Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
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Читать онлайн книгу Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans Fallada страница 256
»Ein Mitgefangener wollte sie mir abbeißen, das war noch im Untersuchungsgefängnis«, berichte ich. »Es war jener Polakowski, der dein Silberzeug stahl, Magda, du weißt.« Sie sieht mich nur an, mit einem leichten Zucken um den Mund. Vielleicht hätte ich das wieder nicht sagen sollen, vielleicht denkt Magda jetzt, dass ich es war, der zuerst ihr Silberzeug stahl. Aber nein, so töricht und ungerecht kann Magda nicht denken, das Silber war von meinem Gelde gekauft, es war also mein Silber, von Diebstahl kann nicht die Rede sein. »Ich habe ja versucht, es dir wiederzubeschaffen, aber leider vergeblich. Du hast nichts mehr davon gehört, Magda?«
Sie bewegt verneinend den Kopf, als sei das alles ganz unwesentlich. »Du bist auch sonst verändert, Erwin«, beharrt sie, »deine Stimme klingt ganz anders, viel lauter …«
»Wir sind sechsundfünfzig Männer auf meiner Station, Magda«, erkläre ich ihr, »über dreißig essen mit mir in einem Raum, da muss man seine Stimme schon etwas anstrengen, wenn man verstanden werden will.«
»Ich verstehe.« Sie lächelt schwach, abwehrend. »Du führst ein sehr verändertes Leben, du, der immer so für Zurückhaltung und Isolierung war.« Aber wieder, mit einer störenden Hartnäckigkeit, kommt sie auf mein Aussehen zurück, sie kann sich gar nicht daran gewöhnen. »Du siehst aber auch sonst schlecht aus, Erwin. Fehlt dir was?«
»Nichts«, antworte ich überlegen. »Fast nichts. Ein paar Furunkel, sieh hier, im Nacken habe ich auch welche, und auf dem Rücken … Aber daran gewöhnt man sich, alle in diesem Bau haben sie …«
(Der Oberwachtmeister Fritsch räuspert sich mahnend. Das ist wohl schon unziemliche Kritik an der Anstalt. Aber ich denke nicht daran, darauf zu achten.)
Ich fahre fort: »Und wenn ich mager geworden bin und etwas grau aussehe, nun, Magda, wir bekommen hier nicht alle Tage gerade Gänsebraten mit Rotkohl, in der Hauptsache werden wir mit gutem, heißem Wasser ernährt …«
Nun ist meine Wut doch mit mir durchgegangen. Diese Wut über die Zurückweisung meiner Liebe, über das Entsetzen Magdas vor mir: Mit einer vor Hohn zitternden Stimme habe ich gesprochen, ich will ihr Herz verletzen, da ich es nicht rühren kann.
Oberwachtmeister Fritsch sagt drohend: »Noch eine solche Bemerkung, Sommer, und ich breche die Sprechstunde ab und melde Sie!«
Magda wendet sich an ihn: »Ach, bitte, nehmen Sie es ihm doch nicht übel! Sie ahnen nicht, wie er sich verändert hat, er muss Schreckliches durchgemacht haben!« Ihre Stimme zittert, ich lausche dieser schwachwerdenden weiblichen Stimme mit gierigem Entzücken. »Er war doch vor Kurzem noch ein blühender, gut aussehender Mann – und jetzt, ich hätte ihn auf der Straße nicht gekannt!« Ein paar Tränen tauchen aus der Tiefe ihrer Augen auf und rinnen langsam über ihre Wangen.
Auch diese Tränen beobachte ich mit gierigem Entzücken. Nein, sie rühren mich nicht. Nichts kann mein Herz mehr weichmachen, zu schwer hat sie mich beleidigt! Aber ich genieße es, dass nun auch sie leidet; sie soll es auch fühlen, endlich fühlt sie es, was sie mit mir angerichtet hat, wie schwer sie sich durch ihre Spionage, ihre unbedachte Rederei gegen mich vergangen hat, welches Verhängnis sie auf mein Haupt herabgezogen hat.
