Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada Gesammelte Werke bei Null Papier

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Wahr­heit war es nicht der Geiz Otto Quan­gels, der ihn von ei­nem Ein­tritt in die Par­tei ab­hielt. Ge­wiss, er war in Geld­din­gen sehr ge­nau und konn­te sich über einen un­über­legt aus­ge­ge­be­nen Gro­schen noch wo­chen­lang hin­ter­her är­gern. Aber eben, weil er bei sich ge­nau war, war er es auch bei an­de­ren, und die­se Par­tei schi­en al­les an­de­re als ge­nau bei der Durch­füh­rung ih­rer Grund­sät­ze zu sein. Was er bei der Er­zie­hung sei­nes Soh­nes durch Schu­le und Hit­ler­ju­gend er­lebt, was er von Anna ge­hört hat­te, wie er selbst er­lebt hat­te, dass alle gut be­zahl­ten Pos­ten in der Fa­brik mit Par­t­ei­ge­nos­sen be­setzt wur­den, de­nen die tüch­tigs­ten Nicht­par­tei­ge­nos­sen stets zu wei­chen hat­ten – das al­les be­stärk­te ihn in sei­ner Über­zeu­gung, dass die Par­tei nicht ge­nau, das heißt nicht ge­recht war, und mit ei­ner sol­chen Sa­che woll­te er nichts zu tun ha­ben.

      Da­rum hat­te ihn ja auch An­nas Ruf ›Du und dein Füh­rer‹ am Mor­gen so sehr ge­kränkt. Ge­wiss, er hat­te bis­her an den ehr­li­chen Wil­len des Füh­rers, an sei­ne Grö­ße und sei­ne gu­ten Ab­sich­ten ge­glaubt. Man brauch­te nur alle die­se Schmeiß­flie­gen und Speck­jä­ger, de­nen es nur um Gelds­chef­feln und Le­be­schön ging, aus sei­ner Um­ge­bung zu ent­fer­nen, und al­les wur­de bes­ser. Aber bis es so weit war, mach­te er nicht mit, er nicht, und das wuss­te Anna, die Ein­zi­ge, mit der er wirk­lich mal ein Wort sprach, auch ganz gut. Nun schön, sie hat­te es in ih­rer ers­ten Auf­re­gung ge­sagt, er wür­de es mit der Zeit schon ver­ges­sen, er konn­te ihr nie was nach­tra­gen.

      Was es frei­lich mit dem Füh­rer und mit die­sem Krie­ge auf sich hat­te, das muss­te er sich erst noch ge­nau über­le­gen. All so et­was ging nur lang­sam bei ihm. An­de­re wa­ren von über­ra­schen­den Er­leb­nis­sen so­fort be­ein­druckt, sie re­de­ten los oder schri­en und ta­ten ir­gen­det­was, bei ihm wirk­te es lan­ge, lan­ge.

      Und wäh­rend sein Auge nun zu dem Zei­ger der Wand­uhr glei­tet und fest­stellt, dass Doll­fuß tat­säch­lich in drei Mi­nu­ten zehn Mi­nu­ten ge­schwänzt ha­ben wird, fällt ihm nicht nur die­ses has­sens­wer­te Pla­kat über Tru­dels Kopf ein, denkt er nicht nur dar­über nach, was das ei­gent­lich ge­nau ist: Lan­des- und Hoch­ver­rat und wo man so was wohl er­fährt, son­dern er denkt auch dar­an, dass er einen vom Pfört­ner ihm über­ge­be­nen Brief in der Jack­en­ta­sche trägt, durch den der Werk­meis­ter Quan­gel kurz und knapp auf­ge­for­dert wird, pünkt­lich fünf Uhr in der Be­am­ten­kan­ti­ne zu er­schei­nen.

      Nicht, dass die­ser Brief ihn ir­gend­wie auf­regt oder stört. Er hat frü­her, als die Mö­bel­her­stel­lung noch im Gan­ge war, oft auf die Fa­brik­lei­tung ge­musst, um die Her­stel­lung ei­nes Mö­bel­stückes zu be­spre­chen. Be­am­ten­kan­ti­ne ist et­was Neu­es, aber das ist ihm gleich, bis fünf Uhr sind es aber nur noch sechs Mi­nu­ten, und bis da­hin möch­te er den Tisch­ler Doll­fuß ger­ne an sei­ner Säge ha­ben. So geht er eine Mi­nu­te frü­her, als er be­ab­sich­tigt hat, los, um den Doll­fuß zu su­chen.

      Aber er fin­det ihn we­der auf den Ab­trit­ten noch auf den Gän­gen, noch in den an­lie­gen­den Werk­stät­ten, und als er in die ei­ge­ne Werk­statt zu­rück­kehrt, zeigt die Uhr eine Mi­nu­te vor fünf Uhr, und es wird höchs­te Zeit für ihn, wenn er nicht un­pünkt­lich sein will. Er klopft sich schnell den gröbs­ten Sä­ge­staub von der Ja­cke und geht dann ei­lig hin­über in das Ver­wal­tungs­ge­bäu­de, in des­sen Erd­ge­schoss sich die Be­am­ten­kan­ti­ne be­fin­det.

