Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
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»Diese verdammten Schweinebeulen!«, schimpfte ich. »Wenn wir wenigstens anständig zu fressen kriegten! Aber die Mohrrüben heute Mittag waren wieder das reine Wasser! Dabei kann kein Mensch gesund bleiben!«
Damit hatte ich ihn bei dem unerschöpflichen Thema des Hauses: dem Fraß, und von meinem persönlichen Aussehen wurde nicht mehr gesprochen.
In der Folge borgte ich mir noch öfter den Spiegel des Kalfaktors aus, von nun an aber in seiner Abwesenheit und ohne ihn zu fragen. Ich fand schon beim dritten oder vierten Mal heraus, dass ich mein Aussehen zu ungünstig beurteilt hatte. Als ich mich erst ein paarmal im Spiegel betrachtet hatte, fand ich, dass ich eigentlich ganz erträglich aussah. Jedenfalls gewöhnte man sich rasch an diese kleine Entstellung, ich hatte mich dran gewöhnt, Magda würde sich daran gewöhnen wie meine Mitbürger, wie jedermann. Es gab Teilnehmer des Weltkrieges, die viel schlimmer entstellt waren, und doch hatten sie hübsche junge Frauen heiraten können und lebten glücklich mit ihnen. Ich war völlig davon überzeugt, dass diese zernarbte Nase meinem Glück mit Magda keinen Eintrag tun würde.
60
Ich sollte sehr bald Gelegenheit bekommen, einige Erfahrungen darüber zu sammeln. An einem Nachmittag kam der Oberwachtmeister Fritsch in meine Zelle und befahl mir kurz: »Mitkommen!« Fritsch, ein fleischiger Mann mit blühendem Gesicht, war einer jener Aufsichtsbeamten, denen man auch einmal eine Frage stellen konnte. Er sah in uns nicht nur Verbrecher.
»Was ist denn los?«, fragte ich ihn. »Zum Medizinalrat?«
»I wo«, antwortete er. »Besuch. Ihre Frau. Der Medizinalrat hat erlaubt, dass Sie Zivil anziehen. Ein bisschen schnell, Sommer, Ihre Frau wartet, und ich habe wenig Zeit.«
Er führte mich auf die Kleiderkammer, wo auf einem Regal mein Koffer ziemlich einsam dastand – die meisten Kranken waren ja auf Lebenszeit untergebracht und brauchten keine Zivilsachen mehr. Auf einem Tisch sitzend, sah der Oberwachtmeister mir zu, wie ich mich erst auskleidete, dann wieder ankleidete. Immer wieder trieb er zur Eile. Aber es ging nicht so schnell. Meine Hände zitterten so sehr, mein Herz läutete Sturm. Magda zu Besuch in diesem Totenhaus, das Leben kam, mich zu besuchen, bald würde ich wieder bei ihr sein …
Und eine tiefe Rührung, eine unendliche Liebe für meine Frau erfüllte meine Brust. Sie war zu mir gekommen, endlich, die lange Zeit der Prüfungen war vorbei. Die Liebe kehrte wieder ein bei mir. Und ich war fest entschlossen, ihr gleich beim ersten Zusammensein zu zeigen, wie tief ich sie liebte, dass die Zeit der Entfremdung vorüber war und dass ich mich rückhaltlos und voller Vertrauen ganz in ihre Hand gab.