Magda fährt fast fieberhaft erregt, halb zum Oberwachtmeister, halb zu mir gewendet, fort: »Aber ich kann dir doch schicken, Erwin, was du brauchst! Hätte ich das geahnt! Darf ich ihm ein Paket mit Esswaren schicken, Herr …?«
»Das dürfen Sie, Frau Sommer«, sagt Fritsch gnädig. »Auch Rauchwaren sind erlaubt. Hier ist überhaupt vieles erlaubt. Aber«, fährt er fort und sieht Magda augenzwinkernd aus seinem fetten Gesicht an, »Sie müssen bedenken, viele von diesen Kranken wissen wirklich nicht, wann sie satt sind. Sie fressen und fressen – ein ganzes Paket voll, zwei Brote an einem Tag! Und nachher sind sie krank, und wir haben unsere Mühe mit ihnen. Man darf nicht alles glauben, was diese Kranken erzählen.«
Und ich muss still dabeisitzen und mir diese Gemeinheiten mit anhören, der fette Fritsch ist mein Vorgesetzter, ich darf ihm nicht widersprechen. Ich denke an die Hungergestalten drüben, die Kartoffelschalen fressen und jeden verspritzten Tropfen Sauce vom Tisch ablecken, und die Wut steigt wieder in mir hoch. Aber ich bezwinge mich, ich sage rasch und lächelnd: »Ich danke dir vielmals für deine guten Absichten, Magda, aber ich brauche wirklich nichts. Herr Oberwachtmeister Fritsch hat ganz recht: Die Kranken kennen kein Maß. Gott sei Dank gehöre ich nicht zu ihnen, gottlob werde ich wohl schon in kurzem von hier fortkommen …«
Verwirrt sieht mich Magda an. »Aber du sprachst doch eben selbst von Wasser, Erwin …«, sagt sie.
»Ich sprach von Gänsebraten«, lache ich, »und das Wasser habe ich nur um des Kontrastes willen dagegengesetzt. Nein, nein, Magda, mach dir nur keine Gedanken, wir werden vollkommen ausreichend ernährt, wie dir eben Herr Fritsch auch gesagt hat. Schließlich tue ich ja auch keine schwere Arbeit, ich mache Bürsten, Magda, ich bin ein richtiger Bürstenmacher geworden. Hättest du das je von mir gedacht, Magda? Du sitzt auf meinem Stuhl im Kontor, und dein Mann macht unterdes Bürsten. Gibt es nicht ein Lied vom munteren Bürstenmacher, ach nein, das ist ein munterer Seifensieder. Aber auch ich bin munter und vergnügt in meiner Zelle beim Bürstenmachen, ich pfeife und singe den ganzen Tag, ach nein, das tue ich natürlich nicht, denn das ist in diesem Haus der vielen Erlaubnisse verboten. Aber innerlich pfeife und singe ich …«
Ich habe immer rascher und höhnender gesprochen, mein Zorn riss mich fort, aber dabei beherrschte ich mich doch, äußerlich sah alles ganz glatt und zufriedenstellend aus. Ich bemerkte die steigende Verwirrung in Magdas Gesicht, sie hat ein paarmal während meiner Worte das Taschentuch benutzt und an ihren Augen gewischt. Fritsch hat sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt und betrachtet gelangweilt die Fliegen an der Zimmerdecke. Er ist viel zu grob besaitet, um den ironischen Unterton meiner Worte herauszuspüren.
Übrigens hat Magda ein Kostüm an, das ich noch nicht an ihr kenne: ein dunkelgraues, sehr schickes Kostüm mit einem hellen Nadelstreifen. Ich denke mit Bitterkeit daran, dass meine zu mir gehörende Frau in einer Zeit, da ich Maßloses litt, Zeit und Lust hatte, an ein neues Kostüm zu denken, zur Schneiderin zu gehen, Anproben zu halten … So ungerecht sind die Lose verteilt, so gedankenlos sind selbst die besten Ehefrauen! – Übrigens sieht Magda gut aus, sie hat sich in der Zeit unserer Trennung