      Sie ist er­sicht­lich für einen Vor­trag vor­be­rei­tet, eine Red­ner­tri­bü­ne ist er­rich­tet, ein lan­ger Tisch für die Vor­sit­zen­den, und der gan­ze Saal ist mit Stuhl­rei­hen aus­ge­füllt. Er kennt das al­les von den Ver­samm­lun­gen der Ar­beits­front, an de­nen er oft hat teil­neh­men müs­sen, nur dass die­se Ver­samm­lun­gen stets drü­ben in der Werk­kan­ti­ne statt­fan­den. Der ein­zi­ge Un­ter­schied ist der, dass dort rohe Holz­bän­ke stan­den statt der Rohr­stüh­le hier, und dann sa­ßen die meis­ten dort wie er in Ar­beits­kluft, wäh­rend es hier mehr brau­ne und auch graue Uni­for­men gibt, die Be­am­ten in Zi­vil ver­schwin­den da­zwi­schen.

      Quan­gel hat sich auf einen Stuhl ganz nahe an der Tür ge­setzt, um beim Schluss der Rede mög­lichst rasch wie­der in sei­ne Werk­statt zu kom­men. Der Saal ist schon ziem­lich ge­füllt, als Quan­gel ge­kom­men ist, zum Teil sit­zen die Her­ren schon auf den Stüh­len, ein an­de­rer Teil steht noch auf den Gän­gen und an der Wand in Grüpp­chen, sie re­den mit­ein­an­der.

      Sie alle aber, die hier ver­sam­melt sind, tra­gen das Ha­ken­kreuz. Quan­gel scheint der Ein­zi­ge ohne das Par­tei­ab­zei­chen zu sein (von den Wehr­machts­uni­for­men na­tür­lich ab­ge­se­hen, aber die tra­gen da­für das Ho­heits­zei­chen). Es ist wohl ein Irr­tum, dass sie ihn hier­her ein­ge­la­den ha­ben. Quan­gel wen­det den Kopf auf­merk­sam hin und her. Ein paar Ge­sich­ter kennt er. Der di­cke Blei­che dort, der schon am Vor­stand­s­tisch sitzt, das ist der Herr Ge­ne­ral­di­rek­tor Schrö­der, den kennt er vom Se­hen. Und der klei­ne Spitz­na­si­ge mit dem Klem­mer, das ist der Herr Kas­sie­rer, von dem er je­den Sonn­abend sei­ne Lohn­tü­te in Empfang nimmt und mit dem er sich schon ein paar­mal we­gen der ho­hen Ab­zü­ge kräf­tig ge­strit­ten hat. Ko­misch, wenn der an sei­ner Kas­se steht, hat er nie das Par­tei­ab­zei­chen ge­tra­gen!, denkt Quan­gel flüch­tig.

      Aber die meis­ten Ge­sich­ter, die er sieht, sind ihm völ­lig un­be­kannt, es sind wohl fast nur Her­ren aus den Bü­ros, die hier sit­zen. Plötz­lich wird Quan­gels Blick scharf und ste­chend, in ei­ner Grup­pe hat er den Mann ent­deckt, den er vor­hin ver­geb­lich auf dem Ab­tritt ge­sucht hat, den Tisch­ler Doll­fuß. Aber der Tisch­ler Doll­fuß trägt jetzt kei­ne Ar­beits­kluft, er trägt einen fei­nen Sonn­tags­an­zug und re­det mit den zwei Her­ren in Par­tei­uni­form ganz so, als sei­en sie sei­nes­glei­chen. Und jetzt trägt auch der Tisch­ler Doll­fuß ein Ha­ken­kreuz, die­ser Mann, der ihm schon ein paar­mal in der Werk­statt durch sein leicht­sin­ni­ges Ge­re­de auf­ge­fal­len ist! So ist das also!, denkt Quan­gel. Das ist also ein rich­ti­ger Spit­zel. Wo­mög­lich ist der Mann gar kein rich­ti­ger Tisch­ler und heißt auch nicht Doll­fuß. War Doll­fuß nicht ein Kanz­ler in Ös­ter­reich, den sie er­mor­det ha­ben? Al­les Schie­bung – und ich habe nie was ge­merkt, ich dum­mes Aas!

      Und er fängt an, dar­über nach­zu­grü­beln, ob der Doll­fuß schon in sei­ner Werk­statt war, als der La­den­dorf und der Tritsch ab­ge­löst wur­den und alle mun­kel­ten, sie sei­en ins KZ ge­wan­dert.

      Quan­gels Hal­tung hat sich ge­strafft. Ach­tung!, hat es

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