Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
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Читать онлайн книгу Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans Fallada страница 17
Aber keine Bange, der Dollfuß kommt. Er kommt sogar in der Begleitung eines Abteilungsleiters, und dem Werkmeister Otto Quangel wird eröffnet, dass er zwar die technische Leitung dieser Werkstatt behalte, dass er aber sein Amt in der DAF hier an den Herrn Dollfuß abzugeben und sich um Politik überhaupt nicht mehr zu kümmern habe. »Verstanden?«
»Und ob ich das verstanden habe! Ich bin froh, dass du mir den Posten abnimmst, Dollfuß! Mein Gehör wird immer schlechter, und hinhorchen, wie der Herr sich das vorhin vorgestellt hat, das kann ich hier in dem Lärm überhaupt nicht.«
Dollfuß nickt kurz mit dem Kopf, er sagt rasch: »Und was Sie da vorhin gesehen und gehört haben, darüber zu keinem Menschen ein Wort, sonst …«
Fast gekränkt antwortet Quangel: »Zu wem soll ich denn reden, Dollfuß? Hast du mich schon mal mit einem Menschen reden hören? Das interessiert mich nicht, mich interessiert bloß meine Arbeit, und da weiß ich, dass wir heute feste im Rückstand sind. Es wird Zeit, dass du wieder an deiner Maschine stehst!« Und mit einem Blick auf die Uhr: »Eine Stunde und siebenunddreißig Minuten hast du jetzt versäumt!«
Einen Augenblick später steht der Tischler Dollfuß wirklich an seiner Säge, und mit Windeseile, keiner weiß, woher, verbreitet sich in der Werkstatt das Gerücht, der Dollfuß habe wegen seiner ewigen Raucherei und Schwätzerei einen reingewürgt gekriegt.
Der Werkmeister Otto Quangel geht aber aufmerksam von Maschine zu Maschine, greift zu, starrt mal einen Schwätzer an und denkt dabei: Die bin ich los – für immer und ewig! Und sie haben keinen Verdacht, ich bin bloß ein alter Trottel für die! Dass ich den Braunen mit »lieber Mann« angeredet habe, das hat denen den Rest gegeben! Nun bin ich bloß neugierig, was ich jetzt anfange. Denn irgendwas fange ich an, das weiß ich. Ich weiß bloß noch nicht, was …
1 Engelbert Dollfuß war ein österreichischer Politiker. Er fungierte von 1931 bis 1933 als Landwirtschaftsminister und von 1932 bis 1934 als Bundeskanzler, ab 5. März 1933 diktatorisch regierend. <<<
7. Nächtlicher Einbruch
Am späten Abend, eigentlich ist es schon Nacht, eigentlich ist es schon viel zu spät für das Verabredete, hat der Herr Emil Barkhausen seinen Enno doch noch getroffen, im Restaurant »Ferner liefen«. Das hat die Briefträgerin Eva Kluge mit ihrem heiligen Zorn doch noch zuwege gebracht. Die Herren haben sich bei einem Glase Bier an einem Ecktisch zusammengesetzt, und dort haben sie geflüstert, sie haben so lange geflüstert – bei einem Glase Bier –, bis der Wirt sie darauf aufmerksam gemacht hat, dass er schon dreimal Polizeistunde geboten hat, und sie möchten doch sehen, dass sie endlich bei ihre Weiber kämen.
Auf der Straße haben die beiden ihre Unterhaltung fortgesetzt; sie sind erst ein Stück nach der Prenzlauer Allee zu gegangen, und dann hat der Enno wieder zurückverlangt, weil es ihm eingefallen ist, es wäre vielleicht doch besser, es bei einer zu versuchen, die er einmal gehabt hat und die Tutti genannt wird. Tutti, der Pavian. Besser als solche faulen Geschichten …
Der Emil Barkhausen ist fast aus der Haut geplatzt vor so viel Unverstand. Er hat dem Enno zum zehnten, er hat ihm zum hundertsten Male versichert, dass hier von faulen Geschichten nicht die Rede sein könne. Es handele sich vielmehr um eine – beinahe gesetzmäßige – Beschlagnahme, die unter dem Schutze der SS erfolge, und außerdem sei’s doch bloß eine olle Jüdsche, nach der kein Hahn krähe. Sie würden sich beide für eine Zeit lang gesundmachen, und die Polizei und das Gericht hätten damit gar nichts zu tun.
Worauf der Enno wieder gesagt hat: Nein, nein, in solchen Sachen habe er noch nie seine Finger gehabt, er verstünde gar nichts davon. Weiber ja und Rennwetten dreimal ja, aber mit faulen Fischen habe er noch nicht gehandelt. Die Tutti sei immer ganz gutmütig gewesen, obwohl sie »der Pavian« genannt werde, die denke sicher nicht mehr daran, dass sie ihm damals mit ein bisschen Geld und Lebensmittelkarten ausgeholfen habe, ohne es zu wissen.
Dabei sind sie schon in der Prenzlauer Allee gewesen.
Der Barkhausen, dieser eigentlich immer zwischen Kriecherei und Drohen hin und her pendelnde Mann, hat ärgerlich gesagt, wobei er an seinem lockeren, fliegenden Schnurrbart riss: »Wer zum Kuckuck hat denn von dir verlangt, dass du was von der Sache verstehst? Ich werde das Kind schon alleine schaukeln, von meinswegen kannste mit den Händen in der Tasche dabeistehen. Ich pack dir sogar noch deine Koffer, wenn du das auch noch verlangst! Versteh doch endlich, dass ich dich nur darum mitnehme, Enno, um mich vor einem Streich von der SS zu schützen, als Zeuge gewissermaßen, dass es bei der Teilung auch richtig zugeht. Denk doch bloß mal dran, was alles bei einer so reichen jüdischen Geschäftsfrau zu holen ist, selbst wenn die Gestapo damals, als sie den Mann holte, schon einiges hat mitgehen lassen!«
Plötzlich hat der Enno Kluge Ja gesagt, ohne weiteres Wehren und Bedenklichkeit, ohne Übergang. Nun hat er gar nicht schnell genug in die Jablonskistraße kommen können. Was ihn aber zu der Überwindung seiner Angst und zu einem so rückhaltlosen Ja bestimmt hat, das ist weder das Gerede von dem Barkhausen gewesen noch die Aussicht auf eine reiche Beute, sondern schlichtweg sein Hunger. Plötzlich hat er an die Speisekammer der Rosenthal denken müssen, und dass die Juden immer gerne gut gegessen haben, und dass ihm eigentlich nichts im Leben so schön geschmeckt hat wie gefüllter Gänsehals, zu dem er ein einziges Mal von einem reichen Kleiderjuden eingeladen worden ist.
Plötzlich hat er sich in seinen Hungerfantasien fest eingebildet, er finde solchen gefüllten Gänsehals in der Rosenthal’schen Speisekammer. Er hat die Porzellanschüssel, in der er liegt, ganz deutlich vor sich gesehen, und den Hals, wie er in der zu Fett erstarrten Soße liegt, ganz dick gestopft und an beiden Enden mit einem Faden zugebunden. Er wird die Schüssel nehmen und sich das Ganze auf der Gasflamme warm machen, und alles andere ist ihm ganz egal. Der Barkhausen kann tun, was er will, das ist ohne Interesse für ihn. Er wird Brot in die warme, fettige, stark gewürzte Soße tunken, und den Gänsehals wird er aus der Hand essen, dass die Fettigkeit nach allen Seiten rausquatscht.
»Leg noch ’nen Zahn zu, Emil, ich hab das eilig!«
»Warum