Plötzlich fiel mir etwas Schreckliches ein! Es war ja Freitag, und am Sonnabend wurden wir erst rasiert: Mein Stoppelbart war im allerschlimmsten Zustand! »Herr Oberwachtmeister!«, rief ich flehend, »darf ich mich noch schnell rasieren? Hier im Koffer ist mein Rasierapparat. Ich mache wirklich ganz schnell. Erlauben Sie es doch.«
»Ganz ausgeschlossen, Sommer«, sagte Oberwachtmeister Fritsch kühl. »Was denken Sie wohl, wie viel Zeit ich habe? Und außerdem: Sie können doch Ihre Frau nicht so lange warten lassen!«
»Aber es ist doch so wichtig, dass ich bei diesem ersten Zusammensein wenigstens einigermaßen anständig ausschaue! Was soll denn meine Frau von mir denken?«
»Was das angeht, Sommer«, meinte der Fritsch kühl, »glaube ich, dass auch Rasieren Sie nicht wesentlich verschönt. Hat Ihre Frau sich mit Ihrer Nase abgefunden, wird sie die paar Haare auch schlucken!«
»Aber sie hat die Nase doch noch nie so gesehen!«, rief ich immer verzweifelter. »Das ist doch erst im Untersuchungsgefängnis passiert!«
Aber alles half mir nichts, Fritsch blieb unerbittlich, und ich musste mit ihm, die traurigste Figur von der Welt; auch das gnädigst vom Arzt bewilligte Zivil konnte daran nichts ändern, außerdem war es vom langen Liegen im Koffer völlig zerdrückt.
Ich trete mit dem Beamten in das Verwaltungsgebäude ein. Der Gang vor mir ist lang, trübe und dunkel, mir zittern die Knie, ich möchte mich an die Wand lehnen und um eine Minute der Sammlung und Ruhe bitten. Aber die Stimme des Oberwachtmeisters klingt befehlshaberisch hinter mir: »Los! Los, Sommer! Die dritte Tür rechts!« Wenn er jetzt nur nicht so militärisch laut brüllen würde, jetzt kann ihn doch Magda schon hören!
Die Hand auf die Klinke und aufgemacht die Tür! Kein Zagen hilft, unbarmherzig wirst du vorwärts gezwungen in diesem Leben, du Armer, es gibt nicht Ruhe, nicht Verweilen!
Ich sehe Magda, sie hat am Fenster gesessen, nun ist sie aufgestanden und schaut mir entgegen. Einen Augenblick bemerke ich den Ausdruck von fragendem Erstaunen in ihrem Gesicht.
Aber schon eile ich auf sie zu, die Arme ausgebreitet, ich rufe: »Magda, Magda, dass du gekommen bist! Ich danke dir so …« Ich schließe sie in meine Arme, ich will sie auf den Mund küssen wie in jenen alten Tagen, die nun wieder neu werden sollen …
Und ich bemerke einen Ausdruck schaudernder Abwehr in ihrem Gesicht. »Bitte, nicht!«, flüstert sie, noch in meinen Armen, plötzlich fast atemlos. »Bitte nicht hier!«
Ich habe sie losgelassen, alle Freude ist aus mir gewichen, ein kaltes drohendes Schweigen ist in mir.
Sie sieht mich an, noch immer liegt ein Ausdruck verwirrten Staunens auf ihrem Gesicht. »Ich hätte dich beinahe nicht erkannt«, flüstert sie, noch immer atemlos. »Was ist mit dir geschehen? Was hat dich da …«, sie wagt nicht einmal das Wort auszusprechen, »was hat dich da so verändert?«
Oberwachtmeister Fritsch hat sich in unserem Rücken auf einen Stuhl gesetzt und räuspert sich jetzt recht laut.
Ich weiß, dass es unzulässig ist, wenn wir beide hier so am Fenster stehen und miteinander tuscheln. Mit gespielter Leichtigkeit sage ich: »Wollen wir beide uns nicht hier an den Tisch setzen, Magda?« Wir tun es.
Dann: »Du findest, dass ich mich verändert habe? Dir gefällt mein Aussehen nicht? Nun, um dir die Wahrheit zu gestehen, es gefiel mir selber nicht, als ich mich vor Kurzem zum ersten Male wieder in einem Spiegel sah.« (Das hätte ich nicht sagen dürfen, Oberwachtmeister Fritsch kann mich nachher fragen, woher