Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
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Auf diesen letzten Trost hin stieß der Baron einige Laute hervor, die möglicherweise bereits für ein Gelächter gelten konnten, aber von jedem selbst nur oberflächlich in die Geheimnisse der Heilkunde Eingeweihten anstandslos unter die den Hundskrampf begleitenden Jammeräußerungen gerechnet werden mussten.
Dreimal klopfte Pechle den Freund mit der flachen Hand ermunternd und ermutigend auf den Rücken, Dann verließ er noch vor dem Baron den Tanzsaal und schwang sich die Treppe hinunter, der Pforte des Hauses zu. Ehe er jedoch das Lamm verließ, warf er selbstverständlich noch einen schlauen, augenzwinkernden, aber ungemein vorsichtigen Blick durch die Tür in das bereits geschilderte Gemach am Eingange des Hauses – augenblicklich das Damenzimmer in Hohenstaufen, das heißt, jene Räumlichkeit, in welche sich unsere beiden Damen, die Frau Baronin Lucie von Rippgen und Miss Christabel Eddish, ihre Busenfreundin, nach der genussreichen Nachmittagsschwärmerei auf dem Hohenstaufen zurückgezogen hatten.
Und dieser blitzschnelle Blick überzeugte ihn vollständig, dass die Hohenstaufensche Maid in ihrer pflichtmäßigen Meldung durchaus nicht übertrieben habe.
Die Dicke befand sich wirklich im Zustande vollkommenster ratloser, willenloser Auflösung, und die Hagere hatte in der Tat Krämpfe!…
Am Tische saß Lucie noch immer vor den Schüsseln und Tellern der Abendmahlzeit, das Haupt auf beide schöne, wenn auch etwas fleischige Hände stützend; und ihr gegenüber lag Miss Christabel Eddish in den Armen Virginys, und Virginy, die doch vieles im Leben ausgehalten hatte, war kaum imstande, auch hier ihrer Pflicht zu genügen. Ihre jungfräuliche Herrin lag schwer auf ihr; und sie, Miss Virginy, sah mit einem fast lächerlichen Ausdruck hilfeflehender Ratlosigkeit umher, und ihre Augen waren auch die einzigen, welche das vergnügte Gesicht Pechles in der Türritze ausfindig machten und einen kurzen Augenblick lang einen sofortigen Trost von ihm erwarteten. Der hämische, schwäbische Extheologe wusste sich aber zu bezwingen; er warf der Verzweifelnden keine Kusshand zu, sondern ließ nur einen leisen, aber umso bedeutungsvollern Pfiff hören. Und da er eben auch den Baron gebrochenen Leibes und geknickten Geistes die Treppe heruntertappen hörte und sah, so wandte er sich schnell, sprang aus der Haustür, und die steinernen Tritte hinunter, mitten in das Gewühl der Dorfgasse hinein.
Das war denn freilich ein Gewühl zu nennen!
Längst wusste niemand mehr, wofür er sich schlug und weshalb er geschlagen wurde. Nicht einer in dem heitern Durcheinander konnte mehr Rechenschaft darüber geben, weshalb er eigentlich so sehr außer sich geraten sei. Nicht einer wusste mehr, wofür er hatte Rache nehmen, worüber er Rechenschaft hatte fordern wollen. Wie seit Jahrhunderten in jeglichem deutschen Bürgerkriege wusste fünf Minuten nach dem Ausbruch der Feindseligkeiten niemand mehr, warum er den Gegner hasse, und weshalb er den Prügel gegen ihn führe. Die Lust und das Behagen, den Prügel zu führen, ersetzte jedweden Rechtsgrund und es war jedermann einerlei, wohin der Schlag fiel, den er schlug, wenn er nur irgendein Ziel traf und einen blutrünstigen Striemen oder eine blaue Anschwellung, wie es sich gehörte, auf irgendeinem Körperteile irgendeines gleichfalls mit einem Knittel bewaffneten Nebenmenschen, deutschen Mitbürgers und Vaterlandsgenossen hervorrief.
Es war groß, und um den alten glorreichen Bergkegel über dem Dorfe wetterleuchtete es jetzt noch zu allem übrigen. Unbedingt saß da die tapfere Mutter Germania, sah hinab auf ihre fröhlichen Kinder, lächelte seelenvergnügt und strich leise probend an der Schärfe ihres Schwertes hinunter und hinauf und hatte in altgewohnter genialer Sorglosigkeit beide Füße auf den Schild gesetzt, mit mehr Furcht vor dem einheimischen Schnupfen, als vor den Dolchstößen und Streichen auswärtiger heimtückischer Feinde. Wir aber wollen das Gleichnis und Bild hier nicht weiter verfolgen und können uns begnügen, mitzuteilen, dass unser Freund Christoph Pechlin den Grundgedanken in einem durch mehrere Nummern der Beilage der Augsburger Allgemeinen Zeitung laufenden Aufsatze trefflich verarbeitet hat und zwar nach dem Jahre Achtzehnhundertsechsundsechzig, was denn auch, gottlob, einige Jahre später, wie wir alle erfahren haben, die trefflichsten Früchte getragen hat.
In solchen wie in verschiedenen anderen Dingen können wir versichert sein, dass unser Freund Pechle den Nagel auf den Kopf zu treffen weiß, und lobenswürdig ist dabei auch, dass er in seiner Bescheidenheit sich das nicht einmal hoch anrechnet. Und wenn in diesem Augenblicke alle Geister der alten Kaiser von dem Staufenberge herniedergestiegen wären, so hätten sie dem Aufruhr in Hohenstaufen, dem Dorfe, nicht mit größerer Befriedigung und tieferem Sachverständnis zusehen können, als ihm Christoph Pechlin zusah.
Bis jetzt, das heißt, fünf Minuten nachdem er das Gasthaus zum Lamm verlassen hatte, sah er dem Kampfe nur zu. Er musste das wohl seiner jetzigen Lebensstellung und Würde, seinem jetzigen Alter für angemessen erachten; aber die Zeit, in welcher er sich ohne Aufenthalt persönlich eingreifend in die Schlacht gestürzt haben würde, lag wahrlich noch nicht weit ab.
Auf einem erhöhten Punkte, einem weich, nachgiebig und doch elastisch aus den mannigfaltigsten vegetabilischen Stoffen zusammengesetzten Hügel stand er und blickte mit untergeschlagenen Armen auf das durch die Nacht herauwogende Kampfgewirr, auf den schattenhaften in jeglicher Tier- und Menschenstimme seinen Gefühlen lautgebenden Knäuel. Er hatte sich sehr bald in der Sachlage zurechtgefunden und rief nach niemandem, um sich den Gang der Schlacht und die Waffen und Wappen der hervorragenden Streiter deuten zu lassen.
Sämtliche männliche Hochzeitsgäste aus dem Ochsen hatten diesen verlassen und vergnügten sich mit den Gegnern aus dem Lamm in der Gasse. Wenn zuerst jeder blind darauf losgeschlagen hatte, so hatten sich jetzt die Parteien doch allmählich voneinander gesondert. Sie hatten sich besser kennen gelernt, jeder wusste, was er tat, und die Leute aus dem Lamm befanden sich unbedingt im Rückzuge.
Derjenige, welcher mit der besten Laune in die Schlacht zieht, hat die meisten