ochsen, um die Reiseeffekten des Engländers, soweit sie noch nicht auf seinem oder anderer Leute Rücken zerschlagen waren, zu sammeln, und ins Lamm herüberzuschaffen, und begab sich sodann munter und heiter, seines guten Gewissens nach allen Richtungen hin sicher – – – zu den Damen! – – –
»Grüß Gott, meine Herrschaften!« sprach er freundlich beim Hereintreten.
»Da ist er!« stöhnte der Baron von Rippgen, in grundlosester Tiefe seines Ichs, soweit ihm dasselbe von seiner Frau noch gelassen war. Diese, seine Frau wendete sich auf ihrem Sitze ohne von dem Freunde ihres Gatten Notiz zu nehmen, und nur Christabel erwiderte den Gruß, indem sie Virginy mit zierlicher Energie von sich abschob und mit einem langen Blick auf den Exstiftler das Haupt neigte.
»Es ist mir lieb, dass ich die Herrschaften noch wach und außer Bett finde. Nicht wahr, die Damen haben sich nicht durch die harmlose Heiterkeit des Abends erschrecken lassen?! Das ist eben das Gewürz in der Suppe des Daseins, und nicht nur bei uns nennt man das so. Gnädige Frau, das kleine Abenteuer gehört sowohl der Form wie dem Inhalt nach gleichfalls zu einem Ausfluge nach dem Hohenstaufen; – o ja, noch schweben die Geister der Ahnen um den hehren Gipfel, und so lange das deutsche Volk existiert, wird es sich auch prügeln, nicht wahr, Ferdinand? Gnädiges Fräulein befinden sich hoffentlich wohl?«
»Ich danke, Sir«, sprach Miss Christabel Eddish, »ich empfinde mich wenigstens nun besser.« Und sie sprach das mit einem Tone und einem Gesichtsausdruck, die zwar noch mancherlei für Herrn Christoph Pechlin zu wünschen übrig ließen, aber doch sehr verschieden waren von ihrem Gebärdenspiel im Abendsonnenschein auf der Höhe des Staufenberges. Sie setzte ihre Freundin dadurch in Verwunderung, und noch mehr dadurch, dass sie noch einige Worte mehr für den – den – den »gar nicht aus–zu–denkenden Menschen« fand.
»Mr. Pichlin«, sagte sie, »Sie haben dem Mob imponiert, ich habe das vernommen vom Fenster, und wir, meine Freundin und ich, sind Ihnen sehr verbunden für dieses. Wir danken Ihnen, mein Herr, – o ja, wir danken Ihnen; nicht wahr, Lucy?«
»Wie du willst, Christabel«, sagte die Baronin mit hochgezogenen Augenbrauen, unter den auf der Unterlippe spielenden Oberzähnen durch, und erhob sich mit einem Ruck, um sich mit einem kräftigeren Ruck wieder hinzusetzen, als etwas noch Erstaunlicheres geschah.
»Ja, ich will!« sprach Miss Christabel Eddish. »Ich fühle mich mit deiner gütigen Erlaubnis dazu verpflochten.« Und sie erhob sich, trat dem Exstiftler entgegen und reichte ihm mit leisem, lieblichem, jungfräulichem Erröten, jedoch mit fest unter die Unterzähne geklemmter Oberlippe die Hand: reichte ihm die Hand zum Kuss!…
Das deutete für sie an, dass sie viele außerbritische Länder und Menschen gesehen und dieselben zu schätzen gelernt hatte, die übrigen versteinerte es vollständig und den Freund Pechle am meisten.
Seit Jahrhunderten existierte weit verzweigt durch das Land Schwaben die Familie Pechlin. Sie hatte im Krieg und Frieden alles erlebt, was eine Familie irgend erleben kann. Sie hatte größeren und kleineren Dynasten, den Grafen, den Herzögen und den Königen von Württemberg auf alle mögliche Weise gedient. Sie hatte auf Ratsherrenbänken freier Reichsstädte gesessen und vor denselben als Aufrührer gestanden. Sie hatte die Kanzel, das Katheder und den äußeren und inneren Feind geschlagen. Wie das Wort, so hatte sie die Feder und das Schwert geführt; aber noch nie hatte ein Pechle – das getan!
Was?
Einer Dame die Hand geküsst!…
Die Jahrhunderte aber hatten in stiller und in lauter Wirksamkeit an diesem großen Momente gearbeitet, und nun war er vorhanden. Noch einen kürzesten Augenblick stand Christoph Pechlin da – »blitzdumm«; dann aber durchzuckte, ebenfalls blitzartig, ihn die ganze Größe der gegenwärtigen Minute; er fühlte sich, sozusagen, als das letzte sublimierteste Glied einer chemischen Reihe, und wie einem Ertrinkenden sein ganzes voriges Dasein, so ging ihm noch dazu eine ganze auf den Fall einschlagende Literatur durch den Sinn: er fasste sich, sah sehr klug aus und fühlte sich dem großen Moment bis in die äußerste Einzelheit hinein gewachsen. Er nahm die Hand auf. Mit einem Grinsen, das jedweder Beschreibung spottet, erhob er die zarten, langen, weißen Finger der hohen Jungfrau an seinen bärtigen Mund, – er neigte sich vor – er spitzte diesen Mund, wie Petz seine Schnauze spitzt, wenn er eben im Begriff ist, sie in die Spalte eines Honigbaumes zu schieben, und rasch wie aus Vergangenheit Zukunft wird und umgekehrt, war auch hier die ungeheuere Gegenwart verflogen, war das, woran so viele vergangene Jahrhunderte gearbeitet hatten, ebenfalls Vergangenheit geworden – – der Erste aus der Familie der Pechlins hatte einem Weibe die Hand geküsst!
Eine Sonne hätte eigentlich nicht genügt, die große Tatsache in das rechte Licht zu stellen, und doch beleuchteten nur die trübe Öllampe der Wirtsstube zum Lamm und die qualmende Talgkerze, welche der Baron Ferdinand von seinem Tanzsaale in schwankender Hand mit heruntergebracht hatte, die erstaunliche Szene. Und sie sollten noch Erschütternderes bescheinen! In diesem Augenblick, als Christoph Pechlin die Hand der englischen Jungfrau zu seinen Lippen erhob, öffnete sich wiederum die Tür: Sir Hugh Sliddery erschien auf der Schwelle.
Pechle stand dem Eintretenden den Rücken zukehrend; aber Miss Christabel