Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada Gesammelte Werke bei Null Papier

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nicht ein­mal jede Wo­che ein­mal. An sich be­grüß­te ich das na­tür­lich, denn je­der Be­such bei ihm war, wie ich schon ge­sagt habe, eine Mar­ter für mich, nach der ich ta­ge­lang nicht wie­der zur Ruhe kam. Aber die­ses sel­te­ne Ho­len zeig­te doch auch, wie leicht er über die­ses Gut­ach­ten, das über mein Le­bens­schick­sal ent­schei­den soll­te, dach­te.

      An sich war mein Fall doch ge­ra­de für einen Psych­ia­ter be­son­ders in­ter­essant, ich stand bil­dungs­mä­ßig weit über dem Ni­veau der an­de­ren An­stalts­in­sas­sen, hat­te in mei­nem Le­ben et­was vor mich ge­bracht, war ein an­ge­se­he­ner Mann – und nun in die­sem To­ten­haus! Der Me­di­zi­nal­rat hät­te doch ei­gent­lich se­hen müs­sen, dass es bei mir um viel mehr als bei den an­de­ren ging, ich hat­te mehr zu ver­lie­ren, ich war auch emp­find­li­cher und lei­dens­fä­hi­ger als die­se meist recht stump­fen Ge­sel­len! Aber nein, er be­han­del­te mich völ­lig wie Hinz und Kunz, war oft ge­ra­de­zu grob mit mir, schalt mich einen un­ver­bes­ser­li­chen Lüg­ner und Flau­sen­ma­cher! Ich hat­te al­les Recht, ihm zu miss­trau­en und vor ihm auf mei­ner Hut zu sein. Wenn er mir dann wie­der mei­nen Man­gel an Of­fen­heit vor­warf, so war das ei­ner sei­ner in­kon­se­quen­ten Vor­wür­fe, zu de­nen ich völ­lig zu schwei­gen vor­zog.

      57

      Eine Än­de­rung in mei­nem Ver­hält­nis zum Arzt trat erst ein, als er mich ei­nes Ta­ges zu ganz un­ge­wohn­ter Stun­de, näm­lich am frü­hen Nach­mit­tag, in mei­ner Zel­le auf­such­te. Ich hat­te ge­ra­de ge­raucht, was auf den Ar­beits­zel­len ver­bo­ten ist, aber, ob­wohl die Luft noch von Ta­baks­rauch er­füllt war, mach­te er kei­ne Be­mer­kung dar­über, so streng er sonst auf die Be­fol­gung der Haus­ord­nung sah. Er trug an die­sem Tage nicht sei­nen hel­len Ärz­teman­tel und war auch nicht von sei­nem ewi­gen Schat­ten, dem Ober­pfle­ger, be­glei­tet.

      Ei­nen Au­gen­blick sah Dr. Stie­bing auf mei­ne Ar­beit und frag­te dann et­was zer­streut: »Nun, wie kom­men Sie mit der Bürs­ten­ma­che­rei zu­recht, Som­mer?«

      »Ganz gut, Herr Me­di­zi­nal­rat«, ant­wor­te­te ich. »Ich glau­be, der Ar­beits­in­spek­tor ist zu­frie­den mit mir.«

      Er nick­te, wie­der recht zer­streut, mei­ne gu­ten Ar­beits­leis­tun­gen schie­nen ihn nicht wei­ter zu in­ter­es­sie­ren. Er griff in sei­ne Ta­sche, nahm eine sil­ber­ne Zi­ga­ret­ten­do­se her­aus und tat nun et­was, was mich völ­lig über­rasch­te, ja bei­na­he um­warf: Er bot mir die Dose an. »Bit­te schön, Herr Som­mer!«

      Ich sah ihn un­gläu­big an, ein fei­nes, dün­nes Lä­cheln lag auf sei­nem Ge­sicht, als er sag­te: »Sie dür­fen sich ru­hig eine neh­men, Som­mer, wenn Ihr Arzt sie Ih­nen an­bie­tet.« Er gab mir so­gar zu­erst Feu­er und stand dann einen Au­gen­blick be­hag­lich rau­chend un­ter dem hoch an­ge­brach­ten Zel­len­fens­ter, schwei­gend. Dann sag­te er: »Ich habe ges­tern ein­mal aus­führ­lich mit Ih­rer Frau über Sie ge­spro­chen, Herr Som­mer. Ich hat­te sie ge­be­ten, ein­mal bei mir vor­bei­zu­kom­men, und ges­tern war sie bei mir.«

      Ich ant­wor­te­te ihm nicht, ich sah ihn nur an, mein Herz klopf­te stark. Dass die­ser Mann ges­tern erst mit Mag­da zu­sam­men ge­we­sen war, das be­weg­te mich, das er­schüt­ter­te mich sehr. Ich konn­te nicht re­den, ich glau­be, ich zit­ter­te am gan­zen Lei­be.

      »Ja«, sag­te der Arzt nach­denk­lich. »Ich habe mir von Ih­rer Frau noch ein­mal al­les im Zu­sam­men­hang er­zäh­len las­sen, vom ers­ten An­fang Ih­rer Ehe an bis zu je­nem un­se­li­gen Abend. Ein Psych­ia­ter hört ja vie­les aus den Wor­ten von An­ge­hö­ri­gen her­aus, was sie selbst nicht ah­nen.«

      Eine Wel­le zor­ni­gen Un­muts woll­te sich wie­der in mir er­he­ben. ›Al­so auch Mag­da hast du über­lis­ten wol­len und wahr­schein­lich über­lis­tet‹, dach­te ich. ›Mag­da ist ja so harm­los, die hat kei­ne Ah­nung, was für ein Mann du bist!‹ Aber die Wel­le ver­ebb­te wie­der.

      Er sag­te: »Ich habe im Gan­zen kei­nen un­güns­ti­gen Ein­druck nach die­sem Be­richt Ih­rer Frau. Ich hal­te es wirk­lich für mög­lich, dass wir es mit Ih­nen noch schaf­fen, Som­mer. Sie ha­ben eine sehr tap­fe­re und tüch­ti­ge Frau …«

      Wie­der ein Ge­fühl der Ab­wehr in mir: Es wäre mir lie­ber ge­we­sen, wenn der Me­di­zi­nal­rat nicht ge­ra­de das Wort »tüch­tig« im Zu­sam­men­hang mit Mag­da ge­braucht hät­te.

      »Ja, Som­mer, ich kann heu­te na­tür­lich noch nichts End­gül­ti­ges sa­gen, ich möch­te Sie hier noch ein paar Wo­chen wei­ter be­ob­ach­ten. Aber wenn Sie sich wei­ter ru­hig und flei­ßig ver­hal­ten und wenn nichts Be­son­de­res vor­kommt …«

      »Es wird nichts Be­son­de­res vor­kom­men, Herr Me­di­zi­nal­rat!«, rief ich er­regt aus. »Ich will hier wei­ter ganz still und flei­ßig le­ben …«

      Der Arzt lä­chel­te wie­der, selbst in die­ser Mi­nu­te, da er sehr gü­tig zu mir war, moch­te ich die­ses über­le­ge­ne Lä­cheln nicht. »Nun«, mein­te er, »hier hal­ten wir Ih­nen ja auch alle Ver­su­chun­gen fern, Som­mer! Hier sich zu be­wäh­ren, be­deu­tet nicht viel. Sie müs­sen si­cher sein, dass Sie auch drau­ßen al­len Ver­su­chun­gen wi­der­ste­hen kön­nen, be­son­ders dem Al­ko­hol …«

      »Ich wer­de nie wie­der Al­ko­hol trin­ken«, ver­si­cher­te ich. »Das habe ich mir schon lan­ge vor­ge­nom­men. Nicht ein­mal ein Glas Bier. Ich wer­de ganz ab­sti­nent le­ben, das kann ich Ih­nen fest ver­spre­chen, Herr Me­di­zi­nal­rat.«

      »Ach, Som­mer«, sag­te der trü­be, »ver­spre­chen Sie mir bes­ser nichts! Was, glau­ben Sie, be­kom­me ich für Ver­spre­chun­gen zu hö­ren, wenn die Leu­te aus die­sem Bau her­aus wol­len?! Und ein Vier­tel­jahr drau­ßen, vier Wo­chen erst drau­ßen, sind die Ver­spre­chun­gen ver­ges­sen, und der eine stiehlt wie­der, und der an­de­re trinkt. Nein, auf Ver­spre­chun­gen gebe ich nichts – da bin ich schon zu oft her­ein­ge­fal­len.«

      »Aber ich habe mich wirk­lich ge­än­dert«, sag­te ich und konn­te zum ers­ten Mal frei mit dem Arzt spre­chen. »Ich habe doch frü­her nie ge­glaubt, dass mir das pas­sie­ren könn­te. Ich habe ge­glaubt, ich könn­te mir fast al­les er­lau­ben, und Mag­da hat mich auch ver­wöhnt. Aber nun habe ich ge­se­hen, was aus mei­ner Trin­ke­rei ge­wor­den ist, und das wird mir für ewi­ge Zei­ten eine Leh­re sein. Wenn ich in der Ver­su­chung an die Wo­chen und Mo­na­te in die­sem Hau­se zu­rück­den­ke …« Ich schau­der­te.

      Der Me­di­zi­nal­rat sah mich auf­merk­sam an. »Das war ein­mal ehr­lich ge­spro­chen, Som­mer«, sag­te er dann. »Wenn die­ses Er­leb­nis einen sol­chen Schock in Ih­nen her­vor­ge­bracht hat, dass er Sie ganz vom Al­ko­hol ab­ge­bracht hat, dann könn­te man es wohl wirk­lich wa­gen. Aber Sie müs­sen nun auch se­hen, in­ner­lich Ihr Ver­hält­nis zu Ih­rer Frau in Ord­nung zu brin­gen. Sie sind ein sehr leicht ge­kränk­ter Mensch, Herr Som­mer, aber ich muss Ih­nen doch ein­mal ganz of­fen sa­gen, dass Ihre Frau in Ih­rer Ehe die Füh­ren­de und Über­le­ge­ne ist. Sie ist Ihr gu­ter Geist ge­we­sen; als Sie von Ih­rer Frau ab­fie­len, fie­len Sie selbst. Ge­wöh­nen